Ketzerhaus. Ivonne Hübner

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Ketzerhaus - Ivonne Hübner

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Brauers Kopf ruckte und er blickte über seine Schulter. Einen Moment lang starrten Elsa und er gleichermaßen zu Gunnar und dem Leblosen. Gunnar reckte sich, um gerader und prächtiger zu wirken. Der ahnte nicht, dass halb Görlitz sich über ihn lustig machte. Armer Gunnar, armer Narr. Und selbst, wenn er nicht nach vergorener Gerste und Hopfen und den Brauereipferden riechen würde, könnte Elsa nichts an ihm finden.

      Der Meister drückte die Tür in den Rahmen.

      Sie stand wie gebannt im Dunkel und lauschte den schlurfenden Schritten, die sich mit dem Ächzen der beiden Träger vermischten und nicht die Geräusche einer fetten Ratte waren. Ihre Fantasie reichte so weit, beim Schlagen der gegenüberliegenden Korridortür und dem Schleifen über den Gang, sich den alten und den jungen Tylike vorzustellen, wie sie den leblosen Körper dorthin brachten, wo eine weitere, abgelegenere Kammer war. Elsa selbst meinte, dort, wie in jedem Winkel hier oben, Gerümpel gesehen zu haben. Sie konnte Niklas Tylike fluchen hören wegen eines Rumpelns, wie, wenn man sich den Fuß an einer Schwelle oder den Ellbogen, dort, wo es am meisten wehtut, an der Türkante stößt.

      Sie hörte Türen klappen, Sohlen auf den Dielen schaben, Schlurfen, gedämpfte Befehle des Älteren an den Jüngeren und abermals Schritte nahen, beobachtete das aufgeregte Binsenlicht, wie es unterhalb des Türspaltes hin zur Dachluke wanderte. Das Öffnen derselben, Schritte, die nach unten zur Schwarzen Küche stiegen.

      „Peternelle!“ Doch die rührte sich nicht.

      Elsa stand noch einen Moment hinter der Tür, horchte und hörte bald nichts als ihren eigenen Herzschlag, hörte Peternelles gleichmäßigen Atem. Sie war, im Vorwand zu schlafen, eingenickt. Elsa lauschte tiefer in die Nacht und meinte nach einer Weile, die fette Ratte wieder zu hören. Die fette Ratte und ihr Scharren: schnüffelnd auf der Suche nach einem Happen. Hier oben aber gab es nichts als Mäusedreck, Staub, den muffigen Strohsack und Peternelles Atem und … Elsa hielt die Luft an … Ein Stöhnen gab es hier.

      Vorsichtig öffnete sie abermals die Kammertür. Gebannt starrte sie in die Dunkelheit. Das Stöhnen von eben hatte sie sich nicht eingebildet, aber vielleicht war es auch nur ein verzerrtes Geräusch von der Gasse her gewesen. Der Ausschank hatte längst geschlossen. Das wusste sie genau, denn sie selbst hatte den Fichtenzweig hereingeholt, das Tor verriegelt und den Balken davor gehängt. Vielleicht irrten der Gunnar und der Brauermeister noch im Haus herum? Manchmal hörte Elsa sogar Geräusche aus dem Pferdstall bis hier herauf, obwohl der Pferdestall über den Hof ging. Und da, plötzlich war es wieder: dieses Keuchen. Ein schweres Atmen vielleicht. Elsas Augen taxierten die rabenschwarze Wand und starrten in die Richtung, wo sich die andere Dachkammer hinter zwei Türen, getrennt von einem schmalen Korridor, befand.

      Zögerlich tastete sie mit der Hand nach der Holzkiste, die ihr und Peternelle als Kleidertruhe und Tischchen gleichermaßen diente, und angelte nach den beiden Feuersteinen. Ein gelungener Streich und der Funke sprang in das Knäuel von Zunder, mit dem sie die Binse in der Drahthalterung entfachte. Peternelle lag mit dem Gesicht in Richtung des Fachwerks. Sie bekam vom flackernden Lichtschein nichts mit. Elsa verließ die Mägdekammer und begab sich, so leise es ihre Holzpantinen erlaubten, auf die andere Seite des Dachbodenflures. Die erste Tür öffnete und schloss sich geräuschlos. Auch sonst war es ruhig hier oben. Nur das Wimmern des Nebelungwindes war zu hören. Ihr war so, als vernahm sie den Geruch von Metall.

      Der Riegel war nur vorgeschoben, nicht aber mit einem Schloss versehen worden. Die Scharniere knarzten widerwillig, während die Tür von dem Mädchen aufgezogen wurde. Der metallische Geruch wurde intensiver und vermischte sich mit dem Geruch frischer Wunden und geronnenen Blutes. Das kleine Licht erhellte die Angelegenheit nicht wesentlich. Elsa konnte zwei Schritte tief in die Kammer sehen und da war nichts als schmutzige Dielen. Den Mann, den Gunnar und Niklas heraufgetragen hatten, erkannte sie kaum, nicht einmal schemenhaft. Mit dem Röcheln, das der Fremde hören ließ, stolperte ihr Herz erschrocken. Elsa hatte Tylikens Warnung und Verbot noch im Ohr, andererseits war es ihre Christenpflicht, nach dem Mann zu sehen. Ganz offenbar ging es ihm gar nicht gut. Elsa wog ab, überlegte verzweifelt, was sie tun konnte, was sie tun durfte und was nicht und wagte schließlich, das Binsenlicht voranwandern zu lassen.

      Die Kammer war so klein wie die, die sich die Mägde auf der anderen Giebelseite teilten. Das Haus war von der Neißgasse aus traufständig zu sehen, machte aber einen Knick wie ein liegendes L in den Hof, sodass, anders als die Mägdekammer, die ans nächste Wohnhaus angrenzte, diese hintere Dachkammer ein Giebelfenster aufwies. Dem Luxus zum Überfluss verhalf das klobige Bettgestell und die darauf befindliche, mit Stroh gefüllte Matte. Dort lag der Mensch, nein, seine Hülle, nein, der Rest dessen, was einmal die Hülle einer Menschenseele gewesen sein mochte. Elsa hob die Binse so weit, damit sie das, was einst ein menschliches Antlitz gewesen war, besser sehen konnte. „Oh Herz Jesu und Heilige Jungfrau Maria!“ Sie schlug das Kreuzzeichen und ging vor dem Bett in die Hocke wie vor einer Reliquie, die sie nach langer Wallfahrt endlich erreicht hatte. Den Binsenhalter stellte sie auf den Boden neben sich.

      Das Gesicht des Mannes war eine rot in rot verquollene Gebirgslandschaft. Dort, wo die Augen saßen, sah Elsa jetzt zwei walnussgroße rot-violette Schwellungen. Die Nase ragte kaum merklich aus den verkrusteten Wölbungen der Wangenknochen hervor, hier prangten Platzwunden, genauso wie an den Lippen und den Augenbrauen.

      Elsa wusste, sie durfte hier nicht verweilen, aber ihr ungläubiger Blick wanderte an der armen, zerschundenen Gestalt entlang. Das Haar des Mannes schimmerte im Schein der Binse rötlich und klebte in langen Strähnen an der Blutkruste des Gesichtes. Zumindest die Fülle des Haares wies auf das jugendliche Alter des Mannes hin. Die Kleidung trog auch von Nahem besehen nicht. Und die Blut- und Schmutzflecken täuschten nicht darüber hinweg, dass der junge Mann aus gutem Hause kam: Feinster Sammet, aufwendige Stickereien und teurer Atlas harmonierten miteinander und hoben sich schwach, kaum merklich unter seinen flachen Atemzügen.

      Elsas Blick glitt zu seinen Händen. Schlanke, aber kräftige Hände, Hände, die wohl üblicherweise gepflegt waren und selten fest anpackten. Nicht die Hände eines Stallknechtes oder Brauereilehrlings. Gunnar hatte immer Schwielen an den schmalen Händen mit Spinnenfingern. Wenn er etwas falsch machte, hörte man Meister Tylike gern schimpfen, er besäße nicht die Hände eines Brauers, sondern die eines Minnesängers.

      Diese Hände hier waren jedoch kräftig, wenn auch schmutzig jetzt, und die Knöchel waren verschorft. Anzunehmen blieb, dass dieser Mann genauso viel ausgeteilt wie eingesteckt hatte. Aber was es auch immer war, so überlegte Elsa, kann kein Mensch der ganzen Erdscheibe so viel Schlechtes tun, um solche Prügel verdient zu haben.

      Sie erhob sich und ihr Blick streifte ein Bündel, das am Fuße der Bettstatt lag. Der Koller lag zuunterst, ein Reisesäckchen darauf. Die seltsam lang geformten Schuhe standen auf dem Boden.

      „Herrimhimmel“, kam es vom Mann auf dem Bett und Elsa wich mitsamt ihrem Binsenlicht zurück. „Wer bist du?“ Er rührte sich nicht, als er das stöhnte. Nicht einmal seine Lippen bewegten sich merklich. „Wo bin ich?“ Er versuchte nicht einmal, die zugeschwollenen Augen zu öffnen oder den Kopf zur Seite zu drehen und in ihre Richtung zu wenden. „Ignatius? … Matthes?“ Erschöpfte Worte. Die junge Frau kannte niemanden mit diesen Namen.

      Elsa, deren Herz jetzt wie vorhin entsetzlich pochte vor Aufregung, ging rückwärts aus der Kammer und überließ den Fremden der Dunkelheit. Aber in den Schlaf fand sie nicht wieder. So müde ihr Körper war, so wach waren ihre Sinne. Das Leid, das dem Fremden widerfahren war, ließ sie nicht los.

       Ehedem wurden die kanonischen Strafen nicht nach, sondern vor der Lossprechung auferlegt, gewissermaßen als Prüfstein der echten Reue.

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