Ketzerhaus. Ivonne Hübner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ketzerhaus - Ivonne Hübner страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
Ketzerhaus - Ivonne Hübner

Скачать книгу

Brauhöfe vom Mälzer und Hinterthur waren höher gelegen und so konnten die Wassermassen ihnen nichts anhaben. Katharina Mälzer sah es als ihre Pflicht zu helfen. So war ihr Haus voller Kinder, deren Hütten weggeschwemmt worden waren und wo die Eltern neue bauen mussten. Es war eine lustige Zeit für die Jüngeren, weil sie den ganzen Tag tun und lassen konnten, was sie wollten. Elsa war froh, sich um die Kinderschar kümmern zu können. So würde sie Buße tun für das, was sie im Herbst nicht verhindern hatte können.

      „Du machst dir da viel zu viele Gedanken“, schüttelte Jost den Kopf, als sie sich wieder einmal an der Baumgruppe zwischen den Höfen trafen. „Es waren nur dumme Hunde.“ Er schickte seinen Blick hinunter zu den Kindern, die barfuß in den feuchten Wiesen wateten und Jungfrösche aufscheuchten. Mit seinen dreizehn Jahren war Jost schon recht stattlich, wie Elsa fand. Seine breiten Schultern ließen ihn älter erscheinen, aber auch sie war runder geworden, immerhin hatte sie das zwölfte Jahr abgeschlossen und sie war erweckt worden. Das Ereignis hatte sie unerwartet heimgesucht.

      „Es sind Gottes Geschöpfe“, sagte sie und merkte, wie Jost sie musterte.

      Er schüttelte knapp den Kopf. „Tiere und Weiber sind nichts in Gottes Augen.“ Er schaute zu den Kindern hinüber, die mit jedem Frosch, den sie aufscheuchten, herzhaft quiekten und lachten.

      „Ich wäre lieber als Junge geboren.“

      Jost drehte sich abrupt zu ihr um, stellte sich ganz dicht vor sie hin und griff ihr plötzlich so rüde in die bauschenden Röcke, dass sie vor ihm zurückwich. Er rückte auf, hatte sie immer noch fest im Griff. „Dazu fehlt dir aber einiges.“

      Elsa wich nicht vor seiner Hand zurück. Schockstarr wie ein verängstigtes Reh. So stand sie noch da, als er schon längst wieder von ihr abließ. Sie schaute ihm nach wie er zu den anderen Kindern rannte, eine Rute von einer Weide abbrach. Die Jungfrösche quakten nur so lange, bis er sie auf den Stab spießte.

      Tage später lag die Wiese so, als habe es das Hochwasser nicht gegeben. So schnell war das Wasser verschwunden, wie es gekommen war. Elsa war einerseits froh, das Strohlager wieder für sich und ihre Schwestern zu haben, andererseits traurig über die Stille, die ins Haus zurückkehrte. Jost übte nach wie vor Anziehung auf sie aus, obschon da noch etwas war, wonach sie in den Tiefen ihres Herzens suchte wie eine gründelnde Ente, aber nichts zu fassen bekam. Das Düstere, das von ihm ausging, sah sie nicht.

      Der liebe Herrgott verteilte Sonne und Regen gnädig über die Felder. Mensch und Tier waren fruchtbar und mehrten sich. Die Münzen, die im Umlauf waren, hatten guten Wert. Dass das nicht so bleiben würde, ahnte niemand. Nichts sollte Elsas Tage überschatten, und der Sommer sollte herrlich werden. Sie fühlte sich genauso wie jedes andere Mädchen geschmeichelt von Josts Übermut, den er freimütig zur Schau führte.

      Die Warnungen der Mütter vor den Knaben waren allgegenwärtig und wurden mit der Reife der Mädchen immer eindringlicher. Wovor im Speziellen gewarnt wurde, blieb Elsa ein Rätsel. Insbesondere die lauten, umtriebigen Jungen seien zu meiden. Darin waren sich die Mütter einig. Dass die lauteren Jungen den stilleren vorzuziehen waren, mussten die Mütter doch wissen!

      Im Spätsommer erst, als Jost und Elsa verborgen im hohen Gras der Baumgruppe nebeneinanderlagen und einen Apfel nach dem anderen verspeisten, sollte ihr klar werden, was genau die Mutter meinte.

      „Ich habe mit den Jungs eine Wette laufen“, sagte Jost, schnippte den Apfelstrunk hinter sich und rollte sich zur Seite, sodass er Elsa ansehen konnte. „Sie sagen, du würdest dich nicht getrauen, mir zu zeigen, ob deine Haare überall rot sind.“

      Elsas Augen weiteten sich. Jost aber betrachtete sie fachmännisch. „Zeigst du’s?“

      „NEIN!“ Elsa war mit einem Satz auf den Beinen.

      „Wenn du’s tust, kriege ich einen Heller vom Dicken.“ Benannter Dicke war ein stämmiger Bursche aus dem Dorf, dessen Eltern Großbauern waren.

      „Nein! Das ist unanständig, Jost! Außerdem kann der Dicke nicht wissen, ob ich dir meins wirklich gezeigt hab. Wie will er es nachprüfen?“

      „Das ist eine Sache des Vertrauens.“

      „Das ist eine idiotische Sache, meinst du wohl.“

      „Wir teilen den Heller“, sagte der Junge geschäftstüchtig. Das war natürlich etwas anderes. Elsa überlegte. „Dann zeigst du mir deins auch!“

      Jost betrachtete die über ihm Stehende. Seine Augen verengt, wie es sonst eigentlich sein älterer Bruder tat, nickte er schließlich. „Einverstanden. Du zuerst.“

      „Gleichzeitig.“

      Jost willigte ein, stellte sich ihr gegenüber und begann seine Hose aufzubinden. Elsa wurde es ganz flau im Bauch, während sie den Rock raffte. „Ich kann’s nicht“, seufzte sie enttäuscht über sich selbst und strich den kaum gehobenen Rock glatt. Jost, der mit seiner Schnur schon fertig war, murrte ärgerlich.

      „Sag ihm doch, dass ich’s dir gezeigt hab“, schlug das Mädchen vor.

      Jost schüttelte den Kopf. „Der Dicke merkt, wenn man ihn anlügt.“ Sein Blick veränderte sich, wurde fest und eindringlich. Und dann passierte so vieles auf einmal, dass Elsa nicht begriff, wie ihr geschah. Die Bedrängnis, in der der Junge das Mädchen brachte, verstand sie zunächst nicht. Ein Spiel? Ein Kräftemessen, für den er den falschen Adressaten gewählt hatte? Erst als sie auf dem Boden unter ihm nicht mehr vorkam, er seine Hand unter ihren Rock schob, bekam sie es mit der Angst zu tun. Quieken schien er als Ansporn zu verstehen. Schreien störte ihn, denn er drückte seine Hand auf ihren Mund. Sie schmeckte sein Blut, hörte seinen Fluch, sah seinen blutigen Finger, doch ließ er nicht ab von ihr.

      Erschöpft und resigniert schloss sie die Augen und biss die Zähne zusammen. Jost, eben schwer und unhandlich wie ein Grasbatzen, wurde mit einem Male federleicht. Elsa fühlte sich umspielt von einer Woge, duftend nach heißer Wolle und feuchter Erde.

      Sie öffnete die Augen und erkannte, wie Jost am Arm seines Bruders zappelte. Und Jost erkannte, wie sie Daumen, Zeige- und Mittelfinger abspreizte und so auf ihn deutete. Nur einen Herzschlag lang, aber er erkannte es deutlich. Elsa drückte sich ins hohe Gras. Andres schüttelte seinen Bruder am Schlafittchen. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“

      „Ich war’s nicht!“, jaulte Jost an Andres’ Arm. „Ich kann nichts dafür! Ehrlich! Sie hat angefangen. … Sie hat mich verhext!“

      „Spar dir das für Vater!“ Andres schleifte seinen jüngeren Bruder mit sich, als sei er ein Sack Pusteblumen.

      „HEXE!“

      Das Wort hallte nach. Es traf tief, tat weh und blieb da. Es war das erste Mal, dass einer dies Wort zu ihr sagte.

      Lange kauerte Elsa dort. Sie sah zu, wie die Jungen unten auf dem Hof verschwanden. Erst, als sie sicher war, dass niemand sie sehen würde, eilte sie nach Hause. Der Schreck saß tief.

      Nach dem nächsten Gottesdienst trat Jost zu ihr, um sich bei ihr zu entschuldigen. Elsa erkannte genau, wie er von seinen Eltern von Ferne beaufsichtigt wurde und sie schämte sich. Mit einem Kopfnicken tat sie es. Dass Jost sich nicht bloßstellen ließ, nicht von seinem Bruder, nicht von seinen Eltern, hätte ihr klar sein müssen.

      So kam es, dass Jost bald darauf, der Herbst kündigte sich mit Stürmen und Regenfällen an, um das ohnehin feuchte Jahr zu besiegeln, sich an ihr und seinem Bruder

Скачать книгу