Ketzerhaus. Ivonne Hübner
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Die Hinterthurs hatten ihr Kind im wahrsten Sinne verloren. Der Schöps würde ihn erst mit der Schmelze im Frühjahr freigeben.
Abends vor dem Einschlafen wurde Elsa von den Bildern gequält: Josts aufgedunsener, zerschundener, von Tieren angefressener Körper, angeschwemmt zwischen Löwenzahn und Vergissmeinnicht im Garten einer Bäuerin, die einen Schreck fürs Leben davontragen würde. Das machte es nicht einfacher. Die Bilder hatten sich in ihrem Kopf verhakt und ließen sie nicht los. Elsa wusste nicht, wie weit die Spree floss, in die irgendwo der Schöps mündete. Der Mensch, der irgendwo im Norden den Leichnam finden würde, würde nicht wissen, dass es Jost Hinterthur aus der Parochie Hurke, am Weinberg gelegen, war. Und wen sollten die Hinterthurs beerdigen? Selbst Priester Horn wusste nicht, wie man eine Totenfeier ohne Toten abhielt. Also ließen Orwid und Reinhilde einen Stein meißeln und an die Stelle legen, wo Jost von den Fluten mitgenommen worden war. Der Dorfklatsch übertraf sich in Spekulationen, was die Erlaubnis dafür bei Priester Horn gekostet haben mochte.
Die Dörfler zerrissen sich die Mäuler über den tragischen Unfall des zweiten Hinterthurjungen und rätselten, wer die Brauerei übernehmen sollte. Der Älteste, Andres, taugte wohl kaum dafür und die Mädchen … die waren Mädchen und konnten froh sein, wenn der Orwid sie noch gewinnbringend verheiraten konnte. Man wusste von Arrangements zu berichten, die Orwid mit Reinhildens Verwandtschaft in Görlitz traf. Maria und Johanna waren ihren Vettern versprochen, beides Kaufherren dort. Der Orwid aber, der wurde seltsam. In die Kirche kam er nicht mehr. Die Reinhilde und die Mädchen dafür umso häufiger. Orwid blieb für sich, soff aber auch nicht unbedingt, was nur erklärbar gewesen wäre, schwor im Gegenteil dem Gesöff ab, redete wirr, wenn er sich mit seinem Produkt in den Schänken blicken ließ und wurde sogar vom Priester Horn vorgeladen, weil Orwid geschimpft haben soll, Gott sei tot und solch Lästerhaftes. All so etwas schob man auf Josts Tod.
Zu spät erfuhr Elsa, dass man Andres nach Görlitz geschickt hatte. Vielleicht hätte sie sich von ihm verabschieden wollen, vielleicht hätte sie ihr Gewissen erleichtern wollen. Vielleicht aber war es besser so, dass er klammheimlich weggegeben worden war.
Angeblich wohnte er bei seinem Ohm und der Muhme mütterlicherseits in der Stadt. Nicht einmal an den höchsten Kirchentagen kam er ins Dorf und bald vergaß man ihn.
Viel später erst erfuhr Elsa, dass Andres die Lateinschule besuchte. Der Hinterthur-Hof wurde von einer Hecke aus Mysterien und Rätseln überwuchert. Sehr still wurde es um die Leute dort. Die Briu war das Einzige, was von dort nach außen drang. Mit jedem weiteren Monat, der ins Land ging, verschwanden die Hinterthurs aus Elsas Bewusstsein.
Einmal noch, das war, als Elsa schon beinah erwachsen und die zunehmende Erkrankung ihrer Mutter wie Gottes Zorn und Strafe auf alles Böse, das die Mälzers je getan hatten, voranschritt, machte der Hinterthur-Hof von sich reden. Das war, als Meister Orwid verstarb. Niemand hatte mitbekommen, dass er krank gewesen war. Einige behaupteten, der Blitz habe ihn plötzlich getroffen. Und Elsa erinnerte sich an den Fluch, den sie ihm vor Jahren an den Hals gewünscht hatte. Jedenfalls war er weg, tot und bestenfalls begraben. Reinhilde verkaufte den Hof an das Rittergut Gerßdorff und ging zu den Töchtern Johanna und Maria nach Görlitz.
Elsas Vater sollte Orwid ein Jahr später folgen. Es war ein Husten in einem viel zu langen, nassen Herbst gewesen, den Johannes nicht überlebte. Katharina hatte in der Parochie keine Hilfe zu erwarten. Sie verlor den verschuldeten Hof. Das Briuwerrecht behielt sie. Damit konnte sie ohne Hof und Ehemann jedoch nichts anfangen.
Es war eine Fügung, als in jener Zeit, welche Katharina und die Mädchen an den Bettelstab gebracht hatte, Reinhilde Hinterthur auftauchte, um den Stein vom Schöpsufer entfernen zu lassen. Wovon auch immer sich Reinhilde Hinterthur, die wieder geheiratet hatte und jetzt Tylike hieß, reinwaschen wollte, Elsa würde den Tag verfluchen, an dem ihre Mutter Reinhildes Angebot angenommen hatte und ein gesichertes Auskommen in Görlitz der Parochie vorzog.
Und weiter:
wird im zwoten Teyl erzeleth, wie es sich zugethragen vom Nebelung anno 1517 bis Sommer anno 1518
sowohl in der Schwesterstatt Görlitz,
Handelspunkt und Teyl des Sechsstettebundes,
als auch in dem Stettchen Wittenberg
11
Dieses Unkraut, kanonische Strafen in Fegefeuerstrafen zu verwandeln, scheint gesät zu sein,
als die Bischöfe schliefen.
Sie hatte nicht schnell genug das Türblatt in den Rahmen gezogen. Sie hatte gerade noch gesehen, wie der junge und der alte Tylike die Dachluke hinter sich und dem vermutlich Toten in den Boden senkten. Sie erkannte die Kleidung des mittig zwischen ihnen Schwebenden mit der Lampe auf der Brust: Pluderhosen von besserem Tuch, Entenschnabelschuhe aus vielleicht gelb gefärbtem Leder – so genau konnte es das Mädchen im Halbdunkel des Flackerlichts auch wieder nicht erkennen – und einen samtenen Koller mit blauem Schimmer. Dies alles verriet eine vornehme Herkunft des Mannes, dessen Kopf zwischen den Schultern baumelte. Man hatte ihm die Kappe auf Hals und Kinn gelegt. So konnte das Mädchen sein Gesicht nicht sehen. Die Schaube, also der Umhang, streifte den Boden und wischte eine Spur in den Staub. Das Binsenlicht wankte bedächtig.
Dies alles hatte die zweite Magd der Tylikes gerade erkannt, da war der Meister auf sie aufmerksam geworden. Er ließ die Beine des Leblosen auf die Dielen hinab. Mit zwei Schritten war er an der Tür. Er zerrte an ihr. Das Mädchen wollte das Brett nicht hergeben und musste doch. Tylike verengte die Augen gegen die Funzel in seiner Hand, um die heimliche Späherin besser sehen zu können. Seine fahlen Hamsterbacken warfen sich auf. Die feucht glänzenden Lippen verbreiterten sich zu einer Grimasse. Solch ein Gesicht vermutete man bei einem, der seine Notdurft, wenn überhaupt, so doch zumindest unter Schmerzen verrichtete. Der Reinhilde schwachsinniger Vetter war an verstockter Notdurft gestorben. So sagte man. Kein schöner Tod. Warum nur musste das Mädchen in Anbetracht Niklas Tylikes verschrobener Miene an die Verstopfungen des Blöden denken?
„DU!“
Das Mädchen zuckte zusammen und senkte die Lider. Die Flackerbinse spielte mit den Mäusekrümeln auf dem Boden. Tylike spitzte in die Kammer. Peternelle gab vor zu schlafen.
„Scher dich ins Bett, Els!“ Beim Schnauzen zu flüstern, nahm einem breiten Mann wie dem Tylike das Furchteinflößende. Normalerweise. Aber Elsa hatte trotzdem immer Angst vor ihm.
„Ich bitte Euch, vergebt mir gnädiglich.“
Der rechte Nasenflügel des Briuwers zitterte. Die Verzückung, um gnädigliche Vergebung gebeten worden zu sein, war groß. „Ein Wort, zu irgendwem, Mädchen, und du …“ Mit dem Zeigefinger fuhr er sich langsam über die schwammige Kehle. „Kein Wort!“
Elsa nickte rasch.
Allgemeinhin war Tylike bekannt als Baron vom Bierfass und Anhänger ausschweifender Gaumenfreuden. Er hatte kaum für seine eigene Leibesbürde genug Puste, um eine Treppe hinaufzusteigen, geschweige denn einen Mann zu tragen. Tylikes Sohn Gunnar aalte sich im Glanz seines Vaters und dem achtmaligen Briuwerhof. Acht Mal im Jahr Bier machen zu dürfen, privilegierte Niklas Tylike, einen Stuhl im Rat zu besetzen. Doch machte Tylike kein Geheimnis daraus, das neunmalige Briuwerrecht anzustreben, und erst, wenn man es ihm gewährte,