Ketzerhaus. Ivonne Hübner
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Die besprachen sich bereits, da war die Versammlung noch nicht einmal durch den Bürgermeister eröffnet worden. Neben dem Bürgermeister Schwartze fanden sich die Räte und die Ältesten, ferner die Innungsvorstände und solche wie er, Christian, die Gassenrichter und Handwerker, die in ihrem Viertel nach dem Rechten sahen. Die elf Ratsmannen und sieben Schöppen tauschten die Ratsämter per Kooptation.
Christians Platz war hinten, nahe der Hallentür. Es war noch nicht lange her, da war neben den Brauern auch den Handwerkern genehmigt worden, den Rat zu besetzen, des Scheins wegen. Das Mitsprechen war aber eine andere Sache.
Das Sonderbare an der heutigen Sitzung war, dass auch die Kirche vertreten war. So bot der Pleban Martin Faber zur Rechten des Bürgermeisters eine von Sorgen tief gefurchte Miene, während er auf den Schwartze einredete und der wiederum seine Stirn in Falten legte. Faber war ein sonderbarer Kauz mit ganz eigenen klerikalen Vorstellungen und wartete immer wieder mit Überraschungen auf.
Bald hatte Christian dem Raunen der Menge entnommen, was den Rat der Stadt so in Aufruhr versetzte. Drei waren geächtet worden, keiner von ihnen auffindbar. Soweit die Kurzfassung. Christian wusste, er hatte eine gute Stunde Müßiggang vor sich, um an das Mädchen zu denken, mit dem er sich vergnügt hatte, während hier über die Suche nach den Geächteten verhandelt wurde. Zwei Männer und eine Frau, so hieß es, waren umtriebig geworden. Zumindest derer zwei Namen waren nicht unbekannt. Es handelte sich zum einen um den Stiefsohn des Braumeisters Tylike, dem Andres Hinterthur, zum anderen um des Druckermeister Weidners Erstgeborenen Matthes. Ein dritter Name allerdings war selbst den städtischen Lästermäulern unbekannt: Carolina Müllerin. Keine Tochter der Stadt Görlitz, sondern – wie es Schwartze versicherte – aus dem Anhaltischen stammend.
Diesen Dreien wurde zur Last gelegt, die ketzerischen Schriften eines gewissen Doktor Martin Luther verbreitet zu haben. „Nie gehört“, maulte der neben Christian sitzende und auf einem Strohhalm herumkauende Scharfrichter Alfons Sieder. Sein Geruch ging ihm voraus, denn sein Metier war nicht nur das Richten, sondern die Entsorgung der Kleidung der Toten und der Tierkadaver sowie die Häutung derselben, was dem Hoter, Häuter, den unschönen Beinamen verpasst hatte. Alfons Sieder hatte allemal Christians Respekt gepachtet, denn war nicht auch die Hygiene der Mädchen vom Hotertor des Hoters Aufgabe? Der schaute nicht Christian oder seinen Nachbarn zur anderen Seite an, sondern beobachtete die selbstherrlichen Herren vorn an der Tafel. „Zeitverschwendung.“ Er spuckte den Strohhalm zu Boden.
„Du ziehst es sicher vor, einen Dieb vor den Toren der Stadt zu hängen, als hier herumzusitzen“, versuchte es Christian mit einem Scherz, wurde aber von Sieder mit einem überdrüssigen Blick bedacht. Der Scharfrichter hatte kein Stimmrecht und keinen wirklichen Ratssitz hier. Ihn zu den Versammlungen einzuladen, ersparte den Gang in die Büttelei und das Wiederkäuen aller Beschlüsse. Die Büttelei lag nicht weit entfernt von Christians Haus, doch ein nachbarschaftliches Verhältnis war mit dem Hoter schwer herzustellen. Da war das Verhältnis zu den Ratten und Mäusen wärmer als zum Henker!
Weil Pleban Faber laut wurde, widmete sich Christian dem Schaustück da vorn. Faber echauffierte sich, er dulde auf keinen Fall die Verbreitung solcher Blasphemie in seinem feinen Städtchen. „Luthers Worte sind wie Gift!“, regte er sich auf, sodass er ein ganz rotes Gesicht bekam. „Und er vergiftet so viele. Die Jüngeren sind besonders gefährdet.“
„Aber ist die Reichsacht nicht ein bisschen zu hart …?“, mischte sich Bürgermeister Schwartze ein und erntete entschiedenen Widerspruch von Johannes Haß. Er war Schrift- und eigentlicher Wortführer in der Runde.
Haß erhob den Zeigefinger. „Wenn einer die Kurie und die römische Kirche anschwärzt, gehört er gehängt!“ Johannes Haß, Protonotarius aus Passion, suchte den Schulterschluss mit Scharfrichter Sieder. Und Christian sah aus dem Augenwinkel, wie jener geflissentlich, nicht aber eifrig, nickte.
„Nein! Zuerst die Zunge raus, die Luthers falsche Reden verbreiten, danach die Hände ab, die seine Schriften vervielfältigen und dann erst erhängt gehören die Drei!“, redete sich der Pleban in Rage und Sieder nickte auch dazu.
Als man das Kopfgeld auf Andres Hinterthur, Matthes Weidner und Carolina Müllerin aussetzte, ging ein Raunen durch die Menge. Zwei Gulden war eine Summe, die auch Christian gut gebrauchen konnte.
Dem Bürgermeister Schwartze vertrauten die Leute. Er hatte schon Schlimmeres durchgemacht, denn er war schon Ratsmann gewesen, als im Jahre des Herrn 1496 die Pest gewütet hatte. Er war es gewesen, der wusste, wie wandelbar der Tod und wie umtriebig das Sterben sein konnte. Aber anders als damals, da die Ratskür ausgefallen war, aus Angst vor jedem Atemzuge, mit dem man sich würde anstecken können, war jetzt die Streiteslust ungebrochen.
Ein Geächteter war immer eine angenehme Abwechslung, über die es sich zu sprechen lohnte. Seuchen gab es ja alle paar Jahre, aber Geächtete, die es wagten, vom einen in das andere Königreich zu fliehen? So wurde die Frage erörtert, unter welchem Gesetz die Drei jetzt eigentlich stünden und wie mit ihnen verfahren werden sollte, wenn man sie endlich gefasst haben würde? Darüber geriet man in Streit, dessen Ausgang Christian nicht nachvollzog.
Noch am selben Morgen wurde die Stadt auf dem Reißbrett in acht Winkel aufgeteilt und die Stadtbüttel ausgesandt, jedes Haus, jeden Stock, jede Grube, jeden Stall nach den drei Delinquenten zu durchsuchen. Christian, kraft seines Amtes als Gassenrichter, führte einen der Trupps an, die sich durch das südwestliche Tortenstück fraßen.
Hier inspizierten sie als Erstes das Haus des Druckermeisters Weidner, dessen Werkstatt sich nahe der doppelten Stadtmauer, dem Zwinger, in der Nikolaigasse befand. Meister Ignatius Weidner war insofern kooperativ, als dass er sich nicht den Stadtdienern in den Weg stellte, sondern sie lediglich als Ränkeschmiede und der Bürgerschaft untreu beschimpfte. Er behinderte also die Büttel zumindest nicht bei der Hausdurchsuchung. Der Druckermeister hatte neben seinem Erstgeborenen, dem Ketzer Matthes, noch zwei Töchter, die aber längst vermählt waren. Susanna, die älteste, bewohnte mit ihrem Mann und der Kinderschar die Dachstuben. Die andere Tochter war auswärts verheiratet worden.
Die stinkende Druckerei in den Kellergewölben bot nicht einmal einer Maus eine Ritze, einen Kasten oder eine Truhe, um sich zu verstecken. Im Gewölbelabyrinth befanden sich die Druckpressen und die Schränke mit den breiten Schubladen. Christian musterte die an Leinen aufgehängten Blätter mit den sauberen Reihen schwarzer Buchstaben. Er war bislang auch ohne sie durchs Leben gekommen.
„Hier ist kein Versteck für den Ketzer“, rief er, nachdem er alle Kellerräume durchstöbert, alle Schränke, die nur halbwegs einen erwachsenen Mann würden verbergen können, geöffnet hatte, und wandte sich zum Druckermeister um. Dem war die Puste ausgegangen, jetzt stand er mit puterrotem Gesicht und zu Fäusten geballten Händen da und taxierte den Gassenmeister. „Euch dürfte klar sein, was mit Euch passiert, wenn sich herausstellen sollte, dass Ihr Eurem Sohn Unterschlupf gewährt.“ Christian hatte sich vor dem untersetzten Drucker aufgebaut. Dessen Angstschweiß war hinter der versteinerten Miene trotzdem zu riechen. Er erwiderte nichts. „Ihr werdet allesamt gehängt: der Matthes, Ihr, Euer Weib, Eure Tochter und deren Mann, Eure Kindeskinder. Alle, die unter diesem Dach hausen.“ Noch einen Moment lang kostete Christian seine Macht aus. Ein überraschendes, ein gutes Gefühl, die Regungen seines Gegenübers lenken zu können.
„Hier ist er nicht“, stieß Meister Weidner aus, „und er wird sich hüten, hier aufzutauchen. So dumm ist er nicht. Im Gegenteil, er ist