Ketzerhaus. Ivonne Hübner
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War das Klimpern stakkatoartig, drohte ein Unwetter, denn dann marschierte Reinhilde auf der Suche nach dem Sünder durchs Haus und durch die Brauerei. Hörte man das Klimpern gleichmäßig, melodiös, dann konnte man beruhigt seiner Arbeit nachgehen, ohne Schimpf und Schelte zu befürchten. Wurde das Klimpern aber erstickt, und ebbte dieses blecherne Rasseln auch nach einer gewissen Zeit nicht ab, so wusste man, dass Reinhilde mit dem Schlüsselbund an ihrem Hüftgurt spielte. Dieser nervösen Angewohnheit lief sie immer dann auf, wenn sie verunsichert war. Verunsicherung stand der stolzen Brauersfrau nicht gut. Verunsicherung konnte sie nicht leiden. Und dann war jedem geraten, ihr aus dem Wege zu gehen. Jetzt also stießen die Schlüssel von Reinhilde entschlossen mit jedem Schritt, den sie hinauf auf den Boden tat, gegen ihre Oberschenkel und gaben ein rhythmisches Schellen von sich.
An diesem Tag setzte die Reinhildin ihre kostbaren Kleider, den prächtigen Atlas und die teure Seide mehrmals dem Staub und Mäusedreck – und der fetten Ratte – im Dachgeschoss aus. Und ein weiteres Mal hieß sie Elsa, ihr zu folgen. „Du machst da oben reine. Und mucksmäuschenstill! Und wo steckt eigentlich Peternelle?“
Peternelle war unauffindbar. Also machte sich Elsa allein an die Arbeit. Nie zuvor hatte irgendjemand daran Anstoß genommen, in welchem Gestank und Mist die Mägde hausten. Nie zuvor hatte man den Mädchen die nötige Zeit eingeräumt, das Unersetzliche zu tun. Sie unterdrückte ein Husten, als der Staub unterm Besen aufwirbelte. Sie gönnte sich und Peternelle einen Sack frischen Strohs. Die Mäusescheiße hatte sich über Jahre angehäuft, mit Staub und Fledermausdreck zu einer klebrigen Kruste über die hier gelagerten Werkzeuge und auf die Bodendielen gelegt und war mit dem Putzlumpen kaum abzukriegen. Elsa kratzte mit dem Fingernagel an der Würzepfanne herum, und erinnerte sich an das Reinheitsgebot, das Orwid Hinterthur stets ernster als die Bibel genommen hatte. Elsa zuckte jedes Mal zusammen, wenn Metall auf Metall kratzte, Holz auf Holz klackte. Mucksmäuschenstill ließen sich die abgestellten Gerätschaften nicht sauber machen. Orwid Hinterthur würde Blitze auf den Tylike entsenden, könnte er sehen, wie in der Stadt mit seinem Gerät umgegangen wurde. Was die Reinheit des Biers anging, so war dies ein steter Streit zwischen Reinhilde und Niklas Tylike.
Es gab drei Dinge, über die sich Reinhilde beständig ärgern konnte: Erstens, dass ihr zweiter Mann kein so gutes Gebräu kochte, wie ihr erster, obwohl sie die Rezeptur mit in die Ehe gebracht hatte und es immer noch besser als die meisten anderen war. Zweitens, dass man immer weniger für ein Fass bekam. Das Geld rann ihr zwischen den Fingern hindurch, wie sie sagte. Elsa verstand nichts vom Geldwechsel, begriff aber so viel, dass die Görlitzer schlecht gemünzt hatten und auf dem Städtetag in Löbau, dem Landtag in Bautzen und den Zusammenkünften in Prag Botschaften nach Meißen, Dresden und in die Niederlausitz geschickt worden waren, um eine neue, vollgültige Görlitzer Münze anstelle der bösen Stücke, wie die weißen und schwarzen Schrötlinge genannt wurden, zu fordern.
Die Görlitzer aber galten seit jeher als hartköpfig und ließen sich auf eine neue Münze nicht ein. So wurden Drohungen laut, man wolle ihnen die Warenzufuhr sperren. Niemand wollte mit schlechter, minderwertiger Münze bezahlt werden. Die auswärtigen Händler gingen so weit, den Oberststadtschreiber Haß als Lügner zu schelten, weil der vorgab, die Görlitzer Münze sei sauber. War sie aber nicht. Es wurden weitere Drohungen laut, die besagten, die fünf Schwesternstädte des Sechsstädtebundes wollten die Görlitzer Münze ganz verbieten und aus dem Verkehr ziehen. Das würde Görlitz’ Rausschmiss aus dem Sechsstädtebund bedeuten.
Das dritte grundsätzliche Ärgernis, das Reinhildens Blut in Wallung brachte, war das Getreide selbst, das natürlich rar wurde, wenn niemand mehr seine Ware nach Görlitz brachte, woran wiederum die schlechte Münze schuld war. So etwas nannte man Teufelskreis, wusste Elsa. Sie wusste, dass ein Reinheitsgebot immer noch eine gewisse Güte an Getreide forderte, was Braumeistern wie einem Johannes Mälzer fern gewesen war. Reinhilde inspizierte jedes gelieferte Getreidekorn auf Heller und Pfennig und versuchte, Orwids Ansprüche ans Reinheitsgebot in Ehren zu halten.
Elsas verstorbener Vater, Johannes Mälzer, wurde immer als Beispiel zitiert, wenn sich Reinhildens und Niklas’ Meinungen überwarfen. Es mangelte nicht an abfälligen Bemerkungen diesbezüglich, doch Elsa war mit den Jahren taub für die Schmach geworden, die die Lebenden den Toten angedeihen ließen. Auch wenn die üble Nachrede berechtigt war, Johannes Mälzer war immerhin ihr Vater gewesen. Sie schloss sein Seelenheil in ihre Gebete ein.
Die Würzepfanne war groß, die Beschläge rostig und das Holz der Aufsteller längst vom Wurm zernagt, aber wenn die Reinhilde wünschte, dass Elsa ihn schrubben sollte, dann würde sie es tun: so lange, bis man ihr eine andere Aufgabe gab. Während sie also mit dem Lumpen am gusseisernen Deckel rieb, wurde sie vom hellen metallenen Klimpern, das sie sehr wohl kannte, aufgeschreckt. Elsa wirbelte herum. Reinhilde fuhr geradezu ertappt zusammen.
Sie schaute schuldbewusst auf die Wasserschüssel in den Händen und die Leinen, die über ihren Unterarmen baumelten. Einen Herzschlag lang erkannte Elsa in der Frau, die in den vergangenen wenigen Jahren um fünfzig Jahre gealtert sein musste, jenes Gottvertrauen und jene Klugheit, die sie als Kind an ihr bewundert hatte. Die beiden Frauen maßen sich mit Blicken, dann verhärteten sich Reinhildes Züge wieder und zeigten die Brauerin, die das Schicksal gestählt hatte.
„Zu niemandem ein Wort, bei deinem Leben!“, mahnte sie wie schon am Morgen und erwiderte Elsas Kopfnicken. Dann deutete sie auf die Pfanne, an der Elsa geschrubbt hatte und das Klimpern entfernte sich nach hinten zur rückwärtigen Kammer. Jetzt bemerkte Elsa, dass Reinhildens feines Kleid nach den wiederholten Ausflügen hier herauf eine lichte Spur in den Staub geschrieben hatte wie einen Weg. Die junge Magd machte sich daran, die Bodendielen zu schrubben, damit niemandem der Pfad zur hinteren Kammer auffiel. Während sie das tat, waren ihre Sinne hellwach. Elsa gehörte nicht zu den neugierigen Menschen, aber wenn ihr so oft mit Strafen gedroht wurde, war ihr Interesse geweckt. Ihre ohnehin im kalten Wasser steif gefrorenen Hände erstarrten, als ein Schluchzen aus der Kammer drang.
Elsa hatte in den Jahren, seit sie bei Reinhilde im Dienst stand, die Frau nie anders als verbittert und streng, kühl zu jedermann, erlebt. Stets hatte Reinhilde mit den Fügungen von oben gehadert. Jetzt aber schien sie ganz weich und schutzlos zu sein. Reinhildes Weinen wurde ab und an unterbrochen von geflüsterten Worten, die Elsa aus der Entfernung nicht verstehen konnte, und es wurde ergänzt vom Ächzen desjenigen, der in der Kammer wie ein Toter aufgebahrt lag.
Über den Tag beobachtete Elsa, dass Reinhilde die Mahlzeiten in aller Heimlichkeit auf den Dachboden brachte und mit kaum angerührten Speisen wieder herunterkam. Stets war die Hausherrin bedacht darauf, sich vor Peternelle nicht blicken zu lassen. Den Mut zu fragen, ob es sich tatsächlich um Andres Hinterthur in der Dachkammer handelte, brachte Elsa nicht auf, obschon jede Logik sich allein für diese Tatsache aussprach.
In den nächsten Tagen belagerten nicht nur die Stadtdiener, sondern auch Reinhildens Töchter die Nerven ihrer Mutter. Genau wie es die Herrin gesagt hatte, strahlte Johanna eine Neugier aus, die ihren seidenen Schleier zwischen den Buckeln der Hörnerhaube nervös erzittern ließ, wenn sie den Kopf ruckartig in Richtung der Neuigkeit reckte. Johanna, Gemahlin eines hiesigen Tuchhändlers, teilte sich gern jedem mit, der nur lange genug zuhörte.
Was Johannas Talent, war Marias Laster – oder umgekehrt, je nachdem von welchem moralischen Standpunkt aus man die Hinterthur-Töchter betrachtete. Maria kam nicht leicht mit anderen Menschen ins Gespräch, schaute ihrem Gegenüber nie in die Augen, sondern eher auf die Nasenspitze und wich stets einen halben Schritt vor einem zurück, wenn man sie ansprach. Ihre abgekauten Fingernägel zeugten von überbordender Vorsicht, welche sich mittels Querfalten in ihre Stirn gegraben hatte. Ein Jahr jünger als die andere, strahlte sie, die sonst so Hübsche, heut den Liebreiz und die Eleganz einer alten Jungfer aus, die es aufgegeben hatte, sich nach einem passenden Ehemann umzusehen. Und das, obwohl Maria mit dem ansehnlicheren der beiden Schwiegersöhne vermählt worden war; einem Umgeher, was ein beachtlicher Rang in der Weberzunft am Ort