Ketzerhaus. Ivonne Hübner

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Ketzerhaus - Ivonne Hübner

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wenn sie von Josts Tod träumte, doch wachte sie stets schweißgebadet auf.

      Elsa war verunsichert und fahrig. Ihr gelang nicht viel an diesem Vormittag und deshalb beschloss sie, ihrer Mutter einen längst überfälligen Besuch abzustatten. Ihre Mutter wusste bestimmt, was man zum Schutz vor dem Beelzebub im Hause tun konnte, ohne, dass sie ihr verraten musste, was genau sich in der Nikolaigasse abspielte.

      Wie es die Fügung wollte, war Markttag. Elsa machte sich gemeinsam mit Peternelle auf den Weg zum Ringmarkt. Dieser fand sich nur wenige Schritte die Neißgasse westwärts bergan. Es war ein sich ringartig um die Stadtwaage schmiegender Platz. Schon nach wenigen Schritten die kleine Anhöhe empor war Elsa vom strengen Wind so durchgefroren, dass sie ihre Zehen in den harten Holzschuhen kaum mehr spürte. Die leere Kiepe auf ihrem Rücken wog jetzt schon so schwer, dass sie ganz außer Atem war.

      Elsa mochte nicht die vielen Menschen auf dem Markt. Sie verabscheute die Leiber, die sich an ihren Körper drückten. Sie hatte ab einem bestimmten Alter festgestellt, dass es die älteren Männer waren, die sich im Getümmel absichtlich eng an die Mädchen drückten, die Hände dann entschuldigend vor die Brust hoben, nicht ohne die der Mädchen zu streifen. Das hasste sie. Sie konnte den Gestank nicht leiden, der jedem einzelnen Körper entströmte. In einem reinen Körper stecke eine unreine Seele ging die Weisheit. Deshalb wuschen sich die Leute selten. Zumindest die Männer wuschen sich so gut wie nie. Und spätestens wenn die Frauen aus ihren Tagen waren, wuschen auch sie sich nicht. Schlimmer noch als der Geruch war der Lärm. Dieses schnaufende Ungetüm einer hundertköpfigen Schlange schnappte und kreischte, brüllte, ächzte, lachte, pfiff und schimpfte. Aber mehr noch als der Gestank und der Lärm nervte Peternelles Eile.

      Wie immer saß Peternelle die Zeit im Nacken, denn je schneller sie die Einkäufe erledigt haben würden, desto mehr Zeit blieb ihr, sich bei ihrem Liebsten einzufinden, ohne einen Ausbruch bei Reinhilde heraufzubeschwören, die keine Ahnung hatte, mit wem die erste Magd poussierte.

      Peternelles Liebster war der Schuhmachersohn Michel. Sein Vater war so reich, dass er eines der Handwerkerhäuschen in der Zeile bewohnen konnte. Die Zeile war die mittige Ansammlung von Häusern, die vom Ringmarkt umarmt wurde. An der östlichen Stirn befand sich besagte Waage, zu der die Händler mit ihren Gütern strömten wie die Gläubigen nach Santiago de Compostela. Bei diesem Gedanken war Elsa wieder bei Andres. Warum erzählte Reinhilde auch angeberisch von den Pilgerreisen, die Jahre zurücklagen und so, als habe sie sie selbst erlebt? Wohin Andres damals gereist war, hatte Elsa vergessen. Irgendwas Italienisches.

      Die Schuhe, die Michels Vater herstellte, waren nicht zu vergleichen mit den italienischen und trotzdem so hochwertig, dass Michel Anwartschaften auf gut Bürgerliche anmelden durfte. Wahrscheinlich, so überlegte Elsa, war Peternelle das gar nicht klar. Doch würde diese Erkenntnis Peternelle dann hart treffen, wenn der reiche Schustersohn die gut betuchte Posamentenmachertochter heiratete, wovon der Klatsch zu berichten wusste, wovor Peternelle aber vehement die Ohren verschloss. Die Posamententochter war sehr schön.

      Für Elsa war es nicht schwer, andere Mädchen schön zu finden, denn in einem jeden meinte sie, den Spiegel ihrer eigenen Makel zu finden. Sie hätte es nicht benennen können, aber ihrer Nasenspitze fehlte der freche Stups, sie folgte schnurgerade dem vorgezeichneten Weg. Ihrem Haar mangelte es am Gold des Honigs. Sie war froh, es unter der Haube verstecken zu können, so fiel der Schlag ins Rote nicht auf, wenn man es nicht wusste. Ihren Wangen ging jenes Rosé von verdünntem Wein ab, das im Allgemeinen ein Attribut für Gesundheit war. Elsas Wangen waren blass. Ihre Lippen waren nicht zu vergleichen mit saftigen Erdbeeren, und ihre Augen waren weit entfernt vom Strahlen eines Sonnentages. Ihre Augen waren grau oder graugrün mit braunen Sprenkeln. Oder braun mit blauen und grünen Sprenkeln. Ihre Augenfarbe war auf der dunklen Wasseroberfläche in den Putzeimern schwer zu deuten. Doch ihre Brüste, waren gut: rund, nicht zu voll, nicht zu platt, hingen nicht, standen nicht ordinär ab. Das lederbraune Rund saß genau mittig und reckte seine zartrosa Knospe mutig der Welt entgegen. Das nützte ihr aber nichts. Mit ihren Brüsten konnte sie kaum hausieren gehen. Gott bewahre! Elsa konnte sie nicht für sich sprechen lassen, um auf dem Markt die Preise zu drücken.

      „Nun komm endlich!“, knurrte Peternelle und zerrte Elsa am Arm mit sich, sodass die einen ihrer Holzschuhe verlor. Sie stolperte mindestens einmal am Tage über ihre eigenen Füße. Sie wusste nie so recht, wohin mit ihren Gliedmaßen, die stets und ständig im Wege zu sein schienen.

      Elsa griff nach ihrem Schuh. Doch sie langte ins Leere, weil der von irgendwem weggestoßen wurde. Wer fluchte wütender? Elsa oder Peternelle? Elsa verfolgte auf allen Vieren ihre schlitternde Pantine. Diese wurde von den Marktgängern unwissentlich vorangeschoben und torkelte über das Pflaster wie ein Hühnerei. Elsa ließ ihren Schuh auch nicht aus den Augen, als die Menschenbeine dicht wie ein Wald vor ihr aufragten. Und dann, endlich lichtete sich der Wald und Elsa hechtete auf den freien Plan, bekam das Schuhwerk zu fassen und richtete sich auf.

      Tosender Applaus. Elsas Blick streifte die Masse von Leuten, die im Halbrund um sie standen: jubelnd, und klatschend.

      Sie war verwirrt und ihre Blicke landeten passgenau in Johanna Hinterthurs schockstarren Augen.

      „Wenn du dich endlich davonbewegen würdest“, sagte eine knorrige Stimme hinter ihr. Elsa wandte sich um und entdeckte den Marktschreier, dem sie vors Podest gerannt war. Der Applaus hatte nicht ihr gegolten. Das Gejohle war seiner neuesten Verkündigung gezollt worden. Mit frischer Zunge düngte er die Köpfe der Leute und zeitigte die Neuigkeiten, die seit zwei Tagen die Menschen der Stadt beschäftigten.

      Elsa zog die Pantine an und den Kopf ein. Sie huschte in Richtung der Menschengruppe und stellte sich neben Andres’ Schwester Johanna, dunkelblau gewandet wie die Jungfrau Maria. Der Blick, den sie dem Schreier widmete, war kalt und Elsa entging nicht, dass ihr, Johanna, von einigen Umherstehenden scheele Blicke zugeworfen wurden. Es dürfte nur allzu bekannt sein, dass sie die Schwester des als Ketzer Verschrienen war. Das, was der Neuigkeitenerzähler zum Besten gab, handelte von Gottesstrafe, vom Jüngsten Gericht und davon, dass keine ehrbare Menschenseele in Versuchung geraten dürfe, einem flüchtigen Ketzer Schutz zu bieten. Worte wie „Blasphemie“, „Haeresis“ und „Ächtung“ schwappten herüber. Johanna bedachte Elsa nicht mit ihrer Aufmerksamkeit, als sie grollte: „Er beschmutzt mein Ansehen. Das Ansehen meines Mannes!“ Dass sie nicht den Schreier, sondern ihren Bruder meinte, begriff Elsa. Sie legte der anderen teilnahmsvoll die Hand auf den Unterarm, mehr konnte sie für Johanna nicht tun. Diese schien von der Berührung kaum Notiz zu nehmen, wandte sich um und wurde von der Menschenmenge geschluckt.

      Elsa schaute noch einen Moment Johannas dunkelblauem Atlas hinterher, dann begab sie sich auf die Suche nach Peternelle. Die Stimme des Marktschreiers wurde faserig wie zu lange gereifter Kohlrabi, dann verschwammen die Worte wie Eierflocken im Eintopf und bald waren sie von der hungrigen Meute aufgefressen.

      Kaum entdeckt, schimpfte Peternelle mit ihr wie mit einem ungezogenen Kind. Die maulte, weil die Preise von Minute zu Minute stiegen. Kohl, Rüben, Zwiebeln und Honig musste auf Vorrat beschafft werden. Die vorweihnachtliche Fastenzeit hatte vor Kurzem begonnen. Bis Weihnachten durfte kein Fleisch mehr gegessen werden und auch keine Butter. Elsa erinnerte sich, dass Orwid Hinterthur einmal behauptet hatte, das Weihnachtsfasten sei erfunden worden, weil im Winter die Lebensmittel so knapp wurden, dass die Königshöfe, der Kaiserhof und der Heilige Stuhl befürchteten, zu wenig zu essen zu kriegen. Aus diesem Grunde müsse von den Armen genommen werden. Elsa war zwar schon erwachsen und heiratsfähig, aber sie wusste bis heut nicht, ob Orwid Hinterthur recht hatte oder nicht.

      Peternelle blieb abrupt stehen, als habe sie die heilige Gans erspäht. Elsa, ihre Schulter reibend, die sie an Peternelles Rücken gestoßen hatte, folgte dem Blick der anderen und schaute hinüber zum Marktschreier, den Peternelle vorhin gern ignoriert hatte. „Woran ist der alte Hinterthur eigentlich gestorben?“

      „Weiß ich nicht“,

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