Ketzerhaus. Ivonne Hübner

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Ketzerhaus - Ivonne Hübner

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zu sehen war. Jetzt, da die Lepra seltener wurde, hatte das Armenhaus die Aufgabe, die Mittellosen aufzufangen. Dabei handelte es sich um jene privilegierte Armen, die einen Bürgen hatten, der sich um Kost und Logis kümmerte. Wer keinen Bürgen vorwies, wurde nicht im Hause der Mildtätigkeit aufgenommen, sondern landete in der Gosse, bettelte, verhungerte oder verendete an einer dieser vielen Krankheiten, die sich schnell über einen geschwächten Körper hermachten. Doch so lange es einen Bürgen gab, nahm man die Armen gern auf. Die Versorgung der Hilfsbedürftigen mit dem Notwendigsten war gegeben, da die Besseren sich gern ein Stückchen Seelenheil sicherten, indem sie tatkräftig spendeten. Das Armenhaus konnte geheizt, instand gehalten und seine Bewohner verpflegt werden. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, sagte Siegtraut gern.

      Im Jakobsstift war Elsa ein häufig begrüßter Gast. Besonders gern gesehen war sie in der Küche. Dort brachte sie die roten Rüben und die Handvoll Erbsen hin, erhaschte ein gutmütiges Lächeln der Vorsteherin und ging nach hinten zum Holzhaus, wo in kleinen Kammern die Mittellosen untergebracht waren.

      Als Elsa mit ihrem Klopfen in die Stube trat, schlug ihr der Wohlgeruch von Lavendel, Ringelblumen und Melisse, gemischt mit allerlei Düften von Blüten, Wurzelteilen und Rindenspänen in die Nase, die in Leinensäckchen an Haken und in irdenen Gefäßen auf Wandborden lagerten. Zwar war Johannes Mälzers Hinterbliebenen der Zunftgroschen verwehrt, weil der Mann sich zu Lebzeiten den Zunftgeboten widersetzt hatte, doch durfte Katharina Mälzer ihre Kräuter und Steine, ihren Rat für kleine Wehwehchen feilbieten.

      „Mutter, ich bin’s, die Els“, rief die Eintretende ausgesucht fröhlich, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie furchtbar fror und in Eile und eigentlich schon wieder auf dem Rückweg war. Ihre Mutter durchschaute sie mit dem dritten Auge, auch wenn sie mit dem Rücken zu ihr saß.

      „Nimm am Feuer Platz, Els, wärm dich auf, erzähl vom Treiben in der Stadt.“

      Elsa erkundigte sich zunächst nach den Schwestern. Anneruth und Irmel verdingten sich im Spital, erzählte die Mutter. „Doch der Herr allein weiß, wo sich Siegtraut herumtreibt!“ Katharina Mälzers Lächeln war unerschütterlich, obschon Elsa wusste, ihre Mutter sorgte sich um ihre Zweitälteste.

      Siegtraut war zu alt, um tagein, tagaus im Armenhaus zu hocken und zu jung, um sich in der Stadt herumzutreiben. Eine Anstellung hatte sich bislang nicht gefunden. „Es sind schwere Zeiten, Mutter“, setzte sich Elsa neben sie. „Weil doch die Münze nichts taugt.“ Der Wertverfall der Münze war nicht schuld an Siegtrauts Lage. Das wusste sogar Elsa. Eine aus dem Armenhaus durfte nicht auf eine gute Partie hoffen. Elsa übrigens auch nicht. Elsa stand in Kost und Logis und hatte nicht damit zu rechnen, sich jemals eine Mitgift anzusparen. Sie hatte nichts. Eine Magd ohne Mitgift konnte froh sein, wenn sie von einem Gerber geheiratet wurde. Doch die Gerber trugen grobes, kratzendes Tuch am Leib und stanken bis zum Himmel. Ihre Hütten erst recht. Man fand sie stromabwärts am nördlichen Zipfel vor der Stadtmauer. Nein, Elsa wollte keinen Gerber. Dann lieber ein Leben als jungferliche Magd.

      Sie knetete ihre Finger vor dem offenen Kaminfeuer und erzählte vom Markttag, von dem Münzenschmuggler vorhin am Tor, nicht aber von der Frau, die man wegen ein paar Papieren entblößt hatte. Gott allein wusste, ob die Ärmste ihren Tag am Schandpfahl würde verbringen müssen oder direkt in die Büttelei gebracht wurde. Elsa erzählte von den Preisen auf dem Markt, die in schwindelerregende Höhe gestiegen waren, von Reinhilde, „Die hat Kummer, aber hält sich tapfer“, und biss sich auf die Unterlippe. An der Regung auf dem Gesicht ihrer Mutter aber erkannte sie, dass diese längst Bescheid wusste. „Der Andres – vogelfrei.“

      Katharina nickte versonnen, das Gesicht ihrer ältesten Tochter zugewandt, die Augen starrten an Elsa vorbei. Elsa wusste nicht, was sie weiter erzählen könnte und kam auf den eigentlichen Grund ihres Besuches. „Soso, einen Stein brauchst du“, murmelte ihre Mutter, nachdem Elsa mit ihren Anliegen herausgerückt war. „Einen Stein, der dich vor dem Beelzebub schützt?“ Elsa beobachtete, wie ihre Mutter einen Wimpernschlag lang die linke Augenbraue interessiert hochzog. Dann erhob sie sich von ihrem Schemel. Zielsicher ging sie in der engen Kammer hinüber zur Regalwand, wo in kleinen Körben jene Steine ruhten, die sie mit Sprüchen und Weihwasser zu dem machte, weswegen die Leute herkamen, um sie zu kaufen. Kraftsteine.

      „Er ist wie ein Lebewesen, Els, behandle ihn gut.“

      Elsa wartete, bis sich ihre Mutter wieder auf den Schemel gesetzt hatte. Katharina öffnete die Faust und auf dem fingerlosen, verschlissenen Handschuh glänzte weiß und hell ein etwa daumennagelgroßer Stein. Ein Bergmann brachte ihr den Bergkristall aus dem Zittauer Gebirge mit. „Es ist ein besonders schönes Stück.“ Elsa erkannte, was ihre Mutter meinte, und beobachtete, wie Katharinas Fingerspitzen die Kanten und kegelartigen Erhebungen der Herzform umrundeten.

      „Es gibt keinen Stein, der dich vor dem Beelzebub bewahrt, das kann nur dein Glaube und dein tugendhaftes Leben“, sagte Katharina rau. „Dummkopf, der etwas anderes behauptet. Dieser Stein bestärkt dich in deinem Glauben, schützt deinen Leib und deine Seele vor dem Schlechten. Knüpfe ihn um ein Band, geflochten aus dem Haar einer reinen Seele – Anneruth!“

      „Sie ist nicht hier, Mutter.“

      Die Frau, die wohl vergessen hatte, dass die beiden Jüngsten Erledigungen nachgingen, nickte knapp. „Du kannst auch dein eigenes Haar nehmen. Trotz der Farbe. Trage den Stein über dem Herzen.“

      Elsa nickte gehorsam: „Und das schützt mich vor dem Teufel?“ Und wenn es Andres Hinterthur war, so war er vom Leibhaftigen besessen und deshalb geächtet!

      „Der Teufel!“, stieß Katharina aus und für einen Sekundenbruchteil verschwand ihr Lächeln vom Gesicht. Dann sagte sie mild. „Wenn der Teufel in Gestalt eines Menschen unter uns weilt, kann dich keine Macht vor ihm beschützen, wenn er etwas Schlechtes mit dir vorhat und dich zu seinem Werkzeug macht. Dann wird es so geschehen.“ Sie bekreuzigte sich und erhob sich abermals mit knackenden Knien und kaum vernehmbarem Ächzen. „Hier, nimm der Reinhildin etwas vom Mädesüß mit, weil sie immer unter diesem Kopf leidet.“ Elsa musste aufbrechen. Sie hatte viel zu lange verweilt.

      Die Tür flog auf und herein wirbelte Siegtraut – „Am Frauentor, da …“ – in dem Moment, als Katharina ein kleines Säckchen mit dem süß-herb duftenden Kraut in Elsas Hand legte. „Was machst du denn hier?“, zog sie die Augenbrauen hoch, während sie mit dem Hinterteil die Tür zustieß.

      Elsa erhob sich. „Es ist Zeit zu gehen, Mutter, auf bald.“

      „Was ist am Frauentor?“, begehrte Katharina zu erfahren.

      „Hat sie wieder was geholt, ohne zu zahlen?“, wich Siegtraut der Frage der Mutter aus und spitzte auf das Säckchen in Elsas Hand, wobei sie die Arme vor der Brust verschränkte.

      „Sie gibt mehr, als uns zusteht“, sagte die Mutter und Elsa war froh, dass sie den kleinen Bergkristall längst verwahrt hatte.

      „Wo kommst du so spät her? Es wird bald dunkel draußen!“ Elsa wusste, es ging sie nichts an. Sie war nicht Siegtrauts Vormund. Das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Schwester war verseucht von Neid seit dem Tage, da Elsa eine Anstellung bei der Reinhildin gefunden hatte und Siegtraut mit sechzehn Jahren immer noch ohne Auskommen war.

      Siegtraut löste ihre provokante Haltung. „Sprich aus, was du denkst.“ Ihre Augenbrauen zuckten angriffslustig.

      „Hast du gebettelt?“

      „Was denkst du denn? Zuerst habe ich gebettelt, dann habe ich mir von einem Reichen was zum Essen kaufen lassen und danach hab ich mich in sein Bett gel …“

      „Das reicht“, schoss Katharina einen Pfeil

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