Ketzerhaus. Ivonne Hübner

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Ketzerhaus - Ivonne Hübner

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      Elsa wunderte sich nicht über Peternelles Neugier. „Ich glaube, es war eine Krankheit. Wieso fragst du?“

      „Vielleicht sind sie von der Erbsünde befallen?“ Peternelle ruckte mit dem Kinn aufmüpfig Richtung Marktschreier. „Vielleicht hat der Andres das Gleiche angestellt wie sein Vater?“

      „Er ist an einer Krankheit gestorben“, rebellierte Elsa, obwohl sie den Wahrheitsgehalt ihrer Worte nicht kannte.

      „Aber du weißt es nicht sicher! Komm hier herüber. Die sehen gut aus“, riss Peternelle sie am Arm und aus ihren Gedanken. Die Grünkohlköpfe, die in der Kiepe auf Elsas Rücken wanderten, waren nicht die schönsten, aber immer noch besser als das, was man noch kriegte, wenn die Meute sich vom Marktschreier losgemacht und über das Gemüse hergefallen sein würde. „Woran erkennt man so einen Ketzer, wenn man einen vor der Nase hat?“, fragte Elsa, deren Gedanken um nichts anderes kreisten.

      Der Bauer hinter dem Warentisch wandte sich zu ihr: „An der riesigen Nase, der Warze darauf und den struppigen Haaren.“ Er tippte jedes benannte Körperteil an. Der Mann nickte zu seinen Worten und beteuerte im Brustton der Überzeugung weiter, die meisten Ketzer hätten eine verkrüppelte Hand. „Oder ein kaputtes Bein und hinken. Manche haben auch verdrehte Finger, genau wie der Gehörnte.“ Dieses Mal fuchtelte der Bauer wissend mit den Händen herum. Die Riemen der Kiepe schnitten in Elsas Schultern, das Gewicht der Kohlköpfe zog sie nach hinten, als sie den Bauern entlohnten und gingen.

      Peternelle feilschte nicht schlecht um drei Dutzend rote Rüben, ebenso viele Lauchstängel, Zwiebeln und zwei Beutel Erbsen. Davon nahm Peternelle eine Handvoll und stopfte sie in Elsas Umhangtasche. Ein verschwörerischer Blick wurde zwischen den Mädchen getauscht. „Und ein Weck für Anneruth, wenn ich etwas länger bleiben darf.“ Elsa nickte und Peternelle steckte ihr auch den zu.

      Die Kiepe war so entsetzlich schwer, dass Elsa sich ihrer bei Peternelle entledigte. Sie würde sie später nach deren Stelldichein wieder in Empfang nehmen. Viel leichter und geschwinder jetzt verschwand Elsa in östliche Richtung. Verließ den Ring entlang der Brüderstraße gen Süden, um hier, am Kloster vorbei an der Südseite des Neumarktes hinüber zum Frauentor zu gelangen. Das Steintor neben dem dicken Turm war ein trutziger Bogen, ein offenes Maul, das schrie: Hier herein und von hier fort kommt niemand unbemerkt. Über dem Torbogen prangte das Stadtwappen, umgeben von den Steinbildern. Die zeigten Maria und Barbara und eine Inschrift, die Elsa nicht entziffern konnte, weil sie das Alphabet nur bis zum P kannte und auch dies nur noch unsicher. Seit der Lehrzeit bei ihrer Mutter hatte Elsa nie wieder den Antrieb und schon gar nicht die Zeit gehabt, die Buchstabenfolge zu vervollständigen. Flankiert wurde das Steinmaul von zwei steil emporragenden Zeigefingern: Überlegt es euch noch mal – draußen ist es gefährlich. Draußen hält der Rat nicht seine schützende Hand über euch.

      Im breiten Tordurchgang stauten sich die Leute. Elsa hörte den Tumult schon von Weitem. An normalen Tagen kam man, wenn man seinen Namen und Bürgen nannte, leidlich geschoben und gequetscht in die Stadt hinein und auch wieder raus. Wenn Markt gehalten wurde, musste man eine eingehende Begutachtung über sich ergehen lassen. Erst recht, wenn man drei Vogelfreie suchte. Elsa reihte sich in die Schlange der Wartenden ein.

      Das Tonnengewölbe verzerrte die Flüche derer, die es eilig hatten. Auch gab es zu dieser fortgeschrittenen Morgenstunde immer noch Händler und Käufer, die in die Stadt wollten. Eine Hühnerfrau mit schwerem Oberlausitzer Mundwerk beschwerte sich, dass ihre Hühner zu alt würden und sie keiner mehr kaufen wollte, wenn das hier noch lange dauerte. Ein Korbmacher fiel ins Gemecker ein, die Weidenruten seiner Körbe würden neu austreiben, wenn man ihn noch länger zwang, hier in der feuchten Kälte zu stehen.

      In der Tat staute sich die Kloake in den Spurrinnen im Gewölbe zu matschigen, stinkenden Rinnsalen. Hier, wo kaum ein Sonnenstrahl hinreichte und der Strom der Reisenden nie abbrach, trockneten die immer breiter werdenden Fugen im Grauwackepflaster nie ganz ab. In den tiefen Rinnen, die die Fuhrwerke mit der Zeit gegraben hatten, schäumte das gelbe Tauwasser, sodass Elsa nicht nur eiskalte, sondern bald auch nasse Füße hatte. Vom Gestank der Äpfel und Fladen, die die wartenden Pferde- und Ochsengespanne zurückließen, ganz zu schweigen.

      Gezeter wurde laut, weil, so kam das Raunen bis zu Elsa an, jemand die schlechte Münze aus Görlitz herausschmuggeln wollte. Es war aber verboten, die Görlitzer Münzen auszuführen. Die Torwächter unterlagen da der königlichen Order, obschon sie dem Rat der Stadt gern dabei geholfen hätten, die Schrötlinge loszuwerden. Der Befehl des Königs aber wog schwerer. Also wurde dem Delinquenten das Geld abgenommen und er achtkantig der Stadt verwiesen, nicht ohne dass dem Ganzen über Gebühr Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet wurde.

      Elsa beschlich eine Angst, sie würde weder rechtzeitig raus-, noch beizeiten wieder in die Stadt zurückkommen und Ärger mit Peternelle und anschließend mit Reinhilde riskieren. Elsa überlegte hin und her, während sie geschubst und geschoben wurde, ob sie nicht lieber zurück zum Ringmarkt laufen sollte. Ihre Unsicherheit wuchs, als vorn in der Reihe, wo die Turmwächter die Leute inspizierten, schrilles Geschrei und Gekeife laut wurde. Elsa war zu klein, um über die Hünen vor ihr hinwegspähen zu können. Auf den Gesichtern der Leute spiegelten sich geile Sensationslust und unwürdige Neugier. Das Geschrei von da vorn kam aus der Kehle einer jungen Frau, aber was sie angestellt hatte, dass man sie dermaßen triezte, konnte Elsa dem Tumult nicht entnehmen.

       Den Seelen im Fegefeuer scheint ebenso eine Minderung des Grauens, wie eine Mehrung der Liebe notzutun.

      Die arme Seele war nackt und musste entsetzlich frieren. Sie versuchte mit der einen Hand ihren Oberkörper, mit der anderen ihre Mitte zu bedecken. Elsa, die, anders als die übrigen Gaffenden, sich bemühte, wenn überhaupt, dann ins Gesicht der gedemütigten Frau zu sehen, spürte eine Wut tief im Innern gären, während ihre Taschen vom Torwächter durchsucht und die wenigen Rüben und die Handvoll Erbsen gezählt wurden.

      Das Mädchen, das bloßgestellt wurde, war sehr hübsch. Sie war keine von hier. Das konnte Elsa gleich erkennen. Dem Mädchen fehlte die zweifelnd aufgeworfene Stirn oder zumindest das Fragende im Blick, was jedem hier anhaftete. Anstelle der Streiteslust der Lausitzer und dem losen Mundwerk der Schlesier war sie beseelt von Stolz und Aufrichtigkeit. Ihr Haar war flachsblond, wie es Elsa nur von ihrer Schwester Siegtraut kannte und wie es den Leuten hier eigentlich fremd war. Die Augen der meisten hier waren hell. Die Augen des Mädchens waren dunkel und wachsam.

      Für einen Sekundenbruchteil glitt Elsas Blick in den der Fremden und dieser Augenblick fuhr ihr pfeilschnell und scharf ins Herz. Elsa versuchte sich an einem Lächeln für die Fremde, von der sie nicht wusste, was sie sich hatte zuschulden kommen lassen und ob die Strafe vielleicht sogar gerecht war. Ihr Lächeln verfehlte seine Wirkung, denn der starre Blick der Fremden glitt an ihr vorbei und Elsa wurde unsanft weitergeschoben; weiter voran, um den nächsten Passanten zu durchsuchen.

      „Was hat sie angestellt?“, fragte Elsa einen gutmütig dreinschauenden Bauern, neben dem sie das Tor hinaus auf die Felder im Süden der Stadt passierte.

      „Sie hat Papier dabei gehabt.“

      „Papier?“ Elsa überlegte, seit wann Papier etwas Anrüchiges, Verbotenes war, wurde aber nicht schlau daraus und den Bauern konnte sie auch nicht weiter befragen, denn der suchte mit großen Schritten das Weite, froh, dem städtischen Mief entkommen zu sein, um sich wieder seiner Hufe zu widmen. Ein jeder Markttag musste eine Last für die Bauern sein, zumal sie so wenig vom Ertrag überhaupt zum Markte tragen durften. Das meiste wurde vom Lehnsherrn eingefordert. Der geringste Teil musste zum eigenen Überleben reichen.

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