Ketzerhaus. Ivonne Hübner

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Ketzerhaus - Ivonne Hübner

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Gedanken glitten in den Apfelbaum zurück. Es gehörte sich nicht, das Gebet zu sprechen und die Lithurgie zu singen und gleichzeitig nur an diesen Jungen zu denken.

      Es lag sicher nur an seinem Aussehen. Das Oberlausitzische war gnädig zu seinen Menschen. Anders als das Böhmische mit seinen Mondgesichtern hinter dem riesigen Gebirge. Aber dort redete man sicherlich genauso über die Hiesigen. In der Markgrafschaft Oberlausitz war die Luft rein, waren die Herzen fromm. Es gab nur wenige Exemplare, denen Elsa das Attribut wirklicher Hässlichkeit hätte anheften wollen. Die Hinterthurs waren allesamt von einer Ebenmäßigkeit gezeichnet, die einen schaudern ließ. Alle außer einem: Womit der Jost gesegnet war, war dem Andres abholt. Der war blass, schien verhärmt und schmal und seine Extremitäten taten stets etwas anderes, als sie sollten.

      „Wer mit so viel Schönheit in der Jugend gesegnet ist, dem steht Schlimmes im Alter ins Haus“, pflegten die Basen zu wettern, wenn das Gespräch auf die Hinterthur-Sprösslinge fiel. Sicher: Man durfte dem Orwid Hinterthur nicht zu viel Segen und Glück wünschen, wenn man als Mälzer überleben wollte. Doch waren die Hinterthurs vom besonderen Schlage. „Wer reich und schön ist, hat doch was beim Gehörnten schuldig“, meinte die Schwägerin einmal und Katharina Mälzer erwiderte: „Das wäre mir egal. Ich würde jede meiner Töchter den Jungs geben.“ Worte, die Elsas Herz hüpfen ließen. Freilich: Das hatte die Mutter nur so dahingesagt, wie sie sich schon des Öfteren einen jungen Burschen von der Straße weg ins Haus gewünscht hatte, weil ihnen eben der anpackende Sohn fehlte. Elsa aber blieben diese Worte besonders im Gedächtnis. Von allen Buben in der Gemeinde war der Jost ihr der liebste. Gedanken, mit denen sich Elsa versündigte.

       Der Papst kann keine Schuld vergeben, es sei denn er erkläre und bestätige, sie sei von Gott vergeben, oder sofern er die ihm selbst vorbehaltenen Fälle vergibt, die zu missachten ein Verbleiben in Sündenschuld bedeuten würde.

      Die Weihnachtszeit war insofern die schönste, da man jetzt besonders häufig in die warme Kirche kam. Elsa achtete darauf, bei der Eucharistiefeier zu Josts Linker zu stehen. So nahm sie den Kelch von seinen Lippen, und sie tat so, als berührten ihre die seinen.

      Es wunderte sich die Katharina Mälzer über die plötzliche Frömmigkeit der ältesten Tochter. Sie stellte die biblia picta, Erbstück der Mutter und Großmutter, bereitwillig zur Verfügung. Das Kind sollte der Heilserlangung teilhaftig werden. Die aus ihrem Einband weitestgehend gelösten Blätter waren an den Rändern speckig, eingerissen sogar. Überaus kostbar war das Buch. Doch im Grunde nichts weiter als eine zerschlissene Blattsammlung mit vielen verblichenen Stellen und wenig Text.

      So klang das Jahr im Herrn Fünfzehnhundertzehn aus. Die Schicksalsschläge, die in diesem Jahr über die Parochie hereingebrochen waren, wurden einem gnädiglichen Vergessen anheimgegeben oder zumindest versucht zu verdrängen und in eine weit entfernte Vergangenheit geschoben.

      Elsa ging beständig in die Kirche. Sie beneidete die Jungen, die mit Hochwürden Horn nach dem Gottesdienst den Katechismus lernten. Mit Elsas Frömmigkeit zeigte sich Meister Mälzer gern und erzählte jedem, der es nur wissen wollte, wie eilig es die Zehnjährige hatte, am Kirchentag das Weihwasser zu nehmen und stets in Reue und Demut ganz hinten zu sitzen. Dass der kindliche Antrieb ein ganz und gar unfrommer war und Elsa hinten Platz nahm, um ab und an Jost einen Blick zuzuwerfen, das erkannte lediglich ihre Mutter.

      Katharina Mälzer erbat sich beim Priester Simon Horn die Erlaubnis, dem Kind das Lesen der biblia picta beizubringen. Zunächst lachte der Priester über die Schnapsidee. Als er erkannte, dass Katharina Mälzer von bitterem Ernst beseelt war, erlaubte er ihr, dem Mädchen das Alphabet beizubringen. Außerdem dürfte dem gelegentlich in der Parochie predigenden Geistlichen bekannt sein, dass die Kräuterfrau zumindest die Damen der Schöpfung auf ihrer Seite hatte. Insgeheim glaubte er nicht daran, dass der Backfisch weiter als bis zum G kam. Dass Elsa es bis zum P schaffen würde, konnte er da noch nicht wissen. Für die priesterliche Absolution die Lektionen betreffend, forderte Horn für seine alte, gebrechliche Mutter ein stärkendes Tonikum, welches Katharina aus Kräutern fertigte.

      So stand Elsas frommem Ansinnen nur noch der eigene Vater im Wege. Ein Weibsstück hatte nicht zu lesen! Johannes Mälzer gehörte zu denen, die dachten, wenn man etwas lange genug nicht tut, kann man es eines Tages auch nicht mehr. Bei seiner eigenen Eheschließung hatte er gehofft, niemandem würde auffallen, dass sein Weib lesen konnte, hatte gehofft, sie würde es verlernen. Vielleicht hatte er recht. Die Bilderbibel war ja eben bebildert, damit man nicht lesen können musste. Das war Mälzers Ansicht. Dem Wort des Priesters aber widersetzte er sich nicht. Er tat auf andere Weise seinen Unmut kund.

      An einem stürmischen Januarnachmittag begann Katharina Mälzer also den Unterricht. Es war einer jener Tage, an denen man nichts anderes tun konnte, als bei geschlossenen Fensterläden um das Feuer herum zu sitzen und zu warten, dass der schreckliche Winter mit all seiner Kälte und Ungemütlichkeit vergehen möge. Elsas Mutter streute Asche auf ein Brett und zeichnete mit einem Stecken das A hinein.

      Die Gelegenheiten, in denen Tochter und Mutter ungestört üben konnten, waren spärlich gesät. Die Frucht nicht üppig. Dafür sorgte schon Johannes. Wenn Elsa nicht mit der Mutter übte, versuchte sie mithilfe der Buchstaben, die sie bereits kannte, neue Wörter zu entschlüsseln. Die Handschrift der Armenbibel jedoch war so unstet, dass sie auf jeder Seite unterschiedlich aussah und es Elsa schwerfiel, Buchstaben, geschweige denn Wörter zu finden. Entzifferte sie doch mal eines treffsicher, fehlte ihr noch die Übersetzung aus dem Lateinischen in die Volkssprache. Mit Latein war es bei Katharina Mälzer auch nicht weit her. Elsa nahm diesen Umstand als Grund, mit Jost ins Gespräch zu kommen.

      Sie waren über die oberen Grenzen des Dorfes hinaus, da hatte sich Elsa längst in haltloses Geplapper verstrickt. Sie wurde von Jost ausgelacht, von Andres missmutig in ihrem kindlichen Verständnis von heiligen Zusammenhängen korrigiert. Einige Tage auf dieses dumme Gespräch klopfte es, leise aber dringend. Katharina Mälzer wusch mit den Jüngeren am Schwarzbach die Wäsche, der Vater hatte in der Sudküche zu tun. Elsa öffnete die Tür. Die Überraschung, einen der Hinterthur-Burschen zu erblicken, wog die Enttäuschung, dass es der falsche war, nicht auf. Andres übersprang die Grußformel und streckte Elsa ein Leinenpäckchen entgegen. „Die kannst du haben.“

      „Was ist das?“

      „Eine Bibel.“

      „Eine Bibel?“

      „Ja. Ich denke, wenn es dich wirklich interessiert, kommst du mit den Bilderzetteln nicht weit.“

      „Bilderzettel!“ Bezüglich der Degradierung des größten Familienschatzes stemmte Elsa die dünnen Fäuste in die Hüften und bot trotzdem keine Angst einflößende Erscheinung. Andres reckte wachsam das Kinn. Er beäugte das gereizte Mädchen von oben herab und nahm das Päckchen, das er dem Mädchen die ganze Zeit hingehalten hatte, zurück vor seine Brust, als könne es ihn vor dem kindlichen Zorn schützen.

      „Blasphemie ist das und ich werde es dem Hochwürden Horn sagen!“, schimpfte Elsa aus Wut, weil nicht Jost, sondern der andere zu ihr gekommen war.

      „Es wird ihn brennend interessieren“, spöttelte Andres, meinte aber nicht, was er sagte. Das erkannte Elsa sehr wohl. Und ihr entging nicht das kleine Lächeln, das ihm nur flüchtig in den Mundwinkel gerutscht war. Das machte sie nur noch wütender. Im Grunde war ihr die Sache mit der Heiligen Schrift ganz egal, aber es hätte der andere sein müssen, der auf sie aufmerksam wurde. Dem Jungen, der es bestimmt nur gut gemeint hatte, aber eben der falsche war, knallte sie die Tür vor der Nase zu.

      Und dabei

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