Inquietudo. Alexander Suckel

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Inquietudo - Alexander Suckel

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      ?

      Brauchst es ja nicht zu verraten. Hat mich nur gewundert, wieso du nen Stein ins Fenster von einem Spielwarenladen schießt, mitten am Tag, und dann einfach stehen bleibst unter den ganzen Leuten. Ich hätt wenigstens versucht, irgendwas mitgehen zu lassen. Wieso eigentlich ein Spielwarenladen, das ist doch doof.

      Geht dich nichts an.

      Du hast echt eine Macke.

      Vielleicht. Bist du jetzt fertig?

      Vince zog die Beine an, hockte frierend wie ein nackter Embryo auf der Bank und vergrub das Kinn zwischen den Knien.

      Hast du Hunger?

      Das Mädchen reichte ihm ein halbes Salami-Brot, das in einer Papiertüte steckte. Ohne Zögern griff Vince danach und biss hinein. Er hatte seit vorgestern nichts mehr gegessen.

      Darf ich mich wenigstens kurz setzen?

      ***

      Er hatte sie wiedergesehen auf dem Geburtstagsfest eines gemeinsamen Bekannten, Jorgens, ein Wirtschaftsjournalist. Es war ein langweiliger Abend, er hatte es vorher geahnt und sich in einer Bar mittels ein paar Gläser Wodka entsprechend präpariert. Er wusste, wenn ein wohlausstaffiertes, gut möbliertes Wesen wie Jorgens vierzig wird und dazu einen Haufen aufgeblasener, reichlich angefetteter Kollegen aus den Wirtschaftsressorts diverser Tageszeitungen und Rundfunkanstalten einlädt, kann das nur ein grauenvolles Ende nehmen. Man schweift übergangslos von der Zote zum Nasdaq, vom Altherrenwitz zum Anlagetipp, findet sich wesentlich und den Rest der Welt unter Niveau. Mit dem Letzteren mochten sie Recht haben, mit allem anderen konnte man herzlich wenig anfangen, und nur eine langgehegte Zuneigung zu Jorgens konnte ihn davon abbringen, abzusagen.

      Wie ausgerechnet sie in diese Versammlung frühergrauter Zyniker geraten konnte, war nicht ganz klar. Er passte sie in einem günstigen Augenblick ab und goss ihr einem Wodka ein. Schön war, dass sie Wodka trank, weitaus schöner war, dass sie sich offenbar genauso langweilte wie er. Weniger schön fand er, dass sie sich seiner nicht mehr erinnerte. Er hatte allerdings keine Lust, sie auf den Besuch in der Bar hin anzusprechen. Es wäre ihm irgendwie kleinlich vorgekommen. Sie arbeitete beim Fernsehen, war eine gefragte Person dort, moderierte eine Menge Sendungen, Interviews mit mehr oder minder bekannten lokalen Größen, Sportsendungen mit Bezirksligaspielen diverser, völlig absurder Sportarten. Sachen, deren tieferer Sinn ihm verborgen blieb. Er wusste, er hätte sie anrufen können, könnte wie zufällig an dem einen oder anderen Ort erscheinen, an dem sie sich sicherlich aufhalten würde, hätte das komplette Repertoire des Leim-Ansetzens und der gewollten Zufälle abspulen können. Er konnte auch nicht behaupten, dass ihm dazu jegliches Talent fehlte. Allein er verspürte keine Lust dazu. Er vertraute vielmehr darauf, zurecht, wie sich herausstellte, dass es einen Augenblick geben würde, der sie auf eine tatsächlich zufällige Art wieder zusammenführte. Sie hieß Marcenda. Dies hatte er inzwischen erfahren. Nicht viel, aber für einen Anfang genug und für die überbordende Fantasie mehr als genug. Sie hatte das Gesicht, das er liebte. Es sollte vorerst das letzte Mal sein, dass er sie sah.

      ***

      Am selben Abend lungerte Vince in Kruses Bar herum, Monate, bevor es ihn nach Spanien verschlagen sollte. Es war wiederum ein Abend mit wenig Betrieb, da hatte der Türsteher ein Einsehen mit dem leicht verwahrlosten, auf jeden Fall noch minderjährigen Besucher. Ein Aushilfspianist stocherte sich weitgehend talent- und erfolgfrei durchs Real Book der Jazzstandards. Vince grölte angetrunken: Üben, üben, üben, bis der Rausschmeißer tat, was ihm von Berufs wegen auferlegt war, und Vince an die frische Luft beförderte. Dies wäre nicht weiter berichtenswert, wenn es sich nicht um eine verpasste Gelegenheit gehandelt hätte; eine Gelegenheit einer Begegnung, die vielleicht nicht allzu oft eine Wiederholung finden würde. Wäre er ein paar Jahre älter gewesen, könnte man sagen, Vince hätte einen schweren Tag. Am Morgen wurde er von seiner Schlagzeug-Übungsgruppe suspendiert. Sein Lehrer beendete den Unterricht mit der lapidaren Mitteilung, es habe keinen Zweck, und eine Fortsetzung der Ausbildung wäre verschwendete Zeit. Seit dem Mittag betrank sich Vince. Zunächst in den Kneipen um den Ostbahnhof herum, dann, als er in seiner Jackentasche noch einen Fünfziger fand, wechselte er auf etwas vornehmere Lokale über. Das Taxi, mit dem Vince zur Bar gelangte, musste einen Umweg fahren, weil sich ein Unfall ereignete. Eine Frau war überfahren worden und lag regungslos am Straßenrand, begafft von vielen zufällig Daherkommenden. Dieser Umweg, rechnete Vince in seinem vom Alkohol benebelten Hirn nach, kostete ihn mindestens einen weiteren Drink.

      ***

      Einen Tag später reiste Kruse ab. Er wusste, mit dieser Reise würde er seine Gewohnheit durchbrechen, sich lieber alles vorzustellen und stattdessen den Ort nicht zu verlassen. Doch er wusste auch, dass er noch Wochen und Monate brauchen würde, sich des Geschehenen immer wieder zu erinnern; und dass er dennoch vor Verzweiflung über einen groben, sinnlosen und in seiner Grobheit und Sinnlosigkeit völlig unverständlichen Schlag ins Gehirnkontor darüber eingehen würde. Er kündigte sein Engagement in der Bar und begab sich in der stillen Hoffnung auf die Reise, vergessen zu können.

      ***

      Vince kaute gierig, verschlang das Brot mit riesigen, hastigen Bissen, als hätte er Angst, sie könnte etwas davon zurückfordern. Er nickte beiläufig auf die Frage des Mädchens, ob sie dableiben könne. Als Gegenleistung für etwas zu essen war ihre Anwesenheit gerade noch zu ertragen. Er würde schnell aufessen und wortlos gehen. Notfalls würde er rennen, dass sie ihm nicht hinterherlief.

      Von wo kommst du eigentlich her?

      Bin nicht von hier.

      Hab ich mir gedacht.

      Was hast du dir gedacht?

      Ich meine, woran sieht man denn, ob einer von hier ist oder nicht?

      Weiß nicht, sieht man eben, dass du nicht von hier bist. Siehst eben so aus. Außerdem redest du auch nicht so wie die von hier.

      Hab doch noch keine fünf Sätze gesagt.

      Eben.

      Hältst du mich für blöd oder was?

      Weiß nicht.

      Sieh dich vor.

      Etwas überraschend, nach einer Wolke aggressiven Schweigens: Bist du auch abgehauen? Vince hätte sich das letzte Wort gerne verkniffen, aber es war zu spät.

      Ach, abgehauen bist du? Woher: Aus einem Heim oder von zu Hause?

      Hör auf, mich auszuquetschen!

      Ist ja gut, reg dich nicht so auf, war ja nur eine Frage. Das Brot war trotzdem gut, oder? Ich habs nämlich geklaut. Geklaute Brote schmecken irgendwie anders.

      Vince starrte sie mit einem ziemlich dusseligen Gesichtsausdruck an. Du hast … was …?

      Ja, ich habs geklaut. Aus dem Café gegenüber vom Spielwarenladen. Genau in dem Moment, als du den Stein reingeschmissen hast, vorhin. Der Verkäufer ist auf die Straße gegangen zu gucken, was los ist, genau wie alle andern auch. Und da hab ichs eben eingesteckt. Hier, ich hab noch mehr.

      Sie kramte in ihrem Rucksack herum. Zum Vorschein kamen ein Käsebrot, eins mit Schinken und eins mit Thunfisch.

      Und das Beste kommt noch! Sie hob zwei Büchsen Bier in die Luft.

      Vince’ Gesichtsausdruck veränderte sich nur um eine Nuance.

      Was,

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