Inquietudo. Alexander Suckel
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Vince müsste raus aus der Innenstadt fahren in irgendeinen Randbezirk und ein Abrisshaus suchen. Damit hatte er Erfahrung, jedenfalls in anderen Städten. In Abrisshäusern konnte man oft wochenlang unentdeckt bleiben. Wenn man Glück hatte, waren sogar noch die Strom- und Gasleitungen in Ordnung, sodass man heizen oder sogar Radio hören konnte. Die Gesellschaft des Mädchens war ihm nicht unlieb gewesen, auch wenn sie ihm am Anfang ziemlich auf die Nerven ging. Sie war sogar außergewöhnlich hübsch, soweit man das in der Dunkelheit feststellen konnte. Aber sie würde sicher jetzt nach Hause gehen. Und für den Fall, sie würde ihm anbieten, mitzukommen, würde er ablehnen. Vielleicht hatte er Glück, und es ging ihr ebenso, vielleicht suchte sie ebenfalls nach einem Weg, ihn loszuwerden. Er leerte seine Bierbüchse, zerdrückte sie fachmännisch mit der Hand und warf sie, eine Spur zu cool, hinter sich auf die Wiese.
So, ich muss denn mal los. Er sprang auf und wickelte seinen Schal fest um den Hals.
Wo musst du hin?
Hab eine Verabredung.
Jetzt, um die Zeit?
Ist doch noch nicht spät. Wieso fragst du?
Vielleicht kann ich ja ein Stück mitkommen?
Ist zu gefährlich! Wie, gefährlich?
Hab noch was vor, eine Sache organisieren eben.
Kann ich nicht doch ein Stück mitkommen? Ich hau auch ab, wenn du meinst, dass es zu gefährlich wird. Vielleicht kann ich ja helfen.
Julia sah Vince an, hilflos und bittend, die Augen weit aufgerissen. Dieser Blick und das Bitten, es störte.
Wieso willst du unbedingt mitkommen? Musst du nicht irgendwann nach Hause?
Nein.
Musst doch irgendwo wohnen.
Tu ich aber nicht! Und jetzt hör auf mit der blöden Fragerei. Kann ich nun mit oder nicht? Vielleicht. Ich überleg es mir.
Danke.
Ich hab gesagt, ich überleg es mir. Hab nicht gesagt, kannst mitkommen.
Schon in Ordnung.
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Am Morgen entschied Kruse, seine tagelange Isolation in dem kleinen Zimmer zu durchbrechen und endlich wieder unter Menschen zu gehen. Es war Sonntag, und er könnte am Cais do Sodré in einen Zug steigen und zum Meer fahren. Doch fürchtete er, es würde dort zu voll zu werden, weil alle Menschen der Stadt am Wochenende ans Meer fliehen. Man könnte auch mit der Drahtseilbahn nach Sant’Ana fahren, wo es einen Platz gibt, der den meisten flüchtigen Besuchern unbekannt ist, der auch deshalb wenig frequentiert wird, weil es in seiner Nähe keine Cafés gibt, in die man sich hätte zurückziehen können. Er beschloss, sich ein Mineralwasser vom Portier geben zu lassen und dorthin zu fahren. Er könnte ein Buch oder einige Bögen Papier mitnehmen, um dem Vormittag noch etwas Sinnvolles abzugewinnen. Lange Zeit verwendete Kruse auf das Binden einer Krawatte. Doch mal erschien ihm das eine Ende zu kurz, ein anderes Mal zu lang. Nach vielen erfolglosen Versuchen ließ er es bleiben. Bei diesen Temperaturen war es ohnehin besser, ohne Krawatte das Haus zu verlassen. Beim Hinausgehen, Saul, das mosambikanische Zimmermädchen, machte sich bereits mit dem Beziehen des Bettes und dem Aufräumen der lose dahingeworfenen Sachen zu schaffen, warf er einen prüfenden Blick in den Spiegel. Es war Zeit, dass er endlich wieder einmal herauskam aus seiner freiwilligen Arrestur. Kruse verabschiedete sich von Saul, wünschte ihr einen schönen Tag und stieg, einigermaßen erwartungsfroh und gutgelaunt, die Treppen vom vierten Stock herunter zur Rezeption. Hinter einer Glastür und einem ziemlich schmierigen Tresen, auf dem einige veraltete Telefonbücher sowie in seltsamem Englisch verfasste handgeschriebene Hinweise für Hotelbesucher lagen, saß João, der Portier. João, so hießen alle Portiers dieser Stadt, und hießen sie nicht João, so heißen sie Juan oder José. Sein Alter konnte man auf Mitte, Ende vierzig schätzen; vielleicht war er zehn Jahre älter, gut möglich, ein paar Jahre jünger. Seine Gesichtsfarbe hatte etwas Bläuliches, was auf eine Herzerkrankung schließen ließ, ihn aber mitnichten hinderte, pro Tag zwei bis drei Packungen Zigaretten zu rauchen. Mehrmals täglich verließ er sein gläsernes Refugium, schloss die Schiebetür sorgsam ab, eilte die Treppen zur Straße herunter, an dem Stoffwarengeschäft vorbei, das sich im ersten Stock des Hauses befand, und ging in das kleine Bistro neben dem Hoteleingang, um sich ein Paket Zigaretten zu kaufen. Niemals zwei oder drei, seine Tagesration, sondern immer nur eines, so als gehörte dieser Ritus des Zigarettenholens, dieser täglich mehrmals praktizierte Ausflug aus dem Office zum normalen Arbeitsalltag des Portiers. Kaum hatte er die Glastür seines Arbeitsplatzes wieder geöffnet und hinter dem Tresen seinen Platz wieder eingenommen, riss er die Schachtel auf, zog eine der Zigaretten nach der andern heraus und riss die Filter ab, die er alle zusammen in einen großen Aschenbecher legte, was insofern erwähnenswert ist, weil er das mit den gerauchten Zigaretten niemals tat. Achtlos schnippte er die Kippen auf die Straße oder zertrat die Reste auf dem Boden. Doch die vor dem Rauchen abgetrennten Filter sammelte er, um sie am Abend bei Dienstschluss zusammenzuzählen und in den Papierkorb zu werfen. Die Konversation mit João beschränkte sich in der Regel auf einige Begrüßungen und Verabschiedungen pro Tag, auf einige kurze Unterredungen anlässlich des Wetters der kommenden Tage. Montags sprach Kruse mit ihm ausführlich über die Fußballergebnisse von Benfica und Sporting. Sie sprachen erst montags darüber, weil João am Sonntag seinen freien Tag hatte. Da fuhr er seine Mutter besuchen, die einige Kilometer außerhalb der Stadt in einer Vorortsiedlung wohnte. Umso erstaunlicher war, dass heute, an einem Sonntag, João in der Portiersloge saß.
Meine Mutter ist im Alentejo bei einer Cousine, erklärte er, und was soll ich an solch einem tristen Tag allein zu Hause. Ich gehe lieber hierher und räume ein wenig das Büro auf. Viel hatte er allerdings bei seinen Aufräumungsarbeiten noch nicht zuwege gebracht. In dem, was er Büro nannte, herrschte nach wie vor eine apokalyptische Unordnung aus Rechnungszetteln, Reinigungsmitteln für Saul, ein paar Zahnpasta-Tuben und Rasierwasserfläschchen, die schon einige Jahre dort verstaubten. Kruse überlegte kurz, ob er auf einen Kaffee bei João verweilen sollte. Vielleicht war es ihm ja auch ein wenig langweilig. Das Hotel war kaum belegt, beziehungsweise die wenigen Gäste, die es bevölkerten, waren heute ans Meer gereist genau wie der Rest der Stadt. Aber wahrscheinlich wollte João seine Ruhe haben, wenigstens die Bleistifte anspitzen oder im Fernsehen die Übertragung eines Autorennens anschauen. Man würde ihn nur stören. Schon längst hätte Kruse ihn auf eine Macieira einladen können, aber er glaubte, dass João niemals öffentlich trank, jedenfalls tat er dies nicht mit Hotelgästen. Also erbat er sich lediglich eine Flasche Wasser und erzählte, dass er den Tag unter einem schattenspendenden Baum in Sant’Ana zu verbringen gedenke. Diese Auskunft grenzte schon fast an eine Indiskretion. João rückte umständlich einige Koffer beiseite, die jene Gäste dort abgestellt hatten, die am Abend nach England zurückreisten und noch einen Tag in der Stadt verbrachten. Diese geräuschvolle und in dem engen Büro wirklich komplizierte Tätigkeit umständlich beendend, griff João nach einer Batterie Wasserflaschen, löste die Plastikverpackung und reichte zwei von den Flaschen herüber.
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Kannst mitkommen, entschied Vince. Es klang etwas plötzlich und überraschend.
Wohin