Inquietudo. Alexander Suckel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Inquietudo - Alexander Suckel страница 7

Inquietudo - Alexander Suckel

Скачать книгу

genau war das Problem. Vince hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie gehen sollten. Die letzten Tage hatte er geradezu luxuriös gewohnt in einer komplett eingerichteten Wohnung in der Calle de Argumosa, nahe der Kirche San Lorenzo. Es war die Wohnung der Großeltern seines Freundes Moritz. Moritz war der einzige Mensch, der wusste, in welche Richtung es Vince verschlagen hatte. Heimlich hatten sie einen Schlüssel der großelterlichen Wohnung nachmachen lassen, den Vince mitnehmen konnte. Moritz hatte ihm eingeschärft, spätestens am 23. Dezember zu verschwinden, da würde die ganze Familie samt Großeltern zurückkehren wegen Weihnachten und Silvester. Er, Moritz, müsse auch mit. Aber bis dahin stünde die Wohnung leer. Vince hatte heute Morgen das Geschirr abgewaschen, den einen zersprungenen Teller in einer Mülltonne verschwinden lassen, alle Spuren seines Aufenthalts getilgt und die Wohnung verschlossen. Jetzt stand er da und wusste nicht, wohin in dieser Stadt. Dazu hatte er nun Julia an den Hacken, die wer weiß woher kam und nirgends hinzugehören schien. Und die ihm auch nicht weiterhelfen konnte.

      Hast du Geld? Immerhin besaß sie Sinn für das Praktische.

      Jedenfalls nicht genug. Nicht genug, um abzuhauen, präzisierte er.

      Um abzuhauen, braucht man doch kein Geld.

      Ach ja? Und wie macht man das? Hast du denn Geld?

      Nicht viel.

      Sie zählte ein paar Münzen und kleine Geldscheine aus ihrer Jackentasche.

      Wir können uns ja welches besorgen.

      Und wie?

      Die Geschäfte sind noch offen, die Leute kaufen auf den letzten Ritt Geschenke, da achtet keiner mehr drauf, wohin er seine Brieftasche steckt.

      Aber wir achten drauf, meinst du!

      Genau.

      Und dann?

      Dann kaufen wir uns eine Fahrkarte, irgendwohin, wo es nicht so kalt ist, weiter nach Süden oder so. Wir nehmen einfach einen Zug heute Abend, dann wissen wir wenigstens, wo wir die Nacht über bleiben können.

      Klingt gut. Vince blieb nicht mehr übrig, als dem Plan Julias eine gewisse Genialität zuzubilligen. Außerdem klang er nicht nur verlockend, sondern auch noch geradezu fantastisch simpel. Diese Verbindung ist selten, fand er.

      Und was ist jetzt mit der Sache, die du noch organisieren wolltest?

      Vergiss es. War nur so eine Idee.

      Sie gingen die Calle de Zorilla zurück, die Vince vorhin nach seinem Steinwurf so atemlos heruntergerannt war. Gingen durch albern weihnachtlich geschmückte Straßen voller hektischer Leute, allesamt schwer bepackt mit Kartons, die in buntes Papier eingeschlagen waren, versehen mit propellergroßen Schleifen. Akazienbäume und Palmen, die mit Nikoläusen behängt waren. Julia und Vince entschieden, in ein großes Kaufhaus zu gehen, dort würden sie eher zum Ziel kommen als in einem kleinen Laden. Sie verabredeten sich. Julia solle jeweils einen der schwitzenden bepackten Weihnachtseinkäufer ansprechen, ihn um eine Auskunft oder die Uhrzeit bitten, während Vince von hinten in die Manteltasche griff und sich die Brieftasche schnappte. Natürlich suchten sie ihre Opfer vorher aus, wussten, wer einen günstigen Fang zu machen versprach; wussten, wo sie zuschlagen konnten. Dabei mussten sie ständig auf der Hut sein vor Kaufhausdetektiven oder anderen Passanten, die sie hätten beobachten können. Dass es so schnell und reibungslos funktionieren würde, hätte Vince nicht gedacht. Sie wiederholten ihre sekundenschnelle Aktion einige Male. Zwischendurch entfernten sie sich voneinander, schlenderten scheinbar ziellos durch die Regalstraßen, verständigten sich mit Blicken, wenn sie sich auf ein neues Opfer geeinigt hatten. Um nicht zu sehr aufzufallen, wechselten sie die Abteilungen und Stockwerke. Insgesamt dauerte ihr Fischzug keine Dreiviertelstunde.

      Wieviel haben wir jetzt zusammen? Julia konnte es kaum erwarten, den in Windeseile erbeuteten Reichtum in Augenschein zu nehmen.

      Bist du irrsinnig? Glaubst du, ich zähl das jetzt hier im Kaufhaus zusammen?

      Ich mein, wie viele Brieftaschen sinds denn jetzt?

      Weiß nicht. Sieben oder acht. Ich glaub, das reicht. Lass uns verschwinden. Wir gehen am besten getrennt raus. Du zuerst. Ich komm in ein paar Minuten nach. Wir treffen uns drüben an der Ecke, vor dem Bistro.

      Hau bloß nicht ab!

      Ich hau nicht ab. Bis gleich.

      Bis gleich dann.

      Julia verschwand schnell in Richtung Rolltreppe, und Vince schaute ihr nach. Nach zwei, drei Minuten ging auch er.

      ***

      Zwei sind besser, es wird heiß, sagte João, und reichte Kruse zwei Wasserflaschen herüber. Das war wiederum schon fast eine Indiskretion seinerseits. Fast wäre man geneigt, diesen Dialog als eine ausgelassene Plauderei anzusehen. Kruse bedankte sich, nahm die beiden Flaschen, überlegte kurz, wo er sie verstauen konnte. Die Taschen seines Jacketts waren gefüllt mit allerlei scheinbar notwendigem, letztlich unbrauchbarem Zeug, einem Telefonverzeichnis, einem Wohnungsschlüssel, den er vergessen hatte zurückzugeben, einem älteren Brief von Marcenda, den er so oft gelesen hatte, dass er ihn fast auswendig kannte und in dem ihr ein Kommafehler unterlaufen war. Nicht dass er sonderlich pingelig in Sachen Orthografie wäre, aber es war ein äußerst sympathischer Kommafehler, weil er Marcendas so perfekten Erscheinungsbild eine kleine individuelle, abweichende Färbung gab. Die eine Flasche mehr oder minder geschickt unter den Arm geklemmt, die andere in der linken Hand tragend, verabschiedete er sich und wandte sich zum Gehen.

      Plötzlich rief ihm João, Kruse hatte den Treppenabsatz schon erreicht, hinterher: Fast hätte ich es vergessen, Senhor, hier ist eine Nachricht für Sie. Sie wurde heute Morgen abgegeben, sehr zeitig am Morgen. Kruse kehrte zurück und stellte die Wasserflaschen auf dem Tresen ab. Er war sich sicher, dass es sich nur um einen Irrtum handeln konnte. Er hatte niemandem seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort mitgeteilt. Niemand konnte seine Adresse ausfindig machen. Er hatte auch kein Interesse daran, dass es jemand tat, denn er wollte absichtlich für eine Weile nachrichtenlos bleiben.

      Das muss ein Irrtum sein, niemand weiß, dass ich hier bin, schauen Sie doch bitte noch einmal nach, João. Es handelt sich sicherlich um ein Missverständnis.

      Nein, ganz bestimmt nicht, entgegnete João. Der Herr, der die Nachricht abgegeben hatte, wusste, dass Sie hier wohnen. Er sagte nur: Bitte geben Sie diesen Brief meinem jungen Freund, wenn er erwacht ist und das Haus verlassen sollte. Ich wollte den Herrn noch nach seinem Namen fragen oder ob ich sonst irgendetwas für ihn tun kann, aber er war ebenso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Es war auch noch sehr zeitig am Morgen, wissen Sie. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wie der Herr ausgesehen hat, abgesehen von dieser merkwürdigen alten Hornbrille.

      Hier, bitte sehr, sagte João und überreichte einen Umschlag. Kruse nahm ihn entgegen, öffnete ihn und zog eine Karte heraus. Auf ihr stand in schnörkelloser, gerader Schrift ein einziger Satz, mit eleganter Handschrift verfasst. Kein Gruß, keine Adresse, kein Name, nichts, nur der Satz, exakt in der Mitte der Karte platziert: Ich bin so groß wie das, was ich sehe.

      ***

      Julia stand am Eingang, umringt von zwei uniformierten Kaufhausangestellten. Einer zerrte an ihrer Jacke, der andere machte sich an ihrem Rucksack zu schaffen. Sekundiert wurden sie von einem Herrn in einem teuren langen Mantel, der wild gestikulierend auf einen vierten Mann einredete. Vince erkannte ihn sofort. Es war derjenige, den sie in der Parfümabteilung abgegriffen hatten. Der Schock, erwischt zu sein, lähmte ihn.

Скачать книгу