Inquietudo. Alexander Suckel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Inquietudo - Alexander Suckel страница 4

Inquietudo - Alexander Suckel

Скачать книгу

hab?

      Die Lachfalten des Mädchens zogen sich zusammen wie ein Raspeleisen. Die Augen wurden zu winzigkleinen Schlitzen und der Mund zu einem riesenhaften Loch, aus dem die Zunge blinzelte wie die Zipfelmütze eines Heinzelmannes, der aus seinem Versteck lugte. Vince entschied sich für das Bier, öffnete die Büchse mit einem geübten Griff und reichte sie der seltsamen Spenderin.

      Hätt ich nicht gedacht. Gar nicht so blöd. Entschuldige wegen eben.

      Schon gut, wehrte das Mädchen generös ab, man kann sich ja auch einmal irren. Statt das angebotene Bier zu nehmen, griff sie nach der anderen Büchse und versuchte sie ebenso gekonnt zu öffnen wie Vince. Nach dem dritten Versuch klappte es.

      Prost!

      Sie knallte ihre Büchse etwas überkandidelt gegen die von Vince. Sie tranken beide einen Schluck. Ein Betrachter, der die beiden in der Abenddämmerung nicht als halbe Kinder erkannt hätte, würde glauben ein zärtliches Trinkerpärchen vor sich zu haben. Lustig, vielleicht schon ein bisschen beschwipst.

      Boaahh …! Das Mädchen spuckte einen großen Schwall ihres Bieres wieder aus. Das schmeckt ja Scheiße.

      Wieso Scheiße?, fragte Vince irritiert. Das ist ein astreines Bier.

      Weiß ich nicht. Hab noch nie eins getrunken. Wollts mal halt probieren.

      Sie starrten sich einen Moment lang an, Vince noch eine Spur dümmlicher als vorher. Dann lachten sie los, beide zugleich, schütteten sich aus vor Albernheit, schlugen sich auf die Schenkel, krümmten sich, bis ihnen der Magen wehtat. Das Mädchen warf sich mit einem Ruck gegen die Lehne, dass Vince fast von der Bank geflogen wäre. Dazwischen waren vereinzelte Wortfetzen zu hören wie: Du klaust Bier … spuckst es einfach aus …, und: Du schmeißt Steine … Spielzeugläden … Spiel… zeug… läden … haust einfach ab …

      Du hast echt einen Knall, konstatierte Vince.

      Na, aber du erst, sekundierte das Mädchen. Nur mühsam konnten sie sich wieder beruhigen.

      Wie heißt du eigentlich?

      Julia. Und du?

      Vince.

      War eben so ne kitschige Idee von meinem Vater mit dem Namen. Der ist eben so.

      Wie – so?

      Na eben verkitscht. So ein Name. Wie aus einem alten blöden Film.

      Wieso denn, ist doch nicht schlecht? Das ist Shakespeare, und der macht keine Filme, glaub ich.

      Ach was!

      Vince ist auch nicht gerade doll. Klingt irgendwie doof. Zumindest klein.

      Find ich nicht.

      Ich schon. Und wie kommst du hierher?

      Ist eine lange Geschichte. Und du?

      Ist eine noch längere Geschichte. Prost!

      Er hob seine Büchse zu einem neuen Versuch.

      Nee, lieber nicht, sagte sie.

      Du musst einfach die Nase zuhalten und nicht so schnell schlucken. Sonst kommts dir wieder hoch.

      Wenn du meinst. Sie hielt sich die Nase zu und setzte die Bierbüchse an. So? Sie blickte ihn fragend an, er nickte. Prost!, näselte sie. Beide nahmen einen Schluck. Sie tat, wie er ihr geraten hatte und schluckte langsam. Es schmeckte wohl genauso schauderhaft wie vorher, aber sie ließ sich nichts anmerken. Langsam wurde es dunkel, und wie auf eine geheime Verabredung hin schwiegen sie. Vince dachte nach, wo er die Nacht über bleiben würde. Es wurde Zeit, sich darum zu kümmern.

      ***

      Seit Tagen schon durchpflügte Kruse mit großen, eiligen, der Hitze unangemessenen Schritten die Straßen, den Körper messend gegen die unendliche Schwere des alten Gesteins. Verschwitzt und bleiernen Kopfes, am Rande jeder Erschöpfung einen Kaffee nehmend, doch nur, um alsdann mit neuer Wut und Rastlosigkeit die nächsten Straßenzüge zu erklimmen. Was ihn nach Lissabon getrieben hatte, er konnte es nicht mehr benennen. Es verschwamm zu einer Melange aus Gründen, Absichten, Wünschen, Ängsten und Gewissheiten. Kaum konnte er auseinanderhalten, was geschehen war in den Tagen vor seiner Abreise; was hätte geschehen müssen; was er befürchtete, hätte geschehen können.

      Zunächst hatte Kruse den Alten nicht bemerkt. Er musste an der Basílika da Estrela eingestiegen sein, nun saß er ihm schon seit etlichen Stationen gegenüber. Verstohlen blickte der Mann ab und zu herüber, einmal lachte er sogar. Er war auf seltsame Weise altertümlich gekleidet, trug einen zwar tadellosen aber merkbar antiquierten Anzug und eine dunkle, etwas verrutschte Krawatte über dem nicht mehr ganz weißen Hemd. Warum der Alte herüberblickte und blinzelte, wusste man nicht. Vielleicht glaubte er, in Kruse einen Touristen zu sehen, dem er gegen ein entsprechendes Honorar die Stadt zeigen kann. Vielleicht sollte er einfach sitzen bleiben und ihn ignorieren. Irgendwann würde er verstehen, dass kein Geschäft zu machen sei. Im Übrigen war der leichte Windhauch, der durch das geöffnete Seitenfenster in das Innere der Bahn strömte, durchaus belebend. Kruse hatte kein Ziel, es konnte ihm also gleichgültig sein, wann und wo er ausstieg. In der Nähe des Rossio, des großen Hauptplatzes in der Stadtmitte, stieg der Alte aus, nicht ohne sich beim Hinausgehen noch einmal umzuwenden. Froh, den Aufdringlichen endlich los zu sein, und in der Erwartung eines guten Abendessens entdeckte Kruse auf dem Platz, neben dem der alte Mann gesessen hatte, einen Spazierstock aus dunklem Holz, der jenem zu gehören schien. Kruse erinnerte sich, dass der Mann mit dem silbernen Knauf des Stockes spielte, während die Straßenbahn von der Basilika stadtabwärts schlingerte.

      Eine große Menschenmenge wartete an der Haltestelle der Catedral Sé Patriarcal, wahrscheinlich Kirchgänger, die aus der gerade zu Ende gegangenen Abendmesse strömten. Auf dem Weg zur Tür griff Kruse nach dem Stock, er wusste nicht, wozu er ihn hätte gebrauchen können, er war für seine Körpergröße zu klein, und auch glaubte er sich nicht in einem Alter, der das Tragen eines Spazierstocks erforderte oder irgendwie legitimierte. Doch ehe er begann, darüber nachzudenken, was er eigentlich mit dem Stock sollte, befand er sich schon außerhalb der Bahn, mit eben jenem Stock in der Hand. Also machte Kruse sich auf den Weg, ein gutes Lokal für den Abend zu finden. Er bog in eine kleine steil aufwärtsstrebende Straße ein, von der aus es nur wenige Meter Weg zu einem winzigen Restaurantkeller waren. Er versuchte sich auf den Stock zu stützen, aber er war in der Tat viel zu klein, und so klemmte er ihn – etwas dandyhaft – unter den Arm.

      Wozu brauchen Sie einen Stock?, trompetete es ihm fröhlich entgegen. Kruse blieb stehen und schaute die Straße aufwärts, in die Richtung, aus der die Stimme kam. Lächelnd kam ihm der ältere Mann, der ihm noch vor einer Viertelstunde in der Straßenbahn gegenübersaß, entgegen. Er musste sich am Rossio ein Taxi genommen haben, um eher hier zu sein. Kruse war die Aufdringlichkeit des Alten zuwider, und er suchte nach einer Möglichkeit, ihn schnell wieder loszuwerden.

      Ich bitte Sie, geben Sie mir meinen Stock wieder, ich bin nicht mehr allzu gut zu Fuß, wissen Sie, und bei diesen steilen Straßen, diesem undurchdringlichen Gewirr von Bergen, Schluchten, Gassen und Häusern, bin ich geradezu angewiesen auf meine Gehhilfe. Ich finde im Übrigen, dass er nicht sonderlich gut zu Ihnen passt, er verschafft Ihnen so eine etwas, verzeihen Sie bitte, dandyhafte Attitüde. Es ist so ähnlich, wie wenn junge Menschen Ihres Alters sich plötzlich angewöhnen, Pfeife oder Zigarre zu rauchen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

      Ich denke, es geht Sie überhaupt nichts an, wie ich aussehe, was ich rauche, und wie

Скачать книгу