Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi

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Die Irrfahrten des Herrn Müller II - Florian Russi

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ist. Leider kann ich mich nicht richtig von dir verabschieden. Die Zeit drängt. Stell dich darauf ein, in den nächsten zwei Wochen als unbekannter Passagier auf einem Kreuzer zu leben. Unser Geheimdienst wird sich um deine Betreuung kümmern. Auch er hat ein Interesse daran, dass unser Land nicht ins Gerede kommt.“

      Sie umarmte ihn kurz, dann sagte sie: „Wir werden uns sicherlich wiedersehen. Dein Fall wird sich aufklären, und an meinen offenen Umgang mit der Sexualität wird man sich gewöhnen. Zum Abschied habe ich noch ein Geschenk für dich. Du wirst es sicher gut gebrauchen können. Es sieht aus wie ein Halsband, und so solltest du es auch tragen. Es ist ein neuentwickelter Computer, der in der Lage ist, Gespräche in den verschiedensten Sprachen simultan zu übersetzen. Er ist auf alle bekannten Sprachen programmiert, besitzt aber auch die Fähigkeit, nach kurzer Zeit ungewohnte Sprachen, Mundarten und Stammesdialekte zu verstehen. Das gelingt ihm dadurch, dass er Wiederholungen und Zusammenhänge registriert, die Häufigkeit von Wörtern und Begriffen gewichtet und daraus deren Bedeutung kombiniert. Solltest du jemals in einem Dialekt angesprochen werden, wird dir der Computer schon bald die Übersetzung liefern. Stell dir vor, er wäre nur auf die hochdeutsche Sprache programmiert. In Friesland, Bayern oder Mecklenburg könntest du damit Probleme bekommen. Deshalb hat er das zusätzliche Übersetzungsprogramm. Es ist genial. Nutze es und achte darauf, das Halsband nicht zu verlieren. Mehr konnte ich nicht für dich tun. Wir müssen uns jetzt schnell voneinander verabschieden.“

      Daniel war dankbar und einverstanden. Er war froh, dass es keine längere Verabschiedung gab. Müde war er und erschöpft. „Tu mir bitte noch einen Gefallen und beauftrage jemanden, von einem fremden Handy aus meine Freundin Ines anzurufen. Lass ihr bitte ausrichten, dass ich in Panik von zu Hause geflohen bin und alles dazu beitragen werde, meine Unschuld zu beweisen. Sie soll mir vertrauen, ich würde immer an sie denken und ihr tr… bleiben.“ Er verschluckte das Wort „treu“. Jedenfalls hatte er fest vor, sich nie wieder auf eine Affäre einzulassen. Daniel und Lore gaben sich die Hand. Am hinteren Schlossausgang wartete Lores „zuverlässigster Freund“ schon mit laufendem Motor.

      Der junge Mann, der Daniel nun zum Landeplatz des Kreuzers „Imperial“ fuhr, war etwa fünf Jahre älter als er. Er stellte sich ihm als „Alexander“ vor und versicherte ihm, das volle Vertrauen von Prinzessin Lore zu besitzen. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und eine einfarbig blaugraue Krawatte und wirkte wie jemand, dem nicht daran gelegen ist, in irgendeiner Weise aufzufallen. „Es liegt weder im Interesse unseres Landes noch in dem der königlichen Familie, wenn wir gezwungen wären, Sie an die deutschen Justizbehörden auszuliefern“, sagte er. Dass er von „wir“ sprach, machte Daniel deutlich, dass sein Fahrer und Begleiter eine nicht unwesentliche Funktion in seinem Land ausübte. Er fasste Vertrauen zu ihm und fragte, ob er etwas über seine persönlichen Angelegenheiten wisse.

      „Im Flugzeug wurde offenbar kein Foto von Lore und Ihnen gemacht. Einige Zeitungen haben zwar horrende Summen für ein Bild von Ihrer Begegnung geboten. Doch entweder hat niemand fotografiert, oder der König oder unser Geheimdienst haben das Foto exklusiv erworben. Niemand hat etwas in der Hand. Es gibt lediglich Gerüchte. Lore hat gegenüber den Medien erklärt, dass Sie beide sich kurz zuvor bei einer Festlichkeit kennengelernt und im Flugzeug wiedererkannt hätten. Daran ist nichts auszusetzen. Dass Lore nicht immer Distanz hält, ist bekannt und wird auch von ihr nicht bestritten. Man beginnt, sich an ihre Allüren zu gewöhnen, und manche warten nur darauf, dass sie wieder mal etwas unternimmt, was andere sich nicht zu tun trauen. Es ist ein Geben und Nehmen. Lore gibt einiges, aber ich bin mir sicher, auch das wird sich legen. Ich bin mit ihr befreundet. Sie ist eine großartige Frau. Was aber Sie anbelangt, mein Herr, ist in Deutschland immer noch die Polizei hinter Ihnen her. Inzwischen weiß die Staatsanwaltschaft, dass Sie in unser Land geflohen sind. Wir rechnen jeden Augenblick damit, dass der Auslieferungsantrag bei uns eingeht. Lore glaubt Ihnen, dass Sie unschuldig sind und will Sie schützen. Deshalb sind wir beide jetzt unterwegs. Auf dem Schiff werden wir Sie in einer Kabine versteckt halten. Dort können Sie eine reichhaltige Bibliothek über das Land finden, in das Sie demnächst einreisen werden. Ab und an werde ich Ihnen Gesellschaft leisten und ein paar Instruktionen geben, die für Sie wichtig sind. Lore scheint Sie sehr zu mögen und will kein Risiko eingehen. Doch bilden Sie sich nicht zu viel ein. Der Kreuzer fährt nicht wegen Ihnen nach Betanien. Er hat optisches Gerät für die mit uns befreundeten Nachrichtendienste an Bord und soll unsere Präsenz in der Region dokumentieren.“

      Wie von Lore angekündigt, dauerte die Fahrt zwei Wochen. Niemand außer Lore und Alexander konnten wissen, dass sich Daniel auf diesem Schiff versteckt hielt. Jeden Morgen kam Alexander zu ihm in die Kabine und stellte ihm eine Tagesration zum Essen auf den Tisch. Zu längeren Gesprächen reichte selten die Zeit. Alexander war immer in Eile. Kurz vor der Landung fragte er Daniel, ob er in den Büchern gelesen und sich ein Bild von dem Land gemacht habe, das ihm nun bevorstand. „Es ist kein Land, in dem ich freiwillig leben wollte“, ergänzte er. „Auch für Sie wird der Aufenthalt dort nur ein hoffentlich kurzer Übergang sein. Die Betanier sind äußerst fanatisch. Obwohl sie angeblich alle an denselben Gott glauben, sind sie religiös zerstritten. Die verschiedenen Sekten überbieten sich mit Regeln und Formen von Fundamentalismus, für die es nur eine einzige Begründung gibt: Irgendwann hat einer ihrer Propheten oder Religionslehrer sie verkündet. Als größte Sünde gilt es, diese Regeln auch nur zu hinterfragen. Es gibt in der Welt nicht nur die Diktatur von Personen, sondern auch die von Worten, Geboten, Lehrsätzen und Bräuchen. Es scheint so, dass diejenigen, die einmal darin verfangen sind, sich damit abfinden und sogar anfreunden. Nur ganz wenige Bewohner des Landes bringen den Mut zur Rebellion auf. Die aber werden als Gotteslästerer gebrandmarkt und hingerichtet. Ich gebe Ihnen deshalb den folgenden Rat: Wo immer Sie hinkommen werden, erzählen Sie, dass Sie auf der Suche nach dem wahren Gott seien und das Bekenntnis zu ihm kennenlernen wollen. Lassen Sie sich dann alles erklären und passen Sie sich an, so schwer es Ihnen auch fallen mag. Ich kann es leider nicht ändern, doch was Ihnen jetzt bevorsteht, ist ein geistiges Überlebenstraining.“

      Daniel hörte das nicht gern. Doch er hatte sich zum Durchhalten entschieden und musste zugeben, auf die ausstehenden Herausforderungen auch ein wenig neugierig zu sein.

      „Die Passkontrolle werden wir umgehen“, fuhr Alexander fort. „Außerdem gebe ich Ihnen eine neue Identität. In nächster Zeit sind Sie Lukas Müller aus Gelsenkirchen. Wenn Sie sich in dieser Stadt nicht auskennen, macht es nichts. Sie sind dort nur geboren. Ihre jetzige Adresse ist Berlin. Dazu wird Ihnen genug einfallen. Alles Weitere können Sie erfinden. Achten sollten Sie nur darauf, dass Sie sich nicht in Widersprüche verwickeln. Reden Sie selbst wenig. Hören Sie lieber zu.“ Alexander übergab Daniel einen neuen Pass, dann verabschiedete er sich für diesen Tag, ohne irgendeine Regung in seinem Gesicht zu zeigen. Zwei Tage später saßen sie in einem Auto, das von einem einheimischen Fahrer gesteuert wurde und sie nach Jana, der Hauptstadt Betaniens brachte. Dort hatte sich auf einem Marktplatz eine Menschenversammlung eingefunden. Sie bildete einen Kreis um einen jungen Mann, der mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen in ihrer Mitte kniete.

      „Was ist mit ihm?“, fragte Daniel entsetzt.

      „Er bekommt zweimal zwölf Peitschenhiebe“, klärte der Fahrer ihn auf.

      „Weswegen das?“

      „Er hat während des Gottesdienstes in der Gebetshalle geniest.“ „Deswegen darf man ihn doch nicht bestrafen!“

      „Seien Sie vorsichtig, junger Mann, mit dem, was Sie sagen. Niesen ist eine Sünde und während des Gottesdienstes schon gar nicht geduldet. Kein Gläubiger hat das Recht, vor anderen irgendetwas aus seinem Körper auszuscheiden: Seinen Samen nur in die Frau, mit der er verheiratet ist, seine Geschäfte nur, wenn er keinen Zuschauer hat und seinen Hintern oder seinen Pipimann in Richtung Westen gedreht hat. Wer in einem Raum furzt, muss sich sofort ins Freie begeben und sich dort dreimal um sich selbst drehen. Wer an Blähungen oder Schnupfen leidet, muss

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