Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi
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‚Also in zwei Jahren‘, fuhr es Daniel durch den Kopf. Bis dahin würde ihm noch viel Zeit bleiben. „Ich will gerne auf sie warten und werde mich bis dahin keiner anderen Frau zuwenden“, sagte er. Tamrud zeigte sich fröhlich und zufrieden. Er schien Daniel wirklich ins Herz geschlossen zu haben.
Wenig später sagte Tamrud zu ihm. „Heute Morgen war ein junger Mann hier und bat mich, dir auszurichten, dass deine Uhr fertig repariert sei. Du könntest sie jederzeit abholen.“
„Ach ja, meine Uhr“, erwiderte Daniel. „Die hatte ich längst vergessen.“ Nur mit Mühe konnte er seine Aufregung verbergen. Alexander hatte ihm gesagt, dass er sich nur in wichtigen Fällen an den Uhrmacher wenden dürfe. Es musste sich also etwas Besonderes ereignet haben. Ob man inzwischen den Mörder gefasst hatte? Er lief bei der ersten Gelegenheit zum Uhrmacher und zeigte ihm den Code. „Junger Mann, ich kenne Sie nicht“, sagte der. „Ich soll Ihnen nur ausrichten, dass in unserer schönen Stadt Jana ein Zielfahnder aus Deutschland eingetroffen ist. Was das für Sie bedeutet, werden Sie selbst wissen.“
Daniel stieß einen Fluch aus. Er bat den Uhrmacher, ihm eine gebrauchte alte Armbanduhr zu verkaufen. „Ich benötige sie als Nachweis“, erklärte er, und der Uhrmacher verstand. Als Daniel zurückkam, fragte ihn Tamrud, bei welchem Uhrmacher er gewesen sei. Voller Misstrauen nannte ihm Daniel dessen Namen. „Wenn du wieder mal Probleme mit deiner Uhr hast, gehe zu Murich. Er ist ein hervorragender Handwerker und gehört unserer Gemeinde an. Der, bei dem du vorhin warst, ist ein Tabanist. Tabanisten glauben zwar auch an Ono, doch sie haben eigene Schriften und folgen dem Propheten Taban. Der war ein strenger Rigorist, der neben seinen eigenen Lehrmeinungen keine anderen zuließ.“
Um in Ruhe nachdenken zu können, zog sich Daniel in sein Zimmer zurück. Man hielt ihn zu Hause also immer noch für einen Mörder. Die Polizei tat ihre Pflicht und ließ nichts aus. Er hatte in einem Fernsehfilm einen Bericht über Zielfahnder gesehen. Die schnüffelten hinter den Verdächtigten her, brachten in Erfahrung, wie sie ihr Leben gestalteten, ob sie bestimmte Vorlieben oder Neigungen hatten, ob und welche Zigarettenmarke sie rauchten, welchen Umgang sie hatten, wie sie ihren Tagesablauf gestalteten. Irgendwie hatten die deutschen Behörden herausbekommen, dass er sich in Jana aufhielt. Nun würde es nicht lange dauern, und der Zielfahnder würde herausfinden, dass er sich in einem Kloster versteckt hielt. Wenn er dann selbst wie ein Ono-Priester mit langem Bart, Haube und geistlichem Obergewand umherlief, war dies zunächst eine gute Tarnung. Ob sich aber ein geübter Zielfahnder dadurch ablenken ließ? Lore hatte ihm gesagt, dass er nicht ausgeliefert werden könne, weil zwischen Betanien und Deutschland kein Auslieferungsabkommen geschlossen worden sei. Was wollte der Fahnder also von ihm? Es konnte höchstens sein, dass er versuchen würde, ihn zur Rückkehr nach Deutschland zu überreden.
Er überlegte, wie er den Zielfahnder in die Irre leiten oder abschütteln könnte.
Ärgern musste er sich immer mehr über Selass. Der hielt während der Gottesdienste und Andachten immer häufiger Hetzreden gegen Andersgläubige, gegen die politischen Parteien, in denen Ungläubige die Oberhand behielten, gegen die Richter, die viel zu milde Urteile fällten, und gegen alle, die nicht bereit wären, Ono zu verehren oder ihn gar mit zwei ‚n‘ schreiben würden.
Ohne Daniel oder vielmehr Lukas oder Tamrud beim Namen zu nennen, wetterte er auch gegen eine laxe Auslegung der göttlichen Gebote und gegen die Sünde des Ehebruchs, für die es nur strengste Strafen geben dürfe.
Eines Tages sah Daniel zufällig, wie Selass im Vorhof des Gotteshauses sich eifrig mit einem Mann unterhielt, den Daniel bis dahin nie gesehen hatte. So nahe es ging, schlich er sich an die beiden heran und konnte hören, dass sie englisch miteinander sprachen. Was genau gesagt wurde, konnte er nicht verstehen, doch er war sicher, zweimal den Namen „Daniel“ gehört zu haben. Der Fremde musste der Zielfahnder sein.
Daniel zog sich auf sein Zimmer zurück. Zu seiner eigenen Verwunderung war er nicht ängstlich, sondern wütend. Er beschloss, den beiden eine Lehre zu erteilen. Es nahte das Fest der „Sieben Wohltaten“, einer der höchsten Feiertage zu Ehren Onos. Es wurde im ganzen Land mit Prozessionen, Tänzen und Gesängen gefeiert. Höhepunkt aber war ein feierliches Abendessen, an dem alle Mitglieder der Gemeinden nach Geschlechtern getrennt teilnahmen. Es wurden Zelte aufgestellt, und die Köche des Landes machten sich eine Ehre daraus, beliebte Speisen zu kochen und herzurichten. Alle Metzger, Bäcker und Lebensmittelhändler trugen, ohne Geld dafür zu fordern, dazu bei, dass die Tische, die an den Zeltwänden entlang standen, mit Delikatessen beladen waren. Jeder konnte sich das auf seinen Teller tun, was ihm am besten schmeckte. Daniel ging zu Tamrud und bat ihn, einen Gast einzuladen, den er aus Deutschland zu kennen glaube.
„Selass hat mir von einem Deutschen erzählt, der sich bei ihm nach dir erkundigt hat. Allerdings hat er dich Daniel und nicht Lukas genannt. War das eine Verwechslung, oder wie lässt es sich anders erklären? Gibt es Leute, die nach dir suchen?“
„Das würde ich auch gern in Erfahrung bringen“, log Daniel. „Es wäre daher sehr freundlich, wenn Selass den Mann einladen und mich ihm vorstellen würde. Dann kann ich herausfinden, ob er etwas von mir will.“
Selass war voller Verdächtigungen und deshalb sehr verwundert, dass Tamrud ihn bat, den fremden Herrn zur abendlichen Feier einzuladen. Der erschien tatsächlich, stellte sich als Olaf Grün aus Deutschland vor und war sehr daran interessiert, mit Daniel zusammenzutreffen. Daniel gab ihm die Hand und stellte sich als Lukas Müller vor. So war es mit Alexander besprochen, und unter diesem Namen war er auch gegenüber den Priestern aufgetreten.
„Lukas heißen Sie also“, sagte der Fahnder unvermittelt. „Haben Sie sich diesen Namen selbst ausgedacht, oder gibt es jemanden, der Sie schützt?“
„Gern bin ich bereit, im Laufe des Abends Ihre Neugierde zu befriedigen“, erwiderte Daniel ungerührt. „Allerdings bin ich, wie Sie, hier nur Gast. Warten wir ab, bis die Menge sich an den Speisen bedient hat, und lassen Sie uns dann zum Buffet gehen und anschließend ein wenig mit unseren Gastgebern plaudern. In diesem Land wird Höflichkeit sehr beachtet.“
Als niemand sonst mehr an den Tischen anstand, ging Daniel darauf zu, reichte auch dem Fahnder einen Teller und begann, sich unter den angebotenen Gerichten umzusehen. Olaf Grün tat es ihm nach und während er sich zu den Speisen beugte, zog Daniel einen Pfefferstreuer aus seiner Jacke, schüttelte ihn kurz und streute den Pfeffer unbemerkt in Richtung des Fahnders. Dann wendete er sich schnell in eine andere Richtung ab.
Es kam, wie er erhofft hatte. Herr Grün musste kräftig niesen und wollte gar nicht mehr damit aufhören. Sofort waren Männer des Ordnungsdienstes zur Stelle, ergriffen ihn und führten ihn ab. Die übrigen Gäste verfielen zunächst in Sprachlosigkeit. „Wer war das?“, hörte Daniel dann jemand fragen. „Ein Ungläubiger, der sich hinterhältig in unsere Gemeinschaft einschleichen wollte“, erwiderte er. „Er hat sich mit seinem hemmungslosen Niesen selbst überführt.“ Daniel schaute in Selass’ betreten dreinblickendes Gesicht und wartete ab, was nun folgen würde. Von überall her hörte er Worte der Empörung und die Forderung, dass mit dem Eindringling nicht zimperlich umgegangen werden dürfe. Dieser Meinung war auch Daniel.
Tatsächlich wurde der Fahnder vor ein sakrales Schnellgericht gestellt und zu 60 Peitschenhieben verurteilt. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland schaltete sich ein, und es kam zu einem diplomatischen Konflikt. Das Religionsgericht aber wollte nicht einsehen, dass der Fahnder seiner gerechten Strafe entgehen sollte. Bis zur endgültigen Entscheidung des Höchsten Gerichtshofs hielt es Olaf Grün in Haft. Von Daniel war nicht mehr die Rede. Der Botschaft