Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi
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Selass blieb misstrauisch. Soweit er konnte, beobachtete er jeden Schritt, den Daniel tat und versuchte festzustellen, ob er dabei gegen Glaubensgrundsätze verstieß. Eines Tages sagte er zu Daniel: „Du lebst nun schon mehrere Monate bei uns, schläfst im Gästehaus und sitzt mit uns an der Tafel. Für all das hast du bisher nicht eine einzige Gallone bezahlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ohne Geld zu uns gekommen bist. Da du es nicht brauchst, möchte ich dich auffordern, es an unsere Gemeinde zu spenden.“
Tatsächlich hatte Daniel seit seiner Flucht nur wenig Geld ausgegeben und das meiste von den Gallonen, die ihm Alexander übergeben hatte, in einer Plastiktüte aufbewahrt. Wie kam Selass nun dazu, ihn zum Spenden aufzufordern? Hatte er heimlich sein Gepäck durchsucht? Dann wäre es gefährlich gewesen, ihm nicht die Wahrheit zu sagen. Daniel sah ein, dass er Selass und seinem Fanatismus auf Dauer nicht gewachsen war. Der würde immer etwas finden, mit dem er ihn kompromittieren oder ins Unrecht setzen konnte. Er erinnerte ihn an einen jungen Kollegen in seiner Möbelhandelsgesellschaft. Auch der brachte die anderen immer wieder in Verlegenheit, indem er vorgab, fast alles zu wissen und das Ansehen der Firma hoch zu halten. Daniel gab also Selass das Geld, über das er noch verfügte und behielt nur einen kleinen Restbetrag, den er Selass ausdrücklich nannte. „Falls ich irgendwann doch etwas kaufen muss“, sagte er zur Begründung. Selass nahm das Geld entgegen und sah ihn an, ohne irgendeine Gefühlsregung erkennen zu lassen. Daniel aber dachte: ‚Der weiß über alles Bescheid, und von jetzt an bin ich ihm ausgeliefert.‘
Bei nächster Gelegenheit erzählte Daniel Tamrud von dieser Aktion. Der aber antwortete nur: „Selass rechnet damit, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in unserem Land kommen wird. Er sammelt Geld, um Waffen zu kaufen. Leider sind es nicht wenige, die seine Ahnungen teilen. Ich habe die Befürchtung, dass rund um unser Gotteshaus bald ein Waffenlager entstehen wird.“
Daniel erschrak und nahm es zum Anlass, am folgenden Tag, als Tamrud und Selass sich bei ihren Familien aufhielten, in die Stadt zu gehen und den Uhrmacher aufzusuchen. Noch ehe er ihm etwas sagen konnte, lächelte der ihn an und erklärte, dass Daniel in der königlichen Botschaft erwartet würde. Worum es dabei gehen sollte und wie lange es dauern würde, konnte er nicht sagen.
Jetzt wurde Daniel endgültig bewusst, in welch verzwickter Lage er sich befand. Länger als ein oder zwei Stunden durfte er sich nicht vom Tempel des Ono entfernen. Sofort würde Selass neuen Verdacht schöpfen. Er ging zum Gotteshaus zurück und schrieb in englischer Sprache auf einen Zettel, dass er zur königlichen Botschaft gegangen sei, um dort wegen einer Erbangelegenheit vorzusprechen. Den Zettel legte er so, dass ihn Tamrud als Erster finden musste. Dann machte er sich auf zum Botschaftsgebäude.
Dort wurde er in ein Appartement für Gäste geführt. Lore wartete schon auf ihn. Sie umarmte ihn überschwänglich und zog ihn ohne viel zu reden ins Schlafzimmer. Diesmal war er sehr einverstanden. Die erzwungene Prüderie im Kloster hatte in ihm viel unbefriedigte Lust aufgestaut. Lore blieb ihm nichts schuldig. Sie setzte sich rittlings auf ihn, führte mit routinierter Bewegung sein Glied in ihre Scheide ein und begann mit rhythmischen Bewegungen, die nach und nach immer ekstatischer wurden. Er bemühte sich um Zurückhaltung, doch schon nach sehr kurzer Zeit hatte er sich nicht mehr in der Gewalt. Hemmungslos stieß er wilde Schreie aus, und es war nicht nur seine Lust, die sich dadurch Befreiung verschaffte, sondern auch die Last seines Klosterlebens. Lore wirkte ein wenig enttäuscht und unbefriedigt, doch sie war bemüht, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. „Ich bin nicht offiziell hier und muss heute Abend schon wieder zurückreisen“, sagte sie. „Ohne dich hab ich’s zu Hause nicht mehr ausgehalten. Ich kann dir aber erfreuliche Mitteilungen machen.“
„Ist mein Fall geklärt?“, fragte er ungestüm.
„Darüber weiß ich nichts“, antwortete sie. „Was ich dir aber sagen kann, ist, dass unsere Verfassung nun endlich geändert werden soll und ich damit ohne Probleme die Nachfolge meines Vaters antreten kann. Ich habe einen zusätzlichen Titel zugesprochen bekommen und werde bald mein eigenes Schloss besitzen. Hätte ich das damals schon gehabt, hätte ich dich dort verstecken können, und du müsstest heute nicht hier sein.“ „Ärger hätte es mir kaum ergehen können“, klagte er und berichtete ihr von seinen Erlebnissen. „Warum hast du mich hierherbringen lassen? Es gibt doch andere Länder, die auch keine Auslieferungsabkommen mit Deutschland geschlossen haben.“ „Wie schlimm es hier sein würde, habe ich nicht gewusst“, erwiderte sie. „Ich habe auf Alexander vertraut. Gern will ich zugeben, dass ich für dich ein Land ausgesucht habe, in dem eine strenge Sexualmoral herrscht. Ich wollte nicht, dass du dich mit anderen Frauen einlässt. Das kannst du Eifersucht nennen. Es ist Eifersucht. Ich brauche dich und werde alles tun, um dich bald wieder bei mir zu haben. Dass Alexander dich nicht besser versorgt hat, hängt vielleicht damit zusammen, dass auch er eifersüchtig ist. Er liebt mich. Große Leidenschaft ist seine Sache nicht, aber gerade das könnte ihn auf dich neidisch machen.“
„Dann muss ich davon ausgehen, dass du auch meine Freundin Ines nicht wie besprochen über mich informiert hast?“
„Zunächst habe ich es vergessen oder auch verdrängt. Später erschien mir das Risiko zu groß. Leider habe ich auch deine Eltern nicht informiert. Selbst für die Tochter eines Königs ist es nicht einfach, jemanden zu finden, der so etwas vertrauensvoll und verschwiegen erledigt.“
Daniel war enttäuscht. Er hatte es mit einer großen Egoistin zu tun. Es drängte ihn, ihr zu sagen, dass ihre Strategie nicht aufgegangen sei. „Du hast zwar recht, dass in diesem Land eine starke Prüderie herrscht, doch ich habe einen Ausweg gefunden. Ich habe mich verlobt.“ Er erzählte ihr von Tamrud und seiner 14-jährigen Tochter, die er erst kurz vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen sollte. Da musste Lore laut lachen. „Wenn es soweit ist“, sagte sie „wirst du sie nicht mehr befriedigen können. Bis dahin werde ich alle deine Manneskraft verbraucht haben.“
Sie drängte zum Aufbruch. In großer Eile erzählte er ihr noch von der angeblichen Erbangelegenheit, und sie versprach, Alexander zu veranlassen, sich darum zu kümmern. Dann verabschiedeten sie sich mit einem langen Kuss. „Du wirst bald wieder von mir hören“, versicherte sie.
Er verließ die Botschaft und eilte zurück ins Kloster. Trotzig wiederholte er unterwegs immer wieder den Satz: „Ich werde durchhalten.“ Er entschied sich, stärker zu sein als sein ungewöhnliches Schicksal. Zwei Tage später erschien an der Pforte des Klosters ein Bote der königlichen Botschaft und übergab einen Brief, adressiert an Lukas Müller. Tamrud und Selass hielten sich nicht mit ihrer Neugierde zurück. Daniel zuckte mit den Schultern und zeigte ihnen den Brief. Darin stand, dass es die Botschaft bedaure, ihm in seiner Erbschaftsangelegenheit nicht weiterhelfen zu können. „Es war nur ein Versuch“, erklärte Daniel. „Ein Großonkel meiner Mutter hat einige Jahre für eine pharmazeutische Firma in Laban gearbeitet. Ich wollte wissen, ob er vielleicht etwas hinterlassen hat.“ Selass wiegte den Kopf. Entweder war er immer noch argwöhnisch, oder aber er bedauerte, dass Daniel ihm nicht doch ein ererbtes Vermögen präsentieren konnte.
Ein paar Tage später musste sich Daniel nach dem Aufstehen lange die Augen reiben. In der Nacht waren offenbar einer oder mehrere Menschen in das Gelände des Klosters eingedrungen. Er oder sie hatten mehrere Mauern mit Farbdosen besprüht. Daniel fragte einen vorbeikommenden Religionsschüler, was die Worte und Zeichen an den Wänden bedeuteten. „Es sind Hassparolen gegen uns und unseren Glauben“, antwortete der. „So heißt es, dass wir auf ewig verdammt seien und schon auf Erden bestraft werden müssten.“
Daniel lief zu Tamrud, der völlig niedergeschlagen wirkte. „Wie kann das nur geschehen sein?“, rief der laut. „Hast du nichts von diesem Überfall gemerkt? Warst du etwa selbst beteiligt?“
„Bei Ono, sein Name sei gepriesen, schwöre ich, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Ich habe tief geschlafen und niemanden gehört