Post mortem. Amalia Zeichnerin

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Post mortem - Amalia Zeichnerin Baker Street Bibliothek

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in die Kamera blickte. Sein helles Haar war leicht gewellt und akkurat gekämmt. Er trug einen Anzug, der, zumindest oberflächlich betrachtet, maßgeschneidert wirkte und ihn vorteilhaft kleidete. Am Kinn hatte er ein kleines dunkles Muttermal. Ein gut aussehender Mann, dem gewiss die Herzen der Damen zuflogen.

      »Wie es aussieht, hatte Miss Westray einen Verehrer. Schau dir das hier an!« Clarence reichte Mabel den Brief und das Porträt.

      Auch sie überflog die Zeilen und ihre Augen weiteten sich. »Den hat sie mir gegenüber nie erwähnt. Aber das ist auch kein Wunder«, räumte sie ein, »wir waren schließlich keine innigen Freundinnen.« Sie drehte den Brief um. »Unterschrieben ist er mit ›G.‹. Keine Adresse. Und sieh nur, das Datum! Der Brief ist gerade mal drei Tage alt. Ach, da fällt mir ein, in ihrer Handtasche steckte eine Karte für ein Konzert in der Canterbury Music Hall in Lambeth. Dann waren die beiden, wer immer dieser ›G.‹ ist, wohl gemeinsam dort.«

      Clarence zuckte mit den Schultern. »Gut möglich.«

      »Ich werde einmal meine Bekannten fragen, ob sie diesen ›G.‹ kennen. Vielleicht hat Pauline ihn ja ihnen gegenüber erwähnt. Wenn die beiden so vertraut miteinander waren, sollte er erfahren, dass sie aus dem Leben gerissen wurde.«

      »Ja, das denke ich auch. Womöglich waren sie verlobt.«

      »Ach, das glaube ich nicht«, erwiderte Mabel. »Das hätte sie bestimmt erwähnt. Und sie trug ja auch keinen Verlobungsring.« Sie griff kurz an ihren eigenen Ehering.

      Das war Clarence allerdings auch aufgefallen. Ihm kam ein weiterer Gedanke dazu. »Es sei denn, die beiden wollten ihre Verbindung aus irgendwelchen Gründen geheim halten. Dann hätte sie einen solchen Ring gewiss nicht offen getragen.«

      Die beiden wären wohl kaum das erste Liebespaar, dessen Eltern mit einer Liaison nicht einverstanden waren.

      Clarence nahm den nächsten Brief zur Hand. »Ich frage mich, ob Miss Westrays Familie diesen Herrn kennt.«

      Währenddessen musterte Mabel das Bild von Miss Westrays Verehrer. »Der junge Mann sieht mir ein wenig nach einem eingebildeten Schönling aus.«

      »Aber du kennst ihn doch gar nicht!«, protestierte Clarence und lachte, weil ihn Mabels Beschreibung unfreiwillig amüsierte.

      Mabel sah ihn herausfordernd an. »Du sagst doch immer, das Aussehen eines Menschen lasse auf vieles schließen.«

      »Ja, schon. Aber ich bin nicht gerade ein Verfechter der Physiognomik, und das weißt du.«

      Er glaubte nicht daran, dass man allein aus den Gesichtszügen eines Menschen auf dessen Charaktereigenschaften schließen konnte. In seinem Atelier waren ihm mittlerweile viele Leute untergekommen, an denen sich die Physiognomiker die Zähne ausgebissen hätten. Da war zum Beispiel jener Herr mit dem rundlichen Gesicht gewesen, den diese Wissenschaft gewiss als gemütlich, faul und ein wenig einfältig beschrieben hätte. In ihrem Gespräch hatte sich jedoch herausgestellt, dass er eine geisteswissenschaftliche Lehrstelle an der Universität innehatte.

      »Nun …« Mabel deutete auf das Bild. »Vielleicht ist dieser Herr ja tatsächlich kein eingebildeter Schönling. Aber sei es drum, das werden wir wohl nie herausfinden.«

      Die weiteren Briefe enthielten eine ganze Reihe unterschiedlicher Absender, darunter mehrere weibliche, beispielsweise eine Angelica Beetham.

      »Schau einmal hier«, sagte Mabel nach einer Weile. »Mrs und Mr Paul Westray. Das könnten ihre Eltern sein. Eine Adresse ist ebenfalls vermerkt. Die Westrays wohnen offenbar in Hackney.«

      »In der Tat.« Clarence atmete erleichtert auf. »Ein Glück, damit haben wir eine Sorge weniger. Ich setze mich gleich zu Hause hin und schreibe an die beiden.«

      Mabel legte ihre Hand auf seine. »Mein lieber Fuchs, das kann ich auch gern tun.«

      »Fuchs«, so nannte ihn seine Frau immer, wenn ihr etwas wichtig war und sie ihm schmeicheln wollte. Er schmunzelte, wie so oft, wenn sie diesen Namen gebrauchte, auch wenn es genau genommen nur sein Nachname war. Ihr gemeinsamer Nachname, verbesserte er sich in Gedanken.

      »Es würde dem Ganzen eine persönlichere Note geben, weil ich mit der armen Miss Westray bekannt war«, fuhr Mabel fort. »Und dann schreibe ich Doktor Tyner eine Nachricht, damit er weiß, dass ich mich darum gekümmert habe. Ich werde in dem Schreiben an die Westrays seine Adresse und die des Leichenschauhauses mit einfügen.«

      »Das ist mir recht«, erwiderte Clarence. »Hoffentlich sind die Westrays nicht gerade verreist und können bald nach London kommen.«

      Aus purer Macht der Gewohnheit betrachtete er mithilfe der Öllampe die wenigen Bilder, die in der Wohnung hingen. Als Fotograf interessierte ihn stets, wie seine Kollegen Familienporträts und andere Abbildungen gestalteten.

      Eines der Bilder fing in besonderem Maße seine Aufmerksamkeit ein. »Schau einmal, Liebes«, sagte er zu seiner Frau. »Das könnten Miss Westrays Eltern und sie selbst sein.«

      Die Abbildung in dem schlichten Holzrahmen war vor ungefähr zehn Jahren aufgenommen worden, wie er an der Technik des Bildes und an dem Kleidungsstil erkannte. Damals hatten die Damen noch runde Reifröcke getragen, dazu lange Raffungen auf der Rückseite des Rockes bis hin zu längeren Schleppen. Die Dame saß auf einem Stuhl, ihr mutmaßlicher Gatte stand neben ihr und hatte in einer vertraulichen Geste eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Eine Jugendliche stand etwas seitlich neben der Frau.

      »Das muss Miss Westray in jungen Jahren sein«, sagte Clarence und deutete auf die Jugendliche. »Dieselbe hohe Stirn und die schmale Nase.«

      Mabel lachte auf. »Wie du das immer so schnell erkennen kannst! Selbst anhand einer so kleinen Abbildung …«

      Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte eben schon immer ein gutes Gesichtergedächtnis. Das muss ich von Vater geerbt haben.«

      Mabel griff nach der Feder, die sich in der Schachtel befand. »Ich werde die Adresse der Westrays abschreiben, dann können wir ihren Brief hierlassen.«

      »Ist denn noch Tinte da?« Clarence deutete auf die Schachtel, in der das Tintengläschen lag.

      Mabel nahm es heraus und schraubte den Deckel ab. »Ja, das wird reichen.« Sie notierte die Adresse auf einer Ecke des unbeschriebenen Blattes Papier, das ebenfalls in der Schachtel gelegen hatte.

      Währenddessen ließ Clarence seinen Blick noch einmal über das Bücherregal schweifen. In einem der Bücher steckte ein Blatt Papier. Er öffnete das Buch. Bei dem Papier handelte es sich um einen Zeitungsausschnitt. Ob dieser als Lesezeichen diente?

      Er nahm den Zeitungsausschnitt heraus und las ihn im Schein der Öllampe.

      »Was liest du da?«, erkundigte sich Mabel und trat einen Schritt auf ihn zu.

      »Ach, das ist ein Zeitungsbericht, eine Vorankündigung zu einem Konzert. Es geht darin um einen Auftritt des sogenannten Bach-Chors, der von einem gewissen Otto Goldschmidt gegründet wurde. Hier steht, er sei mit der als die ›schwedische Nachtigall‹ bekannt gewordenen Opernsängerin Jenny Lind verheiratet. Sie erteilt den Sopransängerinnen im Chor Unterricht und wird selbst ebenfalls mit dem Chor auftreten.«

      »Ah, die schwedische Nachtigall! Ja, dieser Name ist mir bekannt. Ich habe von ihr gelesen. Vielleicht

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