Post mortem. Amalia Zeichnerin

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Post mortem - Amalia Zeichnerin Baker Street Bibliothek

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einen rötlichen Albuminpapierabzug entgegen. Das gesamte Bild wirkte leicht verschwommen. Miss Westrays Kopf war gesenkt, sodass ihr Gesicht nicht zu erkennen war. Allerdings war die Rötung auf ihrem Hals nicht zu übersehen, zumal sie sich dunkel von den helleren Hautpartien abhob.

      »Ich denke, ich schließe das Atelier für heute«, sagte Clarence mit gefurchter Stirn. Seine Haltung war kraftlos und sein Gesicht blass. Er sah so aus, wie sie sich fühlte. »Ich werde mich wohl kaum noch aufs Ablichten und schon gar nicht auf Kundschaft konzentrieren können.«

      Mabel umarmte ihn. »Das kann ich gut verstehen, mein Lieber.«

      Er seufzte. »Wenn ich doch irgendetwas für die arme Frau hätte tun können!«

      Mabel strich ihm liebevoll über den Arm. »Ich bin selbst fassungslos. Aber vielleicht wissen wir bald mehr. Ich meine, woran sie gestorben ist.«

      Das Warten auf Doktor Tyner war eine Qual. Mabel war, als säße sie auf Kohlen. Unter anderen Umständen hätte sie oben in der Wohnung ihre Bedienstete Lindsey gebeten, einen Tee zuzubereiten. Diesen zu trinken, das war in jeder Lebenslage möglich und hatte etwas Tröstliches. Aber dafür war nun keine Zeit.

      Zum Glück hielt der Coroner sein Wort: Eine halbe Stunde später fuhr er mit der schlichten schwarzen Kutsche vor, die dem Leichenschauhaus für Leichentransporte diente.

      Williams, einer der Mitarbeiter, der auch die Aufgabe des Kutschers innehatte, kam mit einer großen Trage aus grobem, festem Stoff ins Atelier. Nachdem er sie beide begrüßt hatte, legte er den Leichnam mit Clarences Hilfe behutsam auf die Trage, was angesichts der Stoffmassen von Miss Westrays Kleid keine leichte Aufgabe war. Mabel musste an sich halten, um nicht wieder zu weinen.

      »Kommen Sie, Mrs Fox. Wir sollten uns beeilen. Die einsetzende Totenstarre ist zwar kein Hinderungsgrund für eine Untersuchung, aber wenn sich etwas in Miss Westrays Hals befindet, das zu ihrem Tod geführt hat, wird es sich mit der Zeit zersetzen, und das würde uns die Angelegenheit erschweren.«

      Sie straffte sich, nickte ihm zu und drehte sich zu ihrem Mann um. »Bis später, mein Lieber!«

      Er wagte den Versuch eines aufmunternden Lächelns, doch es wirkte eher gequält. Mabel konnte es ihm nachfühlen. Zunächst einmal würde sie Doktor Tyner unterstützen und damit der Verstorbenen einen letzten Dienst erweisen. Was war bloß mit der armen Frau geschehen? Hoffentlich fanden sie es bald heraus. Sie griff nach der Tasche der Toten und vergaß es auch nicht, die Pralinenschachtel hineinzulegen.

      Kurz darauf saß sie in der geräumigen Kutsche auf der schmalen Bank, der Coroner neben ihr und die Trage mit dem Leichnam auf dem Boden des Gefährts. Das Gesicht der Sängerin wirkte wächsern, ihr Hals war noch immer gerötet und von den Quaddeln bedeckt. Der Prozess der Verwesung streckte seine kalten Finger aus und würde schon bald sein Werk vollendet haben. Mabel schauderte. Natürlich, der Tod gehörte zum Leben dazu. In ihrem Bekanntenkreis gab es zahlreiche Menschen, die Angehörige verloren hatten – totgeborene Kinder, Kinder, die früh gestorben waren, Ehemänner und Söhne, die im Krieg gefallen waren, und einige andere. Pauline Westray hatte glänzende Aussichten auf eine Karriere als Sängerin gehabt, aber nun war ihre begnadete Stimme für immer verstummt.

      »Ach, es ist jedes Mal so schwierig, sich um Todesfälle zu kümmern, wenn die Angehörigen nicht in der Stadt leben und man keine Adresse von ihnen hat«, sagte der Coroner mit gerunzelter Stirn.

      »Warten Sie, vielleicht liefert uns ihre Tasche einen Hinweis.« Mabel lächelte gegen die Traurigkeit an, die wieder von ihr Besitz zu ergreifen drohte. »Frauen tragen für gewöhnlich recht viel mit sich herum – ich bilde da keine Ausnahme.« Sie öffnete die Handtasche der Verstorbenen und kramte darin herum, auch wenn ihr das unangenehm war. Es gehörte sich schließlich nicht, den Besitz anderer Leute zu durchwühlen. Aber in diesem Fall war es unumgänglich. Außer der Pralinenschachtel befand sich in der Handtasche eine kleine Geldbörse und ein zusammengefaltetes, spitzenbesetztes Taschentuch mit feinem Blumenmuster. Mabel kramte weiter. »Hm … hier ist eine Karte für ein Konzert in der Canterbury Music Hall in Lambeth – eine Operette von Jacques Offenbach. Das war vor zwei Wochen. Aber das hilft uns wohl nicht weiter.« Schließlich zog sie zwei handbeschriebene Visitenkarten der Verstorbenen und einen Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln heraus. »Ich vermute, das sind ihre Hausschlüssel.«

      Doktor Tyner rückte seine Brille zurecht. »Würden Sie mir einen Gefallen tun, Mrs Fox? Ich habe im Moment sehr viel zu tun. Es wäre mir eine große Erleichterung, wenn Sie später in der Wohnung der Verstorbenen nachsehen könnten, ob Sie dort einen Hinweis auf mögliche Angehörige finden. Vielleicht auch Briefe. Ich meine, Sie waren ja miteinander bekannt, da sollte es kein Problem darstellen, nehme ich an?«

      »Wir kannten uns allerdings nicht näher«, gab Mabel zu bedenken. »Und was ist, wenn mich ihr Vermieter fragt, warum ich mir so ohne Weiteres Zugang zu ihrer Wohnung verschaffe? Er könnte mich des Diebstahls verdächtigen. Ich kenne ihn nicht und er weiß nicht, dass ich eine Bekannte von Miss Westray bin … war.«

      Doktor Tyner winkte ab. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich setze Ihnen ein kurzes offizielles Schreiben auf, das mit einem Stempel der Metropolitan Police versehen ist. Entsprechend vorbereitetes Papier steht mir im Leichenschauhaus zur Verfügung. Sagen Sie ihm, ich hätte Sie geschickt. Und wenn der Vermieter Ihnen dann immer noch Schwierigkeiten macht, schicken Sie ihn direkt zu mir.« Er hielt kurz inne, bevor er weitersprach: »Wohnte sie in Pimlico?«

      Mabel blickte auf eine der Visitenkarten. »Ja, in der Vauxhall Bridge Road. Das ist gar nicht weit entfernt von der Straße, in der Clarence und ich wohnen. Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann.«

      Die Kutsche hielt vor dem Leichenschauhaus, ein verhältnismäßig großes Gebäude, das sich in derselben Straße wie das Belgravia Polizeirevier befand. Williams holte einen der anderen Mitarbeiter herbei. Gemeinsam schleppten sie die Trage mit dem Leichnam in das Innere des Gebäudes, während der Coroner und Mabel ihnen folgten. Der süßlich-faulige Geruch von Verwesung schlug ihr an der Tür zur Leichenhalle entgegen, vermischt mit dem von Karbolseife und verschiedenen Chemikalien.

      Diese Ausdünstungen waren ihr doch vertraut. Warum wurde ihr davon heute übel? Mabel ignorierte ihren rebellierenden Magen und straffte sich, ehe sie die Leichenhalle betrat.

      Acht Tische befanden sich darin, auf sechs von ihnen lag je ein Leichnam. Bis auf den, an dem John Gerston gerade arbeitete, waren alle mit Tüchern abgedeckt.

      »Guten Tag, Mrs Fox«, begrüßte sie der junge Mann, ein Medizinstudent aus einem der höheren Semester, der hier arbeitete, wenn es seine Vorlesungen erlaubten. Sein Plan war es, sich später auf Gerichtsmedizin zu spezialisieren.

      »Guten Tag, Mr Gerston«, erwiderte Mabel.

      »Legen Sie den Leichnam dorthin«, verlangte Doktor Tyner mit einem Fingerzeig.

      Williams und ein weiterer Kollege betteten die Leiche auf den gewünschten Tisch und rollten die Textiltrage zusammen.

      Der Coroner bedankte sich und die beiden verließen den Raum.

      John Gerston kam zu ihnen herüber und betrachtete Miss Westrays sterbliche Überreste. »Was für einen Fall haben Sie uns gebracht?«, erkundigte er sich bei Doktor Tyner.

      »Tod durch Ersticken oder eine andere Ursache. Mrs Fox wird die Leiche untersuchen, Sie können mit dem Strangulierungsopfer fortfahren.«

      »Wie Sie wünschen.« John Gerston durchquerte den Raum und beugte sich wieder über den Leichnam, an dem er zuletzt gearbeitet

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