Post mortem. Amalia Zeichnerin

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Post mortem - Amalia Zeichnerin Baker Street Bibliothek

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an ein gemeinsames Gespräch, als sie beide und einige andere Damen bei Mrs Porter zum Tee eingeladen gewesen waren.

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      »Wann möchten Sie denn eine Familie gründen, Miss Westray?«, erkundigte sich Mrs Porter.

      »Das weiß ich noch nicht. Erst einmal möchte ich an der Oper singen, das hat für mich oberste Priorität.« Miss Westray schenkte den anwesenden Damen ein schiefes Lächeln. »Meine Mutter wirft mir hier Ehrgeiz an der falschen Stelle vor. Mögen Sie Musik, Mrs Porter?«

      »Ja, natürlich, keine Frage! Das geht uns sicher allen so.«

      Mabel und die anderen Damen stimmten dem zu.

      »Sehen Sie. Musik braucht ja nicht nur Hörende, sondern auch jene, die sie zum Klingen bringen. Ich möchte Menschen mit meinem Gesang erfreuen, aber auch mich selbst, das muss ich zugeben. Dabei denke ich ganz gewiss nicht im Kleinen. Ich möchte ein ganzes Theater mit meinem Gesang füllen, das ist mein größter Wunsch. Wenn ich das erreicht habe, dann – und erst dann – werde ich über eine Ehe nachdenken.«

      »Aber haben Sie denn keine Angst, dass Sie als alte Jungfer enden könnten?«, fragte Mabel. »Je älter Sie werden, desto schwieriger wird es doch mit einer Eheschließung. Wissen Sie, in meinem Haus leben zwei ältere Damen, die sich eine Wohnung teilen. Miss Clover und Miss Gettis. Beide haben nie geheiratet und auch keine Kinder zur Welt gebracht. Sie sagten mir, es hätte sich für sie einfach nicht ergeben.«

      Miss Westray lächelte. »Ich kann mich nur wiederholen. Meine erste Priorität ist der Gesang. Alles andere stelle ich hintan, auch wenn es nicht den üblichen Gepflogenheiten entspricht.«

      »Ich muss schon sagen, Miss Westray – ich bin ein wenig erstaunt, dass Ihre Eltern Ihnen das erlauben«, sagte Mrs Porter.

      Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Nun, ich bin volljährig und kann meine eigenen Entscheidungen treffen. Mir ist es wichtig, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen – mit Musikunterricht.«

      Eine ältere Dame ergriff das Wort. »Also, zu meiner Zeit wäre das undenkbar gewesen. Ich meine, in unseren Kreisen.«

      Miss Westray zuckte leicht mit den Schultern. »Die Zeiten ändern sich.«

      »Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen viel Erfolg für Ihre Pläne«, sagte Mabel. Miss Westray wusste offenbar sehr genau, was sie wollte.

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      All diese Pläne der jungen Frau, die in Adelias Alter war – nein, gewesen war –, ihr Enthusiasmus für die Musik. Alles dahin, von einem Moment auf den anderen aus dem Leben gerissen. Mabel schauderte. Wenn sie sich vorstellte, dass ihre eigene Tochter … Der Gedanke ließ sich nur schwer abschütteln. Seit Mabel damals die Kinder geboren hatte, hatte sie die Angst begleitet, sie zu verlieren, sei es durch Krankheit, Unfälle oder gar Verbrechen. Es war eine Angst, die sie mit anderen Müttern teilte, wie sie über die Jahre immer wieder in Gesprächen festgestellt hatte. Mit der Zeit waren diese Gedanken in den Hintergrund getreten. Doch an Tagen wie diesen meldeten sie sich wieder, und mit Macht. Nein, rief sie sich zur Ordnung. Nicht weiter darüber nachdenken. Nicht jetzt!

      Sie hatte den Beruf der Krankenschwester nicht zuletzt deshalb gewählt, weil sie es als praktisch empfand, entsprechende Kenntnisse auch im privaten Umfeld anwenden zu können. Zumindest im Kleinen, bei einfachen Erkrankungen. Außerdem hatte sie etwas gegen den Tod unternehmen wollen – gegen Todesfälle, die durch den Einsatz geeigneter Heilmethoden, durch Medizin verhindert werden konnten. Was Miss Westray betraf; war sie einfach zu spät hinzugekommen, oder hätte sie ihr so oder so nicht mehr helfen können?

      Während Mabel weitereilte, wanderten ihre Gedanken zu Doktor Tyner, einem hochgewachsenen Mann mit hagerem, leicht eingefallenem Gesicht und dunkelblauen Augen hinter einer Hornbrille. Mabel kannte ihn seit mehr als fünfundzwanzig Jahren und sie hatten einander nie aus den Augen verloren, nachdem der Krimkrieg ein Ende gefunden hatte.

      Mabel hatte damals zu den Krankenschwestern und den katholischen Nonnen gehört, die mit Florence Nightingale im November 1854 die als Lazarett eingesetzte Selimiye-Kaserne in Scutari erreichten. Was sie dort vorgefunden hatte, würde sie ihr Leben lang nicht vergessen. Es waren nicht die schrecklichen Verletzungen, die Schmerzenslaute oder die geflüsterten Gebete. Natürlich war auch das alles furchtbar gewesen, als viel schlimmer hatte sie jedoch die katastrophalen Zustände empfunden. Die viel zu wenigen Ärzte vor Ort waren völlig überarbeitet gewesen. Außerdem hatte es an allen Ecken und Enden gefehlt, die Medikamente hatten nicht ausgereicht und viele der verwundeten Soldaten waren aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen an einer Infektion gestorben.

      Doktor Tyner zählte zu jenen Ärzten, die damals bis zur Erschöpfung gearbeitet hatten, um zu retten, was zu retten war. Trotz der chaotischen Verhältnisse in jenem Lazarett war er umsichtig geblieben, war niemals laut geworden und hatte Schwestern sowie Assistenzärzte mit ruhiger Stimme angewiesen. Doktor Tyner verfügte über eine Seelenruhe, um die Mabel ihn beneidete.

      Wie es der Zufall wollte, lebten sie mittlerweile beide in Pimlico, was sie als Segen empfand, denn sie schätzte ihn sehr. Vor fünf Jahren war seine Frau gestorben, eine schwere Lungenentzündung hatte sie hinweggerafft. Mabel hatte Mrs Tyner sehr gemocht und besuchte regelmäßig deren Grab, um dort ein paar Blumen niederzulegen. Die vier Kinder der Tyners hatten schon lange eigene Familien gegründet.

      Mabel fand den Arzt, wo sie ihn vermutet hatte – im Leichenschauhaus, das sich in der Buckingham Palace Road befand, gerade einmal zehn Minuten Fußweg von der Sutherland Street entfernt.

      »Was ist denn passiert, Mrs Fox?«, fragte er sie mit Besorgnis in der Stimme. »Meine Liebe, Sie wirken ja völlig aufgelöst!«

      Mabel holte tief Luft und schilderte ihm stockend, was vorgefallen war. Die Worte kamen ihr nicht leicht über die Lippen, immer wieder musste sie neu ansetzen, und auch die Tränen lauerten schon wieder darauf, ihre Wangen zu erobern, aber sie wollte vor Doktor Tyner nicht die Fassung verlieren.

      Der Arzt lauschte ihr aufmerksam, nahm seine blutige Schürze ab und hängte sie an einen Haken.

      »Das werde ich mir selbst ansehen, Mrs Fox«, sagte er stirnrunzelnd. »Danke, dass Sie hergekommen sind.«

      Rasch zog er sich seinen Mantel an und sprach kurz mit einem Mitarbeiter des Leichenschauhauses, danach folgte er ihr nach draußen.

      Im Eilschritt ging er neben Mabel her. »Auf das, was Sie mir geschildert haben, kann ich mir im Moment noch keinen Reim machen«, erklärte er. »Ich werde mehr wissen, wenn ich mir die Verstorbene angesehen und sie untersucht habe.«

      »Ich kannte Miss Westray über eine gemeinsame Bekannte«, erklärte Mabel.

      »Hatte sie Familie? Angehörige? Wissen Sie das?«

      Betrübt schüttelte sie den Kopf. »Nicht hier in der Stadt, soweit ich weiß. Sie ist aus Hackney hergezogen, um eine Karriere als Sängerin zu verfolgen.«

      »Ich nehme an, es gibt auch keinen Ehemann? Einen Verlobten vielleicht?«

      So gut hatte sie die Verstorbene nicht gekannt. »Einen Ehemann definitiv nicht. Einen Verlobten hat sie mir gegenüber nie erwähnt. Aber ich muss dazu sagen, dass wir nicht in engerem Kontakt standen. Jedenfalls trug sie keinen Verlobungsring.«

      »Aha.«

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