Post mortem. Amalia Zeichnerin

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Post mortem - Amalia Zeichnerin Baker Street Bibliothek

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Tyner zog sich eine helle Jacke über, wie immer, wenn er Leichen obduzierte. »Falls Sie Fragen haben, Mrs Fox, sagen Sie mir Bescheid, ja?«

      »Selbstredend, Doktor!« Mabel zog sich eine der Schürzen über, die an einem Garderobenhaken bereithingen und die sowohl ihr Oberteil als auch einen Großteil ihres Rocks bedeckte. Mit Schaudern dachte sie an die hygienischen Verhältnisse in den Lazaretten des Krimkrieges. Damals hatte es kaum Sicherheitsvorkehrungen gegeben. Medizinisches Besteck war nicht gereinigt worden und Chlorkalk, der der Desinfektion diente, hatte es noch nicht gegeben. Ganz zu schweigen davon, dass aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen mehr als tausend britische Soldaten an Cholera, Dysenterie und anderen Durchfallerkrankungen gestorben waren, bevor die Streitkräfte überhaupt zum Einsatz gekommen waren.

      Der Gedanke an all das verstärkte ihre Übelkeit. Nicht daran denken. Das alles war ja auch schon mehr als zwanzig Jahre her und die heutige Zeit bot Anlass für Hoffnung: Seit damals hatte sich in der Medizin und der Krankenpflege vieles verändert. Sie selbst hatte eine ganze Menge dazugelernt, seit die Kinder aus dem Haus waren. Einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte Doktor Tyner, der sich ebenfalls stetig weitergebildet hatte.

      Mabel betrachtete das bleiche Gesicht von Miss Westrays Leichnam. Fast wollten ihr wieder die Tränen kommen, doch sie drängte sie zurück. Vielleicht konnte sie wenigstens herausfinden, woran die junge Frau gestorben war, oder zumindest bei einer entsprechenden Aufklärung mitwirken. Und sie würde nicht eher ruhen, bis die Todesursache feststand. Der Tod war unwiderruflich, aber er legte auch alles bloß – die ganze nackte Wahrheit über einen Menschen. Ein Leichnam konnte weder lügen noch sich verbergen oder ein Geheimnis hüten. Einem geschickten Mediziner war es gegeben, so manches an einer Leiche abzulesen. Auch wenn es zugegebenermaßen einiges gab, was der medizinischen Forschung bis heute ein Rätsel war, das wusste sie aus unzähligen Gesprächen mit dem Arzt und dem Medizinstudenten.

      Ihr Blick wanderte zu Miss Westrays bleichem Leib. Der grässliche Geruch in der Halle und die Tatsache, dass hier eine Bekannte vor ihr lag, das beides trat allmählich in den Hintergrund. Stattdessen setzte Mabels Forscherdrang ein, eine Neugier, die ihr schon während ihrer Ausbildung als Krankenschwester innegewohnt hatte. Zu verstehen, wie der menschliche Körper aufgebaut war und wie er im Zusammenspiel all seiner Organe funktionierte, das hatte sie schon als Jugendliche fasziniert. Die Totenstarre begann fast immer an den Kaumuskeln. Mit spitzen Fingern tastete Mabel Miss Westrays erkalteten Kiefer ab. Die Starre hatte dort noch nicht eingesetzt, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis es so weit war. Vorsichtig schälte sie den Leichnam aus dem Oberteil, das sich aufknöpfen ließ. Danach das dünne Hemd, das sich über dem Korsett befand. Sie öffnete Letzteres, legte es beiseite und zog dem Leichnam auch die darunter liegende Chemise aus zarter Baumwolle aus. Für diese erste Untersuchung zudem die Röcke abzustreifen, war zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht gegeben. Das konnten später die Mitarbeiter des Leichenschauhauses übernehmen.

      Mabel betrachtete den Oberkörper der Toten. Wie sie erwartet hatte, war die Haut blass. Miss Westray hatte keinerlei Narben, nur ein, zwei Muttermale. Auch keine blauen Flecken oder andere Anzeichen von Gewalteinwirkung. An ihren Fingern fanden sich keine jener typischen Abdrücke, die Menschen zeigten, die dauerhaft Ringe trugen. Wie schon am Hals erblickte Mabel auch auf dem Brustkorb jene fleckenförmigen Rötungen und Quaddeln. Ob das als ein Anzeichen für eine Vergiftung zu werten war?

      Behutsam öffnete Mabel den Mund der Verstorbenen. Auf der deutlich geschwollenen Zunge klebten die Reste von Schokolade. Würde sie ihr etwa den Hals aufschneiden müssen?

      Mabel wandte sich an den Coroner. »Doktor Tyner, wie sehen Sie das, soll ich die Speiseröhre und die Trachea aufschneiden, damit wir wissen, ob Miss Westray sich einfach nur unglücklich verschluckt hat?«

      Er blickte von der Leiche auf, an der er gerade arbeitete. »Tun Sie das ruhig, Mrs Fox.«

      Mabel straffte sich, nahm sich ein Skalpell und setzte die entsprechenden Schnitte an. Vorsichtig zog sie danach die Haut an den Rändern der Schnitte auseinander.

      »Die Luftröhre zeigt deutliche Anzeichen einer starken Anschwellung. Aber es ist kein verschlucktes Stück einer Praline darin«, sagte sie zu Doktor Tyner. »Ich frage mich nur, wodurch diese Anschwellung entstanden ist. Pralinen mit einer Apfel-Zimt-Füllung? Das kann unmöglich die Ursache gewesen sein.«

      »Ich werde einige Tests mit diesen Pralinen durchführen lassen«, sagte Doktor Tyner, ohne aufzusehen. »Falls da Gift im Spiel sein sollte, werden wir es sicher herausfinden. Ich frage mich allerdings, wie jemand Gift in die Pralinen gebracht haben könnte, ohne dass dies nach außen hin sichtbar ist.«

      Mabel überlegte. »Wäre es nicht möglich, dass jemand selbst Pralinen hergestellt hat, die Gift enthalten, und sie dann in die Schachtel dieser Konditorei gelegt hat?«

      »Ja, in der Tat, das ist allerdings denkbar. Die Pralinen sehen jedoch äußerst professionell aus, finde ich. Wenn Sie mit Ihrem Gedanken richtigliegen, wusste derjenige offenbar genau, was er tat. Oder sie.« Er kam zu ihr herüber. »Lassen Sie mich bitte einmal sehen.« Schweigend betrachtete er den aufgeschnittenen Kehlkopf und den Hals der Toten.

      »Hm. Merkwürdig. Diese Rötungen auf der Haut und die Quaddeln könnten tatsächlich ein Anzeichen für eine Vergiftung sein. Es gibt ja zig verschiedene Gifte mit den unterschiedlichsten Wirkungen. Aber um das ganz genau herauszufinden, brauche ich eine richterliche Anordnung für eine größere Sektion. Wir werden dann auch die Halsweichteile entnehmen können und sie in ihrer Gesamtheit präparieren. Erst dann können Gerston und ich die Schwellungen genauer untersuchen. Ich spreche heute noch mit den Kollegen auf dem Revier, auch wegen des richterlichen Beschlusses.«

      Mit der stumpfen Seite eines Skalpells drückte er die geschwollene Zunge der Toten leicht herunter. »Hm«, machte Doktor Tyner ein weiteres Mal. »Geben Sie mir bitte die Pralinenschachtel. Ich hole in der Zwischenzeit eine Pinzette und einen Träger.«

      Mabel griff nach Miss Westrays Tasche und zog die Pralinenschachtel daraus hervor.

      Wenig später kam Doktor Tyner mit einer Pinzette und einer dünnen Glasschale zurück. Mit dem kleinen, silbern glänzenden Werkzeug zog er vorsichtig eine Praline aus der Schachtel und legte sie auf den Boden der flachen Schale. Danach zerteilte er die Praline mit der Pinzette in der Mitte, hob eines der beiden Stücke hoch und betrachtete es eingehend. Anschließend roch er vorsichtig daran. »Wenn Sie mich fragen, sieht das darin nicht nach einer Apfel-Zimt-Füllung aus, wie es auf dem Etikett steht, sondern nach einer Erdnusscreme-Füllung. Es riecht auch eher danach.«

      »Oh.« Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken, als sie darüber nachsann, was das bedeuten mochte. »Wenn jemand Miss Westray vergiften wollte, dann wäre es demjenigen wohl recht egal, was auf der Schachtel steht, sofern die Pralinen den Anschein erwecken, tatsächlich aus einer Konditorei zu stammen«, sagte sie. Die Übelkeit in ihrem Magen hatte sich während der Untersuchung gelegt, doch nun kehrte sie zurück.

      »In der Tat. Das wäre eine Erklärung. Oder aber die Konditorei Bromleys hat die Schachtel falsch beschriftet.«

      Er runzelte die Stirn. »Ich denke, so etwas kommt schon mal vor. Fehler passieren doch in allen Berufszweigen. Ich werde diese Pralinen auf jeden Fall auf Gift hin untersuchen lassen. Mein Kollege, Doktor Philmore, kennt sich damit besser aus als ich. Ich werde heute noch mit ihm sprechen.«

      Mabel besann sich auf das, was sie gelernt hatte. Auf die kalten, harten Fakten. »Arsenik können wir wohl ausschließen, nicht wahr, Doktor?« Diese Substanz wurde teilweise als Heilmittel verwendet, unter anderem gegen die Syphilis, aber wenn sich Ärzte mit der Dosierung vertaten, kam es nicht selten zu Vergiftungen. »Da kommt es dann doch eher zu schweren Magen-Darm-Entzündungen mit Erbrechen, starken Schmerzen,

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