Post mortem. Amalia Zeichnerin

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Post mortem - Amalia Zeichnerin Baker Street Bibliothek

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einredete.

      »Fragen wir doch einfach, wo Miss Westray gewohnt hat«, schlug Mabel vor.

      »Nein, lieber nicht«, entgegnete Clarence. »Sonst müssen wir ihren Nachbarn erklären, was wir hier tun, und das wäre mir sehr unangenehm.«

      Mabel verzog das Gesicht. »Aber das Haus hat vier Stockwerke. Wir können doch nicht bei jeder Wohnung einfach den Schlüssel ausprobieren.«

      Wo sie recht hat, hat sie recht. Er zögerte einen Moment lang, aber ihm wollte nichts Besseres einfallen. »Auch wieder wahr«, stimmte er ihr schließlich zu. »Dann hoffe ich auf verständnisvolle Nachbarn.« Clarence klopfte an der Tür, hinter der das weinende Kind verstummt war.

      Eine Frau mit einer geblümten Schürze öffnete ihnen. Sie hielt das Kleinkind auf dem Arm. Im Halbdunkel des Wohnungsflures war ihr Gesicht nur schwer zu erkennen. »Ich kaufe nichts«, sagte sie unwirsch. »Und wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?«

      »Entschuldigen Sie bitte. Mein Name ist Clarence Fox und das ist meine Frau Mabel. Ihre Nachbarin, Miss Westray, ist mit uns bekannt.« Er räusperte sich. »Sie ist heute tragischerweise bei einem Unfall aus dem Leben geschieden.«

      »Oh. Das tut mir leid!«, sagte die Frau, nun etwas freundlicher.

      Hoffentlich würde sie ihnen nun keine Steine in den Weg legen oder darauf pochen, den Vermieter zu holen. »Sehen Sie, es ist so«, beeilte er sich zu erklären, »der Coroner schickt uns, damit wir in Miss Westrays Wohnung nach Hinweisen auf ihre Angehörigen suchen können. Er selbst ist gerade zu sehr beschäftigt, um sich darum zu kümmern.«

      »Wir haben auch ein Schreiben von ihm, falls Sie das sehen möchten. Den Haustürschlüssel und den Wohnungsschlüssel haben wir aus Miss Westrays Handtasche.«

      »Warten Sie kurz«, erwiderte die Frau und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.

      Clarence sah Mabel fragend an. Was das wohl werden würde? Sie zuckte nur leicht mit den Schultern und setzte eine gleichmütige Miene auf. Schweigend warteten sie beide. Hoffentlich konnten sie das alles hier schnell über die Bühne bringen.

      Es dauerte einige Minuten, ehe die Nachbarin von Miss Westray ihnen wieder öffnete, diesmal ohne das Kind im Arm, stattdessen mit einer brennenden Kerze in der Hand, die sich in einem bauchigen, tönernen Halter mit Henkel befand. In diesem Licht war ihr Gesicht nun deutlicher zu sehen. Die Frau machte einen verhärmten Eindruck, hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihre Frisur war zerzaust.

      »Lassen Sie mich einmal dieses Schreiben von dem Coroner sehen«, verlangte sie.

      Das war ihr gutes Recht. Clarence hätte nicht anders reagiert, wenn Fremde in seinem Wohnhaus aufgetaucht wären und ihm eine solche Geschichte aufgetischt hätten. Er griff in die Brusttasche seines Mantels und faltete den Bogen auseinander, ehe er ihn der Frau reichte. Das Schreiben trug einen deutlich sichtbaren Stempel der Metropolitan Police.

      Miss Westrays Nachbarin überflog den Brief. »Ja, also … wenn das so ist, dann …«, sagte sie schließlich. »Aber ich frage mich, ob wir nicht erst den Vermieter rufen sollten.«

      Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. »Ich würde vorschlagen, meine Frau und ich kümmern uns nun erst einmal schnellstmöglich darum, die Angehörigen der Verstorbenen zu verständigen. Diese wiederum können dann alles Weitere mit dem Vermieter klären.«

      Die Frau runzelte die Stirn, zögerte zunächst und blickte forschend erst zu Mabel und dann zu ihm. »Wenn Sie meinen. Von mir aus. Miss Westray wohnt – ich meine, sie wohnte – im dritten Stock. Die zweite Tür links.«

      »In Ordnung, haben Sie vielen Dank. Einen schönen Abend noch.« Clarence tippte grüßend an seinen Zylinder.

      An der zweiten Tür links im dritten Stock befand sich weder ein Namensschild noch eine Türnummer. Clarence warf einen Blick auf die beiden Schlüssel und probierte denjenigen aus, der nicht in das Schloss der Haustür gepasst hatte. Tatsächlich öffnete sich die Wohnungstür. Gut so. Hoffentlich finden wir bald das, was wir suchen.

      In Miss Westrays dunklem Wohnungsflur entzündete Mabel eine Öllampe, nachdem sie in deren Nähe eine Schachtel Streichhölzer gefunden hatte. Ein leichter Geruch nach Kernseife hing in der Luft. Die mit einem schlichten floralen Muster bedeckte Tapete in der kleinen Einzimmerwohnung war an einigen Stellen eingerissen, an anderen hatte sie sich von der Wand gelöst.

      Clarence stellte seinen Gehstock in einer Ecke des Raumes ab und sah sich um. Nur das Nötigste an Mobiliar fand sich hier: ein altes Bett, ein Kleiderschrank, ein kleiner Toilettentisch mit Waschschüssel, ein weiterer, etwas größerer Tisch, dazu zwei Stühle. Eine Küchennische und ein Heizofen komplettierten die Einrichtung. An der Wand hing zudem ein schmales Bücherregal mit drei Böden. Die Toilette, die sich offenbar mehrere der Bewohner des Hauses teilten, befand sich auf halber Treppe außerhalb der Wohnung. Sie waren an einer entsprechenden Tür vorbeigegangen.

      Mabel trat mit der Öllampe an das Bücherregal. »Hier sind jede Menge Noten«, sagte sie. »Ich vermute, für Gesangsstücke. Ah, Jacques Offenbach, der Name sagt mir etwas. Er hat mehrere Operetten geschrieben, soweit ich weiß. Und diesen Giuseppe Verdi scheint Miss Westray ebenfalls bevorzugt zu haben.«

      Clarence konnte noch immer nicht das Unbehagen abschütteln, in einer fremden Wohnung herumzuschnüffeln. Er betrachtete die Rücken der wenigen Bücher; ausschließlich Sachliteratur zum Thema Musik und Gesang. Belletristische Werke konnte er nicht entdecken. »Offenbar hat Miss Westray nicht zu den Damen gezählt, die gern Romane lesen«, sagte er.

      »Was ist denn in dem Behältnis dort?« Mabel deutete auf eine Schachtel aus festem Karton, die mit einem zarten, leicht verblassten Blumenmuster bemalt war. Im Schein der Lampe hob Clarence den Deckel an.

      In der Schachtel lagen drei Bündel mit Briefen, alle fein säuberlich mit einem roten Stoffband verschnürt. Darunter befanden sich Schreibutensilien – eine Feder, ein Gläschen Tinte, ein unbeschriebenes Blatt Papier, blutrotes Siegelwachs sowie ein schlichter Siegelstempel.

      Eine ganze Menge Briefe … »Dann wollen wir doch einmal sehen, ob wir hier die gewünschten Adressen finden.« Clarence hob die Briefbündel aus der Schachtel und legte sie auf den Tisch. Gemeinsam knüpften sie die Schnüre auf.

      »Sortieren wir sie am besten nach den Adressen«, schlug Mabel vor. »Sofern welche darauf vermerkt sind.«

      Sie sollte recht behalten, nicht auf allen Briefen war ein Absender zu finden. Briefe wurden dieser Tage ja zumeist nur zusammengefaltet und mit Siegelwachs geschlossen. Lediglich für hochoffizielle Schreiben verwendete man Briefumschläge. Ansonsten wurden diese im privaten Bereich, wenn überhaupt, nur von der Oberschicht und dem Adel genutzt, schließlich war Papier – bis auf jenes, das beim Druck von Zeitungen zum Einsatz kam – teuer.

      Eine kraftvoll geschwungene Schrift stach Clarence ins Auge.

      Liebste Pauline,

      es war mir eine Freude, mit dir wieder ein Konzert in der Canterbury Music Hall zu besuchen. Deine Augen leuchten immer so wunderbar, wenn du dich für Musik begeistert. Du bist die liebreizendste Frau, die ich jemals kennenlernen durfte.

      Wer auch immer das geschrieben hatte, sparte nicht mit Superlativen und Süßholzgeraspel. Auch die weiteren Zeilen lasen sich zutiefst schwärmerisch.

      Clarence

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