Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
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Norbert Hellbach befreite sich aus der Umarmung. »Ich will, dass du glücklich bist. Das ist alles. Und ich habe volles Verständnis, wenn du dich für den Vater deines Jungen entscheidest. Mit ihm kannst du weitere Kinder haben, mit mir nicht.« Er drehte sich ruckartig nach dem Besucher um. »Sie sind ein Glückspilz, junger Mann, denn Inge wird sich natürlich für Sie entscheiden. Seit das Kind zur Welt gekommen ist, sehnt sie sich nach Ihnen. Mir gegenüber wird sie es nie zugeben, aber ich weiß es.«
»Es ist nicht wahr!« Inge wand sich, als habe sie schlimme Schmerzen. Ihr Gesicht war verzerrt. »Das, was du als Großzügigkeit tarnen willst, ist doch nur ein Vergnügen für dich! Was habe ich dir getan, dass du mich so furchtbar erniedrigst?« Inges Brust hob und senkte sich in rascher Folge. In diesen Minuten zweifelte sie an Norberts Liebe. An jener Liebe, der sie zuvor so sicher gewesen war.
»Warte es ab. Du wirst mir noch sehr dankbar sein, denn ich ebne dir den Weg in eine glückliche Zukunft.«
»Du siehst alles so falsch, Norbert. Ich will mit dir und mit Uwe glücklich sein. Alles andere interessiert mich nicht.« Die zitternde junge Frau wusste kaum noch, was sie tat. Sie fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, zerzauste mit gespreizten Fingern ihr glänzendes blondes Haar.
»Ich habe lange genug Zeit gehabt, mir Klarheit zu verschaffen«, höhnte Norbert. »Seit zweieinhalb Jahren bin ich nur ein lächerlicher Ersatz für dich. Wenn ich dich in den Armen halte, denkst du an ihn, an Uwes Vater!« Er machte eine weit ausholende Bewegung. Fast sah es aus, als wollte er Inge schlagen.
Die junge Frau zuckte erschrocken zusammen. Sie warf den Kopf zurück und kreischte laut: »Nein! Nein! Du weißt genau, dass das alles nicht wahr ist. Du weißt, dass du lügst!« Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander, Tränen rannen über ihre Wangen. Sie konnte sich nicht länger beherrschen. Sie schrie schrill und laut, voll Not und Pein. Fast tierische Laute waren es, die über ihre Lippen kamen. Ihre Glieder bebten.
Norbert Hellbach tat nichts, um seine Frau zu beruhigen. »Statt mir dankbar zu sein, machst du so ein Theater«, beklagte er sich.
Inge hörte es überhaupt nicht. Ihr war, als müsste sie wahnsinnig werden, ersticken in einer Flut von Gemeinheit und Misstrauen. Ihr Verstand schien auszusetzen. Sie handelte nur noch mechanisch. Unaufhörlich drangen schrille Schreie aus ihrem Mund. Es war, als könnte sie nicht mehr damit aufhören. Schweißtropfen traten auf ihre Stirn, Schweiß lief ihr über den Rücken.
Plötzlich wusste sie, dass sie den Anblick der beiden Männer keine Sekunde länger ertragen konnte. Sie rannte aus dem großen Wohnraum, stürzte wie blind durch die geräumige Diele. Fort, nur fort, schrie es in ihr.
Ihre Füße waren schwach und zittrig, trotzdem rannte sie wie gehetzt weiter. Sie erreichte den Fahrstuhl, war froh, niemanden darin anzutreffen.
Im Swimmingpool im hinteren Teil des Gartens wurde gelärmt und fröhlich gelacht. Inge lief noch schneller. Sie mochte keine Menschen sehen, keine Stimmen hören. Man hatte ihr wehgetan, hatte ihre Gefühle in den Schmutz gezogen. Nach all dem Kummer der letzten Wochen war das mehr, als sie ertragen konnte. Ihre Nerven versagten. Laut weinend rannte sie dem Wald zu. Sie wusste gar nicht, wohin sie eigentlich wollte. In ihrer Panik war ihr alles gleichgültig.
*
Vorwurfsvoll sah Christian Gentsch seinen Gastgeber an. »Ich glaube, das war zu viel für sie«, meinte er leise. »Es war wie ein Schock.«
Norbert zuckte gleichgültig die Schultern. Wieder einmal ging er zur Bar, um eine Flasche herauszunehmen und sie an die Lippen zu setzen. »Wollen Sie auch?«, fragte er den jungen Mann lauernd. Zu seinem Ärger musste er feststellen, dass Christian Gentsch fabelhaft aussah, fast wie ein Leinwandheld. Er würde Inge bestimmt gefallen! Wenn sie sich auch jetzt noch ein bisschen dagegen wehrte, würde die Liebe in ihr doch irgendwann die Oberhand gewinnen.
Christian Gentsch überging die Frage des Dirigenten. »Gehen Sie ihr nicht nach?«, erkundigte er sich erstaunt.
»Wozu denn? Das war doch alles nur Theater. Glauben Sie, ich hätte das nicht durchschaut? Immerhin sind wir schon sechs Jahre verheiratet. In dieser Zeit lernt man einander kennen. Ja, Inge ist schon achtundzwanzig. Das hätten Sie nicht gedacht, nicht wahr? Sie sieht bedeutend jünger aus.«
»Mein Gott, in dieser Verfassung können Sie Ihre Frau doch nicht allein lassen. Sie kann sich etwas antun.« Christian hätte den Dirigenten am liebsten unsanft geschüttelt.
Doch Norbert ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wieder setzte er die Flasche an, nahm einen kräftigen Schluck. Gleich darauf füllte er ein Glas, schob es Christian Gentsch zu. »Trinken Sie!«, befahl er barsch.
»Wenn ich geahnt hätte, dass mein Auftauchen solche Probleme auslöst, wäre ich natürlich nicht gekommen«, erklärte der junge Mann mit sympathisch klingender Stimme. »Ich war der Ansicht, dass es Schwierigkeiten wegen des Kindes gibt. Da wollte ich mich nicht vor der Verantwortung drücken, obwohl sie wahrscheinlich nur indirekt besteht.«
»Natürlich geht es um das Kind«, stieß Norbert böse hervor. »Ihr Kind! Zuerst habe ich geglaubt, ich könnte Uwe als meinen Sohn anerkennen. Ich habe mir große Mühe gegeben, das dürfen Sie mir glauben. Solange der Junge ein Baby war, ging es ja auch. Aber als er laufen lernte, als er überall bewundert wurde, konnte ich seinen Anblick nicht mehr ertragen. Es war eine schlimme Zeit für mich. Ruhig lebe ich erst wieder, seit Uwe in diesem Heim ist.«
»Und was kann ich tun?« Christian schüttelte verärgert den Kopf. Manchmal hatte er den Eindruck, es mit einem Verrückten zu tun zu haben. Waren denn alle Künstler so? »Ich bin Student, habe nicht einmal eine eigene Wohnung. Ich kann weder ein Kind zu mir nehmen noch eine Familie gründen. Es dauert noch mehr als zwei Jahre, bis ich meinen Doktor machen kann. Erst dann kann ich als Assistenzarzt etwas verdienen.«
»Dann werde ich Ihnen eben einen Kredit einräumen.« Immer wieder versuchte Norbert, den bitteren Geschmack in seinem Mund mit Whisky hinunterzuspülen. Doch es gelang ihm nicht.
»Das werden Sie tausendmal bereuen!« Christian Gentsch rührte das Glas, das Norbert vor ihn hingestellt hatte, nicht an. Er machte sich nichts aus Alkohol. Ein klarer Kopf war ihm lieber.
Ruckartig setzte der Dirigent die Flasche ab. »Stimmt genau. Ich will Inge nicht verlieren. Aber ich möchte endlich Klarheit haben. Ich möchte wissen, dass sie mich und keinen anderen liebt.«
»So etwas von Unvernunft gibt es wahrscheinlich nur einmal«, brummte der Student ärgerlich. »Sie spielen mit dem Feuer und wundern sich, wenn Sie sich dabei die Finger verbrennen. Eigentlich ist es sehr erstaunlich, dass Ihre Frau Ihnen nicht längst davongelaufen ist. So, wie Sie sie behandeln!«
»Was wissen Sie eigentlich davon?« Norbert Hellbachs Gesicht kam bedrohlich näher. »Sie haben ja keine Ahnung, was ich alles für Inge tue. Sehen Sie sich ihre Kleiderschränke an, ihre Schmuckkästen. Erst dann können Sie sich ein Urteil bilden.«
Der Atem des Dirigenten roch nach Alkohol. Angewidert wich Christian Gentsch zurück. »Wahrscheinlich haben auch Sie schon einmal gehört, dass es außer materiellen Gütern noch etwas anderes gibt, was Menschen verbindet, Liebe und Verständnis!«
Maßloses Erstaunen zeichnete sich auf Norberts Gesicht ab. »Habe ich meine Großzügigkeit nicht zur Genüge bewiesen? Ich hatte nichts dagegen, dass Inge das Kind eines anderen zur Welt bringt. Kann man noch mehr von mir verlangen? Und jetzt …, jetzt liefere ich ihr sogar den Vater. Ist das kein Beweis meiner Liebe?« Er schrie jetzt.