Wahrheit oder Sylt. Jacob Walden
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»Wo warst du so lange, du Hund?«, rief Karsten und sprang auf, um ihm entgegenzugehen. »Ich musste mich hier mit zwei besoffenen Psychotanten rumschlagen! Was, verdammt, hast du so lange gemacht?«
18
Westerland/Sylt. Nordseeklinik
Danach
Drogenscreening. Das Wort hallt nach und breitet sich im diffusen Licht des abgedunkelten Zimmers aus wie eine Wolke. Er hat nichts genommen. Ganz sicher. So ist er nicht drauf, kein Interesse, noch nicht einmal Gras, das letzte Mal war damals mit Carina.
Und wenn Matze was in die Drinks gemischt hat? Zutrauen würde er es ihm. Was auch immer ihn ausgeknockt hat – die Wahrscheinlichkeit, dass es bei Laboruntersuchungen unentdeckt bleibt, geht wohl gegen null. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Polizei für die Ergebnisse interessiert, umso höher. Oder?
Was würde dann mit ihm geschehen? Sie würden ihn doch nie im Leben so einfach gehen lassen! Würde er in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden? Entzugsstation? Oder Gefängnis? Untersuchungshaft?
War das der Grund, weshalb Luna noch schnell diese hastige Ergänzung auf die Rückseite ihres Briefes gekritzelt hat? Er muss hier wirklich raus! Irgendwie an diesem Monster von Pfleger vorbei!
Wie es wohl Miriam geht? Es muss Miriam sein, die einen Stock tiefer in einem Zimmer wie er ist, in einem Bett wie er liegt, zu wem soll Waldmanns Beschreibung denn sonst passen? Ob sie inzwischen wach ist? Ist Luna auch bei ihr gewesen? Hat auch Miriam ihr Gepäck und eine Warnung bekommen?
Was soll er jetzt tun? Einfach abhauen, so schnell wie möglich runter von der Insel, im Schutz seiner falschen Personalien auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Doch was würde dann aus Miriam werden?
Drogenscreening. Vielleicht hat auch sie Gedächtnislücken. Vielleicht weiß sie aber auch etwas, das er nicht weiß? Etwas, das den Nebel in seinem Kopf ein weiteres Stück vertreiben kann?
Karsten seufzt. Er kann nicht weg, ohne Miriam zu befreien. Sonst würde die ganze Situation unkontrollierbar werden. Vielleicht würde Miriam seinen richtigen Namen sagen, und dann wäre es das gewesen mit auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Doch wie soll er sie da rausholen? Er kann ja schlecht auf die andere Station marschieren, an verschiedene Türen klopfen, bis er das richtige Zimmer gefunden hat, und dann mit Miriam einfach aus dem Krankenhaus spazieren.
Was hat der Pfleger gesagt? Genau hier einen Stock tiefer. Hat er damit gemeint, dass Miriam im Zimmer exakt unter seinem Zimmer liegt?
19
Niebüll. Autoverladungsterminal
Davor
Der Andrang an der Autoverladung in Niebüll war enorm. Als klar war, dass der angepeilte Zug ohne sie fahren würde, waren Karsten, Franziska, Miriam und Lorenz davon ausgegangen, den nächsten zu bekommen, doch es wurde nicht einmal der übernächste.
Zweieinhalb Stunden steckten sie im Wartebereich des Autozugs fest, zweieinhalb Stunden an der hässlichen Schleuse zwischen Sylt und dem Rest der Welt. Hitze flimmerte über Asphalt und zig Autodächern, die Luft war von Abgasen getränkt.
Als sich endlich die Schlange vor ihnen in Bewegung setzte, wurde der Audi auf die untere Ebene des Autozugs geleitet.
»Schade«, sagte Miriam enttäuscht. »Von oben kann man bestimmt superschön aufs Meer schauen.«
»Die SUVs lassen sie nach oben, die sind zu hoch für unten«, stellte Franziska fest. »Vielleicht hätten wir uns auch einen besorgen sollen. Passend zu Sylt.«
»Bloß nicht!«, sagte Lorenz. »Am Traktor erkennt man den Bauerntrampel. Sehr uncool.«
»Vielleicht fahren ja deshalb viele so ein Ding«, bemerkte Miriam. »Damit sie auf dem Autozug nach Sylt oben stehen dürfen.«
»Die wollen nicht nur auf dem Autozug oben stehen«, sagte Karsten. »Die wären auch sonst gerne ganz oben. Immer schön auf dicke Hose machen, dabei ist alles nur geleast. Alles Möchtegern und Gernegroß.«
»Siehe Matze«, sagte Lorenz lakonisch.
»Penisprothesen«, bemerkte Karsten. »Nichts anderes sind diese dicken Protzkisten.«
»Dein Vater fährt doch auch so ein Auto«, fiel ihm Franziska ins Wort.
»Eben«, antwortete Karsten bissig. »Der ist das beste Beispiel.«
»Was ist denn so schlimm an SUVs?«, fragte Franziska.
»Brauchen unnötig viel Sprit, nehmen mehr Platz weg, was in der Stadt echt nervt, und wenn dich so ein Riesending auf dem Fahrrad anfährt, hast du keine Chance«, zählte Miriam auf.
»Vor allem ist ein SUV das Gegenteil von Understatement«, sagte Lorenz, »und deshalb uncool.«
»Vor allem das Gegenteil von deinem Gammel-Mini«, kommentierte Franziska schnippisch. »Ihr seid doch bloß neidisch!«
»Neidisch?« Lorenz lachte. »Worauf? Auf die Profilneurose?«
»Wie bist du eigentlich drauf?« Karsten sah Franziska irritiert an. »Findest du diese Fettarsch-Autos etwa gut?«
»Ich fand das schon ganz nett gestern, im Cayenne durch die Stadt zu cruisen. Und ich bin allergisch gegen diese Mentalität, alles scheiße zu finden, was mit Luxus und Lifestyle zu tun hat. Vor allem, wenn man wie ihr mitten im Luxus aufgewachsen ist.«
»Genau deshalb dürfen wir das auch scheiße finden!«, rief Lorenz. »Wir können das beurteilen durch langjährige schmerzhafte Kindheitserfahrungen.«
»Aha«, schnappte Franziska. »Und weil ich so ein Proll aus dem Harz bin, ist meine Meinung weniger wert, oder was?«
»So ein Quatsch«, winkte Karsten ab. »Aber es ist doch ganz normal, dass man kritisch hinterfragt, womit man aufgewachsen ist. Tust du doch auch! Du fährst ja nicht einmal an Weihnachten nach Hause!«
Karsten biss sich auf die Zunge. Fransziska war empfindlich, wenn es um ihre Familie ging.
Warum sie nach Bremen gegangen war, um Jura zu studieren, konnte ihre Familie nicht verstehen. Ihrem Vater wäre es lieber gewesen, wenn sie wie ihre zwei Schwestern eine Ausbildung beim Friseur oder bei der Sparkasse gemacht hätte. Ihre Mutter hätte es gern gesehen, wenn sie ihren Jugendfreund geheiratet, schnell Kinder bekommen und ein Haus gebaut hätte – genau wie ihre Schwestern. Franziska galt nun als Abtrünnige, die sich für was Besseres hielt. Bei jedem Besuch fiel Franziska ein wenig mehr die Enge und Beschränktheit ihrer Familie auf, ihres Dorfs, ihres gesamten früheren Lebens.
Als nach einigen Semestern klar war, dass sie an der Uni nicht nur mithalten konnte, sondern sogar richtig gut war, hörte sie auf, nach Hause zu fahren. Aber ein wundes Gefühl blieb.
Der Zug hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt und Niebüll verlassen. Draußen zogen weite Felder und grüne Wiesen vorbei. Windräder drehten sich majestätisch im Südwestwind. Hinter Klanxbüll standen Schafe auf einem Deich, und dann waren sie plötzlich