Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
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Jürgen atmete hörbar aus. »Bitte weiter«, bat er. »Sagen Sie mir alles, was Sie wissen oder auch nur vermuten.«
Der Anwalt kam dieser Aufforderung nur allzu gern nach. Seit Monaten hatte er mitansehen müssen, wie das schöne große Gut allmählich zugrunde ging. Er hatte dagegen nichts unternehmen können, weil er von Jutta nicht die nötigen Vollmachten besessen hatte. Aber dieser junge Arzt hatte die nötigen Ermächtigungen. Ihm konnte es gelingen, Riederau zu retten. Wenn das überhaupt noch möglich war.
»Vielleicht ist noch nicht alles verloren«, sagte der Anwalt abschließend.
»Vielleicht.« Jürgen erhob sich.
»Ich werde tun, was ich kann, um Frau Rauscher zu helfen. Und natürlich halte ich Sie über meine Schritte auf dem Laufenden.«
Jürgen reichte dem Rechtsanwalt die Hand. Anschließend fuhr er nach Riederau. Der Verwalter trat ihm entgegen, als sei er der Besitzer des Gutes. Er war Jürgen vom ersten Augenblick unsympathisch.
Jürgen stellte sich kurz vor und zeigte Lüscher dann die von Jutta unterschriebene Vollmacht. Wohl oder übel musste der Verwalter ihn ins Haus bitten. Er tat es widerwillig und sehr unhöflich. Doch das störte Jürgen nicht. Er hatte sich vorgenommen, der Sache auf den Grund zu gehen, und davon konnte ihn niemand und nichts abhalten. Am allerwenigsten dieser anmaßende Verwalter.
»Darf ich erfahren, wie lange Sie hierbleiben wollen?«, fragte Fritz Lüscher im Wohnzimmer.
»So lange, wie ich es für nötig halte«, antwortete Jürgen im gleichen Ton. Er nahm unaufgefordert Platz und verlangte die Buchführung zu sehen.
Jürgen hatte genau den richtigen Ton angeschlagen. Denn jetzt wurde Fritz Lüscher nervös. »Nach der Buchführung müssen Sie Frau Rauscher fragen.«
Ein eiskalter Blick traf den Verwalter. »Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass Sie dieses Gut verwalten?«
Fritz Lüscher nickte nur.
»Dann ist es traurig genug, dass ich Sie erst über Ihre Pflichten aufklären muss. Als Verwalter sind Sie verpflichtet, über sämtliche Ausgaben und Einnahmen Buch zu führen. Und zwar genauestens. Sonst machen Sie sich strafbar.«
Wütend ging Fritz Lüscher aus dem Zimmer. Gleich darauf kam er mit einem Buch zurück, das er Jürgen wortlos auf den Tisch knallte. »Darin steht alles. Mehr habe ich nicht.«
Jürgen vertiefte sich in die Aufzeichnungen. Sie waren so unvollständig, dass man sie gar nicht als Buchführung bezeichnen konnte. »Ein Witz ist das.« Jürgen schob das Buch beiseite. Damit konnte er nichts anfangen. Diese Buchführung las sich wie das Übungsbuch eines Schülers. Einnahmen waren fast überhaupt keine eingetragen. Nur Ausgaben. Und zwischendurch fehlten ganze Wochen.
Nachdem Jürgen dieses Buch gesehen hatte, konnte er sich gut vorstellen, wo Juttas Geld geblieben war. Zorn packte ihn. Zorn auf diesen Betrüger, der sich Verwalter nannte. Doch bevor er etwas gegen Fritz Lüscher unternehmen konnte, musste er Beweise haben. Der erste Beweis war dieses Kontobuch.
Jürgen schloss das Buch in seinen Aktenkoffer ein. Dann unternahm er einen Rundgang durch das Gut. Jede Kleinigkeit prägte er sich ein. Zwei Tage lang ging er mit offenen und prüfenden Augen durch das Gut. Dann wusste er Bescheid. Das Ausmaß der Unterschlagungen war viel größer, als er anfangs geglaubt hatte. Fritz Lüscher musste an Jutta ein kleines Vermögen verdient haben.
Aber nur einen Bruchteil dieser Betrügereien konnte Jürgen ihm nachweisen.
Am Morgen des dritten Tages schickte Jürgen das Hausmädchen in das Zimmer des Verwalters. »Sagen Sie ihm bitte, dass ich ihn sprechen möchte.«
Das Mädchen kam zurück ins Wohnzimmer. »Ich habe es Herrn Lüscher ausgerichtet. Aber er kommt nicht.«
Jürgen sprang auf. Jetzt war seine Geduld zu Ende. Er suchte Fritz Lüscher zuerst in seinem Zimmer. Doch dort war er nicht mehr. Schließlich fand er ihn im Stall. »Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
»Aber ich nicht mit Ihnen«, antwortete der Verwalter frech.
Jürgen versuchte höflich zu bleiben, obwohl ihm das schwerfiel. »Ich ersuche Sie ein letztes Mal, mich ins Haus zu begleiten und meine Fragen zu beantworten.«
»Ich denke nicht daran.« Fritz Lüscher fuhr fort, ein Reitpferd zu satteln.
»Gut«, sagte Jürgen. »Wir können auch anders miteinander reden. Kraft meiner Vollmacht als Vertreter von Frau Rauscher entlasse ich Sie hiermit fristlos.«
Fritz Lüscher fiel das Pferdegeschirr aus der Hand. Sprachlos starrte er den Arzt an. Mit einer Entlassung hatte er nicht gerechnet.
»Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich mir das bieten lasse?«, fragte er schließlich und ging drohend auf Jürgen zu.
Der Arzt verlor jedoch keine Sekunde seine Beherrschung. »Wenn Sie nicht bis heute Abend das Gut verlassen haben, informiere ich die Polizei. Dann lasse ich Sie mit Gewalt von hier wegbringen. Außerdem mache ich Sie darauf aufmerksam, dass ich mir vorbehalte, Sie wegen Betrugs und Unterschlagung anzuzeigen.«
Fritz Lüscher schnappte nach Luft. Als er endlich wieder einigermaßen klar denken konnte, hatte Jürgen den Stall bereits verlassen. Er blieb den ganzen Nachmittag im Haus, um Fritz Lüscher zu beobachten.
»Wenn Sie nicht auf ihn aufpassen, dann stiehlt er noch in der letzten Stunde alles zusammen, was nur geht«, hatte die Köchin gesagt.
Deshalb blieb Jürgen im Wohnzimmer sitzen und wartete darauf, dass Fritz Lüscher das Gut verließ. »Sie werden noch von mir hören«, zischte der ehemalige Verwalter, als er mit einem kleinen Koffer aus dem Haus ging.
Jürgen nahm die Drohung nicht ernst. Er vergaß den Betrüger, der Jutta in so erhebliche finanzielle Verluste gestürzt hatte.
Der Gutsbetrieb musste weiterlaufen, wenn die Verluste nicht ins Uferlose steigen sollten. Deshalb fuhr Jürgen noch am gleichen Tag zu einem Mann, der einen Verwalterposten suchte. Dieser war nicht mehr jung, dafür aber verlässlich und erfahren. Jürgen hatte schon vor Lüschers Entlassung mit ihm gesprochen. Jetzt stellte er ihn als neuen Verwalter auf Gut Riederau ein.
Darüber freute sich am meisten die alte Köchin. »Endlich wird Ordnung hier einkehren«, sagte sie zu Jürgen. »Der Neue macht einen ordentlichen Eindruck. Das ist bestimmt kein zweiter Lüscher.«
Der Meinung war auch Jürgen. Er hatte sich den Mann genau angesehen, bevor er sich zu einer Einstellung entschlossen hatte. Das war er schließlich Jutta schuldig.
Jutta! Bei dem Gedanken an sie begann Jürgen zu lächeln. Er freute sich auf das Wiedersehen mit ihr und darauf, dass er ihr sagen konnte, dass ihre Angelegenheiten nun geregelt waren, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Das würde ihre Genesung vorantreiben.
Diese Vorstellung machte Jürgen unglücklich, sosehr er sich auch dagegen wehrte. Langsam stieg er in seinen Wagen ein, der auf dem Gutshof vor dem Herrenhaus stand. Er hatte seinen Auftrag erledigt.
Vor der Haustür stand der neue Verwalter und winkte Jürgen nach. Heinz Hübner hieß der Mann. Er hat ein grundehrliches Gesicht, dachte Jürgen, während er zurückwinkte. Mit ihm habe ich einen