Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

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Wer braucht schon eine Null - Christine Corbeau Nullen-Reihe

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später hatte ich mir vor drei Wochen eingestehen müssen, dass ich nur dann ein wenigstens halbwegs brauchbares Ergebnis abliefern könnte, wenn ich von nun an fast Tag und Nacht durcharbeitete.

      Und das hatte ich getan.

      Jetzt musste ich die Daten nur noch auf den Uni-Server hochladen – und zwar bis spätestens 12 Uhr. Dumm nur, dass mein zweiter Monitor heute früh den Geist aufgegeben hatte. So blieb mir nichts anderes übrig, als die vielen Audiodateien, die ich für die phonetische Auswertung gesammelt hatte, nun am halb so großen Bildschirm meines Notebooks zu überprüfen, bevor ich alles zusammen wegschickte.

      In diesem Moment gab der Laptop einen Signalton von sich und zu den bereits geöffneten Fenstern gesellte sich ein weiteres.

       Was denn jetzt? Festplatte voll? Akku runter?

      Auf meiner Stirn brach Schweiß aus. Ich rieb mir mit den flachen Händen übers Gesicht und zwinkerte mit den Augen. Aber die Miniatur-Buchstaben verschwammen. Ich konnte sie nicht erkennen.

       Hilft nix. Das muss größer.

      Also änderte ich die Auflösung des Monitors, bis ich in der Lage war, zu lesen, was dort geschrieben stand.

      »11:00 Uhr: Skypen mit Simon«, sagte die Aufschrift der Terminerinnerung, die nun groß und breit auf dem Bildschirm prangte. Sofort lief mir ein angenehmer Schauer den Rücken hinunter.

       Simi. Endlich. Ich weiß schon fast nicht mehr, wie er aussieht.

      Seit Simon zum Auslands-Teil seines Studiums nach Riga aufgebrochen war, mussten wir beide damit leben, dass sich unsere Beziehung auf das reduzierte, was man online erledigen konnte. Aber gepostete Selfies und noch so viele küssende Emojis konnten auf die Dauer nicht die leisen Atemgeräusche in meinem Ohr, das verschlafene Lächeln im Morgenlicht oder die sanfte Berührung seiner Fingerspitzen auf meiner Haut ersetzen. Von handfesteren Dingen mal ganz abgesehen. Aber heute würde es zumindest einen kleinen Ausgleich geben.

      Ein seliges Schmunzeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

      Ausgerechnet heute, bemerkte eine Stimme in meinem Kopf, die nach einem Doppelnamen klang. Ausgerechnet jetzt.

      Das Schmunzeln erstarb.

      Ich warf hektische Blicke auf die Uhr und den Zettel, auf dem ich die zu prüfenden Dateien aufgeschrieben und zum Teil auch abgehakt hatte.

       Das schaffe ich.

       Bist du dir da so sicher?

       Musst du immer die Spielverderberin geben? Ich werde es hinbekommen. Ich will ihn sehen. Ich brauche das jetzt.

       Wenn du meinst. Dann solltest du aber wenigstens vorher noch etwas anderes tun, als nur auf den Monitor zu starren.

      Ertappt zuckte ich zusammen, fuhr mir durchs Haar und fing dann an, die nächste Datei mit der Transkription und meiner Auswertung zu vergleichen. Nach zwei weiteren erledigten Punkten auf der Liste öffnete ich schon mal das Skype-Fenster, auch wenn es bis zu Simons Anruf noch fast zehn Minuten hin war. Trotz Ungeduld und Vorfreude, die wie ein Bündel bunter Luftballons in meinem Inneren immer größer wurden, gelang es mir, konzentriert weiterzuarbeiten. Als ich das nächste Mal einen Blick auf die Uhr riskierte, stutzte ich. Es war schon mehr als zehn Minuten über die Zeit.

       Shit, hab ich den Klingelton abgeschaltet?

      Hektisch klickte ich auf ein paar der Fenster, damit sie sich minimierten und den Blick auf das Skype-Fenster freigaben. Aber dort wurde kein verpasster Anruf angezeigt. Stirnrunzelnd checkte ich noch einmal den Kalender im Rechner und den Zettel an meiner Pinnwand.

       Gnade ihm Gott, wenn der Kerl das vergessen hat!

      Ich wollte gerade selbst einen Anruf starten, als ich hinter mir ein seltsames dumpfes Geräusch hörte. Ich drehte mich auf dem Stuhl herum und lauschte. Sekunden später hatte ich die Töne erkannt. Kein Zweifel, das war »All of me« von John Legend, der Klingelton, den ich vor einer halben Ewigkeit für Simon in meinem Handy eingerichtet hatte.

       Telefon? Oldschool? Ernsthaft?

      Ich sprang auf und hastete zum Bett. Dort musste ich erst einmal eine Weile suchen, weil ich das Handy anscheinend im Halbschlaf nach dem Abschalten des Weckers unter das Kopfkissen gestopft hatte. Das Display zeigte Simon, wie er mit leicht schräggelegtem Kopf von unten herauf in die Kamera schaute, sein patentiertes halbes Lächeln auf dem Gesicht.

       Ein Lächeln, um das zu sehen er dich gerade bringt.

      Aber der Stich, mit dem der Gedanke durch meinen Kopf geschossen war, verebbte sofort, als ich mich an den Moment erinnerte, in dem das Bild aufgenommen worden war.

      Ich war zusammen mit den anderen aus der WG im Kletterwald gewesen. Alle waren wir über die verschiedensten Parcours geklettert, bis wir schließlich an dem Punkt angelangt waren, wo man sich an einer Liane in die Tiefe stürzen sollte. Hier hatte Simon der Mut verlassen. Er kam weder vor noch zurück und stand immer noch auf der Plattform, als ich ebenfalls eintraf. Nach einem Blick in den Abgrund hatte ich selbst zwar spontan große Lust verspürt, dort einfach hinunterzuspringen. Angesichts seines Dilemmas sagte ich davon aber nichts und überredete Simon stattdessen, sich zusammen mit mir abseilen zu lassen. Kaum waren wir unten angekommen, da fingen die anderen an, etwas irrsinnig Witziges über Jane, Tarzan und eine Liane zu erzählen. Ich hatte mit dem Handy eigentlich ein Foto der Plattform machen wollen. Da hörte ich neben mir ein Räuspern und drehte mich um. Dabei musste ich den Auslöser betätigt haben. Ich schaute nicht einmal aufs Display. Ich schaute in seine Augen. Und mit einem Mal breitete sich ein angenehm warmes Gefühl in meiner Mitte aus. Etwas, das ich bisher noch nie empfunden hatte, wenn ich Simon ansah. »Danke, dass du das für mich getan hast«, raunte er mir zu und zu dem Gefühl gesellten sich Schauer, die mir über Nacken und Arme liefen. In diesem Moment schien etwas zwischen uns abgemacht worden zu sein, ohne dass wir es aussprechen mussten. Ich verbrachte ab da die meiste Zeit in seinem Zimmer. Als in der WG ein größerer Raum frei wurde, zogen wir direkt zusammen dort ein. Dann ging Simon im letzten Frühjahr nach Lettland. Und unser gemeinsames Reich wirkte mit einem Mal öd und leer.

      Kaum dass ich das Gespräch angenommen hatte, tönte Simons Stimme aus dem Hörer.

      »Hey, Honey. Na, wieder nach dem fünften Mal Schlummer-Taste das Handy im Bett vergraben?«

       Ups, ertappt.

      Spontan musste ich grinsen. Die Luft, die ich geholt hatte, verhakte sich irgendwie und aus dem geplanten »Hi« wurde ein Hustenanfall, der nicht enden wollte.

      »Oje, alles klar bei dir?«, tönte es aus dem Hörer. »Hast du zu oft Tonübungen mit den Vibranten gemacht oder bist du krank, Süße?«

      Ich warf das Handy von mir und sank aufs Bett. Dort schloss ich die Augen und versuchte die unverständlichen Töne aus dem Hörer zu ignorieren, während ich mich darauf konzentrierte meinen Atem zu beruhigen.

       Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen …

      Schließlich konnte ich das Telefon wieder aufnehmen.

      »Sorry«, krächzte ich hinein. »Da hatte sich was verhakt.«

      »Wow,

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