Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

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Wer braucht schon eine Null - Christine Corbeau Nullen-Reihe

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drauf bist wie bei der Namens-Sache.«

       Das hat er nicht wirklich gesagt, oder? Warum bringt er jetzt plötzlich das ins Spiel?

      Die Namens-Sache war ein eigentlich total blöder und unnötiger Streit ganz vom Beginn unserer Beziehung gewesen. Unsere Mitbewohner hatten sich über die Geschwindigkeit lustig gemacht, mit der ich mich für den Umzug in ein gemeinsames Zimmer entschieden hatte. Sie wollten schon mal unseren zukünftigen Namen festlegen, für den Fall, dass wir in diesem Tempo weitermachen würden. Allerdings hatten wir uns damals partout nicht einigen können und das, was die anderen nur scherzhaft angeleiert hatten, lief ziemlich aus dem Ruder. Danach war diese Sache fast schon ein Tabu geworden.

       Und nun rutscht es ihm ausgerechnet in dieser Situation heraus? Oder war das vielleicht sogar Absicht?

      Mit einem Mal war mein Puls auf hundertachtzig und nichts konnte mich daran hindern, aufzufahren.

      »Ich werde ganz bestimmt nicht zu Martha Pfahl!«

      »Hey, nu komm mal wieder runter. Darum geht’s doch gerade gar nicht.«

       Und wer hat damit angefangen?

      Ich blieb stumm und atmete langsam ein und aus, um mein Temperament unter Kontrolle zu bekommen.

      Mit einem Tonfall, den ich ausnahmsweise überhaupt nicht zu deuten wusste, machte Simon jedoch fleißig weiter.

      »Aber wenn du ehrlich bist, ist das doch eigentlich ganz witzig. Und Simon Schultz, ich weiß nicht. Denk mal an die Initialen. Das geht doch gar nicht.«

      Ich nahm das Telefon vom Ohr und starrte fassungslos auf das Display, von dem mir sein Gesicht im Kleinformat entgegenblickte – immer noch mit dem Lächeln, das mich normalerweise jedes Mal dazu brachte, zurückzulächeln. Aber nicht in diesem Moment.

       Bin ich gerade im Radio? Ist das ‘Von null auf hundert’ oder so’n Mist?

      Ein unartikuliertes Gurgeln drang aus meiner Kehle. Bevor mir unvermittelt Tränen aus den Augen strömten, sah ich auch noch etwas anderes. Es war die Uhrzeit. Elf Uhr sechsundfünfzig. Zu dem Kloß im Hals gesellte sich schlagartig Gänsehaut am ganzen Körper. Aber diesmal war keines von beidem eine angenehme Empfindung.

      Ich räusperte mich, hob das Telefon wieder ans Ohr und krächzte: »Keine Sorge, ich komm nicht nur runter, ich bin schon unten. Ganz unten. Mach nur weiter so. Tu, was du nicht lassen kannst. Ich wünsch dir viel Erfolg. Ich muss mich jetzt um meine Zukunft kümmern.«

      Damit drückte ich ihn weg. Ich sprang auf und rannte ins Bad, wo ich mir schnell kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, um den Blick wieder frei zu bekommen. Dann sprintete ich zurück und ließ mich auf den Stuhl vor dem Laptop fallen.

       Noch zwei Minuten. Jetzt oder nie.

       Habe ich es dir nicht gesagt, dass das nichts wird? Du hast nur drei Viertel der Dateien kontrolliert. Was, wenn du einen falschen Verweis in der Arbeit übersehen hast?

       Das ist doch vollkommen Latte, Little Miss Perfect. Wenn ich jetzt nicht auf den Knopf drücke, ist alles Essig.

      Und ich drückte.

      Dann bemerkte ich den Fehler.

      Na bravo, das hast du ja geschickt eingefädelt«, murmelte Simon, während er blicklos vor sich hinstarrte. Schließlich bemerkte er doch, was seine Augen wahrnahmen. Es war der Ausdruck, den er ganz oben an sein Whiteboard geheftet hatte.

      Dieser Ausdruck zeigte sein Lieblingsfoto von Martha. Damals waren sie mit ihren Skateboards unterwegs gewesen – er mit seinem nagelneuen Longboard und sie mit dem uralten Board, das ihr Vater ihr einmal geschenkt hatte. Martha hatte an diesem Tag viel Spaß dabei gehabt, um ihn herumzudüsen, während er noch mit der Handhabung seines Boards kämpfte. Kunststück. Sie skatete schon, seit sie 13 Jahre alt war, und hatte in ihrem alten Herrn einen erstklassigen Lehrmeister. Aber trotzdem hatte sie es ihn nie wirklich spüren lassen, dass er ein absolutes Greenhorn war, hatte ihn sogar dazu ermuntert, sich dieses Board zu kaufen. Als er endlich halbwegs klarkam, hatten sie zusammen viel Spaß gehabt. Schließlich hatten sie auf einer Straßenüberführung eine Pause gemacht. Martha hatte sich auf ihr Board gesetzt, in die Sonne geschaut und in einer Art und Weise gelächelt, die den Eindruck vermittelte, sie hätte gerade etwas über die Welt erfahren, das sie amüsierte. In den Gläsern ihrer Sonnenbrille hatte sich der blaue Himmel gespiegelt. Da hatte er sein Handy gezückt und sie fotografiert. Sie hatte es geschehen lassen und nicht aufbegehrt, obwohl sie es normalerweise nicht mochte, geknipst zu werden. Stattdessen hatte sie nun ihn mit ihrem Lächeln beschenkt. Spontan hatte er das Gefühl gehabt, dass in seinem Inneren eine kleine Sonne aufgegangen wäre.

      Das Display des Handys wurde dunkel und erinnerte ihn schmerzhaft an das abgebrochene Gespräch. Zurück blieb ein diffuser Druck in seiner Magengegend, als hätte er einen Stein verschluckt. Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Natürlich war ihm die Skype-Verabredung letztendlich nicht wirklich recht gewesen. Nicht etwa, weil er keine Zeit gehabt hätte. Oder keine Lust. Im Gegenteil, er hatte sich sehr darauf gefreut, sie nach all den Monaten, in denen es einfach nicht hatte klappen wollen, nun endlich wieder live sehen zu können. Umso mehr hatte er sich gefreut, dies allein und unbelastet tun zu können. Raoul war ja sowieso nicht da und zum Glück hatte auch Egita sich für ein langes Wochenende zu ihrer Family begeben.

      Egita.

      Kaum, dass ihm der Name seiner zweiten Mitbewohnerin durch den Kopf ging, fühlte Simon sich wieder einmal total verwirrt.

      Was war da Anfang des Sommers nach dem Abend auf dem Salsa-Festival gewesen?

      Was war jetzt?

      Und was würde womöglich werden?

      Wollte er überhaupt, dass es da etwas zum Werden gab?

      Sicher, sie war eine echte Augenweide. Und sie konnte sich bewegen, als hätte sie keine Wirbelsäule. Doch wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann traf exakt dies auch auf Martha zu. Nur war sie eben über tausend Kilometer weit weg.

      Aber kaum dass er das Tablet in der Küche platziert hatte, wo das WLAN am stabilsten war, hatte er das Schloss der Wohnungstür klacken gehört. Egita war hereingekommen und hatte etwas von einem Zugausfall gemurmelt, ihm dabei allerdings einen seltsamen Blick zugeworfen. Und dann war sie ständig in seiner Nähe herumgewuselt. Als hätte sie geahnt, dass er eigentlich ungestört sein wollte. Da war Skypen einfach keine Option mehr gewesen. Was, wenn sie plötzlich ins Bild laufen würde?, hatte er sich gefragt.

      Dann wäre er in Erklärungsnot.

      In der Not, etwas zu erklären, das er bisher nicht einmal sich selbst erklären konnte.

      Und genau weil dies so war, hatte er es einfach nicht riskieren wollen, es zu riskieren. Also hatte er sich einen Feigling gescholten und Martha angerufen, anstatt zu skypen.

      Und jetzt war auch dieses Gespräch so vollkommen in die Hose gegangen, wie er es sich selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können.

      Warum war er bloß auf die Idee gekommen, die Namens-Sache zu erwähnen? Wahrscheinlich hatte ihn der Stressfaktor Egita so abgelenkt, dass er nicht darauf geachtet hatte, was

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