Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

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Wer braucht schon eine Null - Christine Corbeau Nullen-Reihe

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machte, nicht zu teilen schien. Da war es ihm wohl rausgerutscht. Im Grunde keine große Sache. Nur hatte sich das Gespräch dadurch in eine Richtung entwickelt, die sich bestimmt keiner von ihnen gewünscht hatte. Und dann hatte Martha aufgelegt, bevor es ihm auch nur ansatzweise gelungen war, die Kuh vom Eis zu holen.

      Schon machte sich in seinem Inneren eine leichte Verstimmung darüber bemerkbar, dass sie ihm diese Chance genommen hatte. Vielleicht wäre es besser, erst einmal ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen, bevor er sich wieder meldete. Oder einfach zu warten, bis Martha ihn entweder zurückrief oder anschrieb.

      Er beschloss, nichts zu überstürzen.

      Simon Pfahl, du … Pfosten!«, schrie ich mit geballten Fäusten in den leeren Raum hinein. Dann ließ ich den Kopf sinken und klopfte mit der Stirn auf die Tischplatte direkt vor dem geöffneten Laptop, der den Fortschrittsbalken des Uploads meiner Arbeit anzeigte. Was er außerdem anzeigte, war etwas, das dort ganz und gar nicht hingehörte. Aber ich konnte den Upload jetzt nicht mehr abbrechen. Das Zeitfenster war geschlossen.

      Ich stieß mich mit den Händen von der Tischplatte ab und rollte auf dem Bürostuhl rückwärts, bis dieser vom Bett aufgehalten wurde. Dort hob ich den Kopf zur Zimmerdecke und rief mit zusammengekniffenen Augen: »Warum habe ich mich von diesem dämlichen Wunsch, dich zu sehen, ablenken lassen? Warum habe ich nicht zuerst das erledigt, was für mein Leben wichtig ist und dich danach angerufen? Vielleicht wäre dann auch das Gespräch anders gelaufen. Rrrrrrraa, arrrrlaaaaa!«

      »Oh, höre ich da einen alveolaren Vibranten? Und das von dir? Wer hat dich denn so auf die Palme gebracht?«

      Ich fuhr herum, blieb an der Bettkante hängen und kippte vom Stuhl. Mühsam wand ich den Kopf aus dem Kissenberg, den ich bei meiner Suche nach dem Handy verursacht hatte, und blickte in das Gesicht von Hannes. Er studierte ebenso wie ich an der Uni Potsdam auf Lehramt, allerdings nicht Englisch und Spanisch, sondern Deutsch und Geschichte. Einen Teil der Vorlesungen in Phonetik hatten wir aber zusammen und so war er mir beim Gegenlesen der Arbeit eine große Hilfe gewesen.

      »Mein Leben ist vorbei«, nuschelte ich mit dem Mund voller Bettlaken. Dann schaffte ich es mich vollends aufzurichten und ergänzte: »Ich hab es gerade noch so geschafft, das Dateipaket hochzuladen und sehe eben, dass ich aus irgendeinem Grund ‘Eleven’ mit dazu gepackt habe – weiß der Teufel, warum.«

      Der Kaffee, den Hannes in meiner Tür stehend trank, spritzte im hohen Bogen aus seinem Mund und verteilte sich als feiner Sprühnebel übers ganze Zimmer. Brüllend vor Lachen krümmte er sich zusammen und konnte sich nur durch einen beherzten Griff nach dem Türrahmen daran hindern, zu mir aufs Bett zu fallen.

      »Das ist ein Scherz, oder? Du verarschst mich doch gerade.«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Okay, du bist tot«, bestätigte er daraufhin mit todernstem Gesicht. »Die Zacken-Barsch versteht so was von keinen Spaß, das ist dir schon klar, oder? Es sei denn …«

      »Wie soll ich das bloß …«, begann ich. Dann erst wurde mir bewusst, dass Hannes weitergesprochen hatte. Eine Gänsehaut überzog meine Unterarme. Konnte es sein, dass es doch noch eine Lösung gab? Ich sprang auf und war mit einem großen Schritt direkt bei ihm angelangt. »Es sei denn … was?«, hauchte ich.

      Hannes machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann sagte er zögernd: »Na ja, ich will dir keine Hoffnungen machen, die sich letztendlich als falsch herausstellen. Aber ich komme gerade aus der Uni. Hatte noch was für den Fachschaftsrat im Büro zu tun. Den Giftzwerg habe ich da nirgendwo gesehen. Aber Blümchen ist da. Und wenn ich mich recht erinnere, dann prüft sie die eingereichten Dateien auf Vollständigkeit, bevor …«

      »Das ist ja genial! Du bist genial! Ich muss los!« Ich drückte Hannes einen Schmatz auf die Wange und rannte los. In vollem Lauf schnappte ich mir den Rucksack vom Garderobenständer im Flur, sprintete nach draußen und die Treppe hinunter.

       Hoffentlich hat Emmy noch genug Sprit.

      Emmy war mein Auto. Auch wenn ich selbst Dingen eher keine Namen gab, war dieses kleine grüne Cabrio doch ein Geschenk von meiner Freundin Agata und sie hatte es so getauft. Natürlich hatte ich mich über ihre überraschende Gabe sehr gefreut, obwohl ich nur recht selten wirklich Verwendung für den fahrbaren Untersatz hatte. Von unserer WG kam ich normalerweise problemlos mit den Öffis zur Uni. Aber jetzt war Eile geboten, wenn ich das Schlimmste noch verhindern wollte. Ich warf mich auf den Fahrersitz und startete. Dann gab ich Gas und schoss mit quietschenden Reifen auf die ansonsten verlassen daliegende Straße im Babelsberger Park.

       Oh, bitte, lass keinen Stau sein. Lass mich keinen Unfall bauen. Lass …

      Da fiel es mir wieder ein und ich warf hektisch einen Blick auf die Tankanzeige.

       Yay, noch halb voll. Das reicht locker.

      Aus dem Augenwinkel sah ich auch die Anzeige auf der anderen Seite des Armaturenbretts. Die Nadel dort stand wesentlich weiter oben, als ich sie jemals gesehen hatte. In diesem Moment wechselte direkt vor mir ein SUV ohne zu blinken die Fahrspur und ich musste heftig bremsen, um ihm nicht hinten drauf zu rauschen.

       Komm mal wieder runter. Es bringt doch nix, wenn die Polizei dich wegen der Raserei rauszieht. Dann kommst du erst recht nicht an.

      Ich sog tief die Luft ein und ließ sie mit einem tiefen Summen langsam wieder entweichen. Nach zwei Wiederholungen entspannte sich der Griff meiner Finger um das Lenkrad ein wenig. Auch mein Herz fühlte sich nicht mehr dazu berufen, die Trommelwirbel des Songs von Egypt Central mitzumachen, der aus dem Radio schallte. Ich entschied mich dafür, nicht durch die Innenstadt zu fahren. So oder so würde ich ungefähr eine halbe Stunde bis zum Neuen Palais brauchen. Meine Intuition sagte mir, dass rund um den Bahnhof auch an einem Freitag zur Mittagszeit mehr los sein würde als auf der Rückseite des Parks Sanssouci.

      Ich kam bis kurz vor den Abzweig am Drachenberg. Dort sah ich nicht nur eine ganze Reihe rot leuchtender Bremslichter, sondern auch einige blinkende Blaulichter.

       So viel zum Thema weibliche Intuition im Straßenverkehr.

      Während sich die Schlange quälend langsam an der Unfallstelle vorbeischob, fiel mein Blick einmal mehr auf die Anzeige ganz links. Der Zeiger stand fast senkrecht und damit dicht an einer roten Markierung. Sofort schaltete meine sowieso schon vorhandene Unruhe mindestens einen Gang höher. Hatte Agata nicht mal etwas davon erzählt, dass man auf die Temperatur achten musste? Das hatte sie definitiv, doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte mich einfach nicht erinnern, was genau es damit auf sich hatte. Als endlich auch ich durch das Nadelöhr geschlüpft war, lief der Verkehr zwar besser, aber ich wollte nur noch raus aus dem Wagen. Bis zum Parkplatz würde ich in diesem Tempo bestimmt immer noch zwanzig Minuten brauchen – wenn überhaupt etwas frei war. Spontan setzte ich den Blinker und fuhr auf eine links von der Straße liegende freie Fläche. Dort stellte ich Emmy ab und rannte querfeldein, an Mensa und Bibliothek vorbei Richtung Haus 8, wo ich hoffte, die Sekretärin zu erreichen, ehe sie ins Wochenende entschwand. Ich musste sie dann nur noch davon überzeugen, dass ich eine einzige Datei aus dem gesendeten Paket entfernen konnte, ehe sie dies an die Prüfungskommission weiterleitete. Im Grunde genommen hatte diese Datei zwar schon etwas mit Phonetik zu tun, aber eben nicht mit einer wissenschaftlichen Arbeit. Es war ein Video, das mir Simon mal vor einiger Zeit als kleine Ablenkung von all dem Stress geschickt hatte. Darin versuchten zwei

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