Aus vollem Leben. Nataly von Eschstruth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aus vollem Leben - Nataly von Eschstruth страница 6

Aus vollem Leben - Nataly von Eschstruth

Скачать книгу

Verlobung seiner einzigen Tochter Ottilie mit Herrn Raoul von Glärnisch an! Träumt sie? Ist sie bei Sinnen? Quält sie nicht ein entsetzlicher Fieberwahn?

      Otty und Raoul verlobt! — Sie, die beiden Menschen, die sie so unsagbar liebt, denen sie vertraut hat — an deren Treue sie geglaubt wie an sich selbst — sie haben ihr Leben vergiftet und sie betrogen? O, so erbärmlich — so schnöde verraten und hintergangen! —

      Ihr Blick irrt über Raouls Zeilen.

      Sie enthalten die alten Phrasen von Übereilung, von nicht zusammenpassen und harmonieren, sie flehen um Nachsicht und grossmütiges Entsagen: „Ich lernte mich selbst und mein Herz erst verstehen, seit ich Otty begegnete. Wie ein Rausch des Entzückens, wie ein Traum der Leidenschaft kam es über mich. — Glaube mir, Nora, ich habe dagegen angekämpft wie ein Held, mit dem ehernen Willen und der Verzweiflung eines Mannes, der fest entschlossen ist, seiner Ehre und Pflicht zu genügen. Aber die Liebe war stärker als ich. Vergieb mir, Nora! Ich weiss, wie unrecht ich handle, und dieses Bewusstsein ist der Gifttropfen in dem Becher des Glückes, ich werde es nie verwinden. Und dennoch sündige ich gegen dich und dein treues Herz! Ist das zu verstehen? Nur wer liebt, kann es begreifen, denn die Liebe ist eine Krankheit, ein Wahnsinn, welcher uns zu willenlosen Spielbällen unserer Gefühle macht!“ —

      Thränen stürzten aus Noras Augen.

      „Nein, das ist die Liebe nicht!“ schrie es in ihrem Herzen auf: „Die wahre und echte Liebe ist weder Krankheit noch Wahnsinn — und das, was dich an Otty fesselt, hat nichts mit diesem heiligen Gefühl gemein! — Wehe der Liebe, wenn sie so hilflos in der Sünde Sold stünde! — — Und hier am Schluss noch ein paar Worte von Otty: ‚Verzeih mir, Nora, — ich konnte nicht anders! Ich liebe ihn! — Mehr als alles, mehr selbst als dich! — Und wenn du mir fluchst und zürnst in Ewigkeit — ich kann nicht anders, ich sterbe ohne ihn!‘“ —

      Mit einem Ausdruck des Ekels schleuderte Nora den Brief von sich, schlug die Hände vor das leichenblasse Antlitz und verharrte regungslos.

      Anfänglich hatte der unverhoffte, namenlose Schmerz sie völlig gebeugt.

      Tagelang wankte sie schattenhaft bleich, stumm und thränenlos durch das stille Haus, den einsamen Garten.

      Ihre Eltern befanden sich auf einer kleinen Reise, sie war ganz allein, ganz verlassen in dein unaussprechlichen Weh, an welchem ihr Herz tropfenweise verblutete.

      Eine grenzenlose Verachtung für die beiden Verräter erfüllte sie, und dieses Gefühl der herbsten Nichtachtung gegen Menschen, die man früher über alles geliebt, quälte sie mehr als der Gedanke an ihr gemordetes Glück, an ihre einsame, trostlose Zukunft.

      Allmählich begann sie ruhiger zu denken. Die Erbitterung wich einem tiefen, schmerzlichen Mitleid.

      Können zwei Menschen, die ihr Glück auf Verrat und Treubruch, auf dem vernichteten Dasein einer anderen erbauten, können die jemals glücklich sein?

      Gewiss nicht.

      Das, was sie zusammenführte, war keine Liebe, sondern ein kurzer Rausch, eine Verblendung, die über kurz oder lang ihre Macht verlieren muss.

      Dann werden die Augen, die zuvor mit Blindheit geschlagen, sehend werden, und was sie erblicken, wird Elend sein!

      Jede Weihe, jede hohe und heilige Lauterkeit fehlt einer Liebe, die von der Leidenschaft in den Staub gezerrt wurde. —

      Und wo Gott nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst, die daran bauen. —

      Otty und Raoul werden sich heiraten, und es wird eine unglückliche Ehe mehr auf der Welt geben.

      Hat der junge Maler aus Egoismus gewählt? Hat ihn das Gold der reichen Erbin geblendet? O nein! — Nora wies diesen Gedanken weit von sich.

      Raoul konnte wohl in leidenschaftlicher Aufwallung eine Kette zerbrechen, die fürerst nur lose und leicht aus Rosen geschlungen war, aber niedrig und gemein konnte er nicht handeln, das wusste Nora, und trotz allen Herzeleids hielt sie die Erinnerung an jene beiden Menschen in ihrem Herzen wert und treu, immer noch entschuldigend und begütigend, wenn ihr Gerechtigkeitsgefühl sie anklagen wollte. —

      Und je mehr sie sich klar wurde, dass man jene armen, fried- und ruhelosen Seelen mehr beklagen, als ihnen zürnen müsste, um so friedlicher und stiller ward es in ihrem Innern; sie gedachte der Verlorenen, wie man an Verstorbene denkt, — die man liebt und denen man die gelobte Treue hält, gleichviel, ob das Grab seinen dunklen Abgrund zwischen uns und ihnen aufgerichtet.

      Ist die Liebe wirklich eine Krankheit, ein Wahnsinn? —

      O gewiss nicht. Noras grosses, edles Herz wusste es besser. Ihre Liebe glich derjenigen, welche zum leuchtenden Vorbild jedweder Liebe geworden, — sie trägt alles, sie glaubt und duldet alles — die Liebe hört nimmer auf!“

      Oft flogen ihre Gedanken wie weisse Tauben über Berg und Thal.

      Ach, dass sie einmal — nur einmal noch Nachricht von Otty bekäme!

      Haben sie schon geheiratet? Wo leben sie? Ist ihr Rausch schon verflogen, oder sind sie dennoch, trotz allem und allem, glücklich geworden, so wie Noras Gebet es ihnen in letzter Zeit so oft erflehte? —

      Keine Antwort auf alle diese brennenden Fragen. Der Herbst zieht in das Land, der Winter kommt und breitet sein weisses Bahrtuch über die Erde.

      „Nun sollst du tanzen und dich amüsieren, Nora!“ hat ihr Vater fröhlich ausgerufen. „Zuvor machen wir eine Reise nach Berlin! Ich habe fleissig gespart und denke, es sollen herrliche Tage dort werden. Du musst einmal heraus und die grosse Welt kennen lernen, Kind! Hier in der kleinen Stadt versauerst du mir, das sehe ich alle Tage an deinen blassen Wangen und den müden, traurigen Augen!“

      Diese traurigen Augen leuchteten hell auf. „Nach Berlin!“ — wie lange war dies schon ihr sehnlichster Wunsch gewesen! Eine gute Oper — erlesene Konzerte hören, — wahrlich, diese genussreiche Abwechslung wird Balsam für ihr krankes Herz sein!

      Voll Entzücken lebte sich Nora in diesen lockenden Gedanken ein, bereitete alles für die schöne Zeit vor und sehnte den Tag der Abreise herbei, — endlich sollte ihr armes, verkümmertes Leben einmal bunte, heitere Blüten tragen.

      Da kam ein Brief.

      Nora starrte mit bebenden Lippen auf die zittrige, matte Schrift hernieder. Von Otty! Ein Brief von Otty! Aus Montreux in der Schweiz geschrieben!

      Mit bebenden Fingern, kaum fähig sich zu beherrschen, erbricht sie ihn.

      Die Zeilen sind kurz mit Bleistift geschrieben.

      „Meine Nora! Ich weiss, ich habe kein Recht mehr, an dich zu schreiben, geschweige deine Barmherzigkeit und deine alte Liebe zu mir anzurufen; dennoch thue ich es. Was ich auch gegen dich gefehlt — der Tod ist ein grosser Versöhner — und ich bin eine Sterbende. Ja, eine Sterbende, die doch nicht sterben kann, ehe sie noch einmal deine Hand gehalten, ehe sie deine Vergebung erfleht hat. Nora, sei noch einmal der gute Engel, der du mir stets gewesen, — ach, komm noch einmal zu mir! Komm, ehe es zu spät wird! Ich möchte schlafen, Nora, so wie ehemals, wenn ich zu aufgeregt war und keine Ruhe fand, bis du an meinem Bette sassest! Bring mir Ruhe und Frieden, Nora — lass mich noch einmal in deinem Arm entschlummern, zum letztenmal!“ —

      Thränen stürzten aus den Augen der Lesenden, sie war nicht mehr im stande, die Worte zu

Скачать книгу