Aus vollem Leben. Nataly von Eschstruth

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Aus vollem Leben - Nataly von Eschstruth

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war alles vergessen, was zwischen dem Jetzt und Ehemals lag, all das Falsch, die Untreue, die bittere Kränkung, — Noras edles, grosses Herz hatte es nie verlernt zu lieben und die Treue zu halten, und so entsetzt ihre Eltern auch waren, dass sie die ganze lockende Lust und Freude der Berliner Reise aufgeben und an ein Totenlager eilen wollte, — Nora flehte so inständig, bis sie die Erlaubnis erwirkt hatte.

      Eine Depesche verständigte Herrn Florenzius von ihrem Kommen, und einige Tage später trat Fräulein von Rastatt in das Hotelzimmer, in welchem ihre unglückliche, junge Freundin bleich und sterbensmatt auf einer Chaiselongue lag. Voll zitternden Schrecks neigte sich Nora über die Kranke. Wie sah das ehedem so reizende, lebhafte und kecke Mädchen aus! Wahrlich, ein geisterhafter Schatten aus dem Reiche der Proserpina.

      Die grossen, dunklen Augen glänzten noch wie ehemals voll fieberischer Glut aus dem fleischlosen Gesichtchen, das so weiss und durchsichtig wie das spitzenbesetzte Morgenkleid in den stützenden Kissen ruhte.

      „Nora! Nora!“ flüsterte sie mit verklärtem Blick, eine dunkle Blutwelle ergoss sich über die Wangen, und die abgezehrten kleinen Hände umklammerten die Hand der Freundin. „Gott segne dich, dass du kommst!“

      Die Balkonthür stand weit geöffnet, — drunten blitzte und flimmerte der Genfer See im Sonnengold, und die weissbeschneiten Alpen grüssten voll stummer Majestät herüber.

      Da sass Nora neben der Sterbenden und scheuchte voll zärtlicher Liebe alle Todesschatten noch einmal zurück, — Otty aber flüsterte, ohne sich das anstrengende Sprechen verbieten zu lassen: „Nun lass mich beichten, Herzliebe, — meine Zeit ist knapp. Sieh, Nora, als ich dir einst in der Pension — in der letzten Mondnacht am Fenster — Treue gelobte, da sagte ich: ‚Gott soll mich strafen, wenn ich sie breche!‘ Ich habe sie gebrochen, und Gott strafte mich, wie ich es verdiene! Unterbrich mich nicht — sage kein Wort der Anklage gegen Raoul, — wehe mir, wollte ich meine Schuld auf ihn wälzen! Ich bin die Verräterin — ich habe ihn mit allen erdenklichen Koketterien und Verführungskünsten an mich gezogen! O wie tapfer hat er sich dagegen gewehrt, aber er war ein Mann — ein Künstler — er wurde schliesslich doch schwach — — ach Nora — nicht diesen düstern Blick, du ahnst nicht, wie sehr ich ihn bethörte! Und das kam nicht plötzlich — o nein, ich liebte ihn seit dem Augenblick, wo ich sein Bild sah, wo ich es dir noch in derselben Nacht aus der Tasche stahl — da schon ward ich zur Verräterin an dir und schwor mir zu, dass ich Raoul zu eigen gewinnen wolle um jeden Preis! — Nora — schauderst du nicht? Weichst du nicht voll Abscheu zurück von mir? — Du lässt mir deine Hand und lächelst mir unter Thränen zu! — O du Engel voll himmlischer Güte! Gott segne dich dafür. — Hör weiter, Nora! Ich bethörte Raoul, und in einem jähen Rausch, einer flüchtig aufwallenden Empfindung für mich, verliess er dich und verlobte sich mit mir. — Nun glaubte ich die Höhe alles Erdenglücks erreicht zu haben. Ich irrte mich. — Ach schon bald, sehr bald verflog der schöne Wahn. Ich liebte Raoul zu namenlos, um es nicht voll Entsetzen zu empfinden, dass er mich nicht liebte, dass die Erinnerung an dich ihn nicht verliess, dass wahnsinnige Reue und Sehnsucht ihn quälten. Ich litt bei dieser Erkenntnis Folterqualen der Eifersucht — ich bot alles auf, seine erkaltende Leidenschaft für mich neu zu entflammen, umsonst, er blieb kühl, gleichgültig — wir entfremdeten uns von Tag zu Tag mehr. Bei meinen verzweifelten Bemühungen, ihn an mich zu fesseln, mutete ich mir Anstrengungen zu, denen ich nicht gewachsen war. Bei einem Gartenfest erkältete ich mich auf den Tod. — Diese schwere Erkrankung war wohl der Grund, welcher Raoul hinderte, seine Verlobung mit mir wieder aufzulösen; nur sein Mitleid mit der Sterbenden lässt ihn noch zarte Rücksichten üben! Da sieh — jene Blumen kamen von ihm — so weiss und duftlos wie seine Liebe zu mir, — nur Scheidegrüsse, keine Flamme der Liebe mehr! — Ja, Raoul ist unglücklich, so namenlos unglücklich, wie du es bist, Nora, — ihr beide so elend durch meine Schuld! — Welch ein schweres, schweres Sterben ist das! Die Last der Anklage erdrückt mich, sie lässt mich nicht zum Himmel empor! O Nora — ich kann keine Ruhe finden, ehe ich nicht gesühnt habe, was ich an euch verbrochen!“ Die Kranke hatte mit grosser Anstrengung gesprochen, leise und abgerissen, oft von qualvollen Hustenanfällen unterbrochen, jetzt streckte sie der Freundin voll flehender Angst beide Hände entgegen und flüsterte: „Nora — vergieb ihm um meinetwillen! Hab ihn wieder lieb wie früher — gelobe dich ihm von neuem an ...“

      Bisher hatte Fräulein von Rastatt voll innigster Liebe und Barmherzigkeit die Sterbende im Arm gehalten, ihr süsse Worte des Trostes gesagt und sie ihrer vollen Vergebung versichert — jetzt schrak sie empor, löste jählings ihre Hände aus denen der Kranken und trat mit flammenden Wangen abseits.

      „Still, still, Otty, kein Wort davon!“ stiess sie mit beinahe heiserer Stimme hervor, „davon kann nie — nie wieder die Rede sein! Ich zürne Raoul nicht mehr — ich habe ihm um meines Herrn und Heilandes willen vergeben, — aber ihm wieder angehören — ihn lieben wie früher — — nie!“ —

      „Nora!“ Wie angstvoll und flehend klang das von den farblosen Lippen.

      Da trat Nora an die geöffnete Balkonthür, zu der die blühenden Rosen hereinnickten, strich mit der Hand über die duftenden Kelche und sagte ernst und ruhig: „Lass dies deine geringste Sorge sein, Otty. Ein Mann, der seine Braut so leicht und schnell, so ohne jeden Seelenkampf verlässt, ist nicht danach angethan, um an gebrochenem Herzen zu sterben. Ich glaube nicht mehr an Raouls Liebe, und einen Mann heiraten, dem man nicht vertrauen und glauben kann, ist kein Glück, sondern ein unaussprechliches Elend, viel grösser als die Vereinsamung und das ewige Scheiden und Meiden!“ —

      „Du wirst deinen Glauben an ihn zurückgewinnen, Nora, wenn du siehst, wie sehr er gelitten und gebüsst, wie sehr er dich noch liebt und ohne dich seines guten Geistes beraubt ist!“

      Nora schüttelte ernst den Kopf. „Tote Liebe erblüht nicht neu, ebensowenig wie jemals der Schnee blühende Rosen deckt! — Und so wenig wie sich dieses Wunder je ereignen kann — so wenig wie ich diese duftenden Kelche hier je von dem Leichentuch des Schnees bedeckt sehe, ohne dass er sie zu Tode friert — so wenig wird auch meine und seine Liebe wieder in alter Maienfrische erstehen!“ — Nora wandte sich wieder zurück, neigte sich über die Kranke und küsste sie liebevoll auf die Stirn. „Es giebt keine Wunder mehr, Otty, und ohne Wunder und Zeichen glauben unsere armen, toten Herzen nicht mehr. — Lass das Vergangene vergessen sein, mein Liebling —! Sieh, da kommt deine Wärterin, um dich für die Nacht zu betten. Ich sitze wieder bei dir und halte deine Hand, — und du schläfst so süss und ruhig ein, wie ehemals in der Pension, wenn draussen der Mond leuchtete und die Nachtigallen im Garten sangen!“

      Otty antwortete nicht, ein neuer Hustenanfall erschütterte ihre schwache Brust, und die Wärterin und Herr Florenzius walteten voll Angst und Sorge ihres schweren Amtes.

      Die Kranke umklammerte mit fieberheissen Händen die Rechte der Freundin, aber sie fand dennoch keine Ruhe, so zärtlich Nora auch für sie sorgte. —

      „Es giebt keine Wunder mehr? — O lieber Herrgott, lass ein Wunder geschehen!“ murmelte sie wieder und immer wieder, leise, unverständlich, qualvoll — bis die Wärterin das beruhigende Pulver mischte und Nora mit flehender Geste aus dem Zimmer schob. —

      Todmüde legte sich Fräulein von Rastatt zur Ruhe. Die Anstrengung der weiten Reise und die grosse seelische Erregung forderten ihr Recht. —

      Ein lautes, starkes Klopfen an der Thür weckte sie.

      Erschrocken richtete sie sich auf.

      Der Tag leuchtete hell in das Zimmer, die Uhr zeigte schon eine vorgerückte Stunde.

      „Gnädiges Fräulein! Ach bitte, kommen Sie so schnell wie möglich einmal zu Fräulein Otty in den Salon!“ klang die angstvolle Stimme der Wärterin vor der Thür.

      „Sofort!

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