Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

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Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal

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die wir (uns selbst und anderen) über unsere sexuelle, psychische oder spirituelle Identität erzählen, und untersucht, wie wir dadurch Sinn – und in vielen Fällen auch eine politische Agenda – erzeugen. In Bezug auf Vergewaltigung bedeutet das: Wo vorher nur schöne, junge Frauen vergewaltigt wurden, galten nun alle Frauen als potenzielle Opfer, keine Frau trug Schuld an ihrer Vergewaltigung, Falschanzeigen waren unglaublich selten und so weiter. »Das ist ein klassisches rhetorisches Mittel: Die eigene Haltung als Gegensatz zu einer bestehenden Haltung zu entwickeln. Geschichten werden nicht in Abgeschiedenheit formuliert, sondern im Widerspruch zu anderen Geschichten. Das wird an ›Myth debunking‹ – also dem Entlarven von Mythen – besonders deutlich.«111

      Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Vergewaltigungsmythen in Wirklichkeit der Wahrheit entsprochen hätten, sondern dass der alte Diskurs den neuen noch immer bestimmte, wenn auch als Negativfolie. (Und in einzelnen Aspekten auch ganz direkt, so galten nach wie vor nur Frauen als Opfer, nur Männer als Täter, wegen der wesensimmanenten Verletzlichkeit der Frau und des ebenso wesensimmanenten Wunsches des Mannes, sie zu beherrschen.)

      Im Zentrum des Debunkings standen zwei Punkte: Aus ›Nein heißt ja!‹ wurde ›Nein heißt nein!‹, und Susan Brownmiller definiert in Gegen unseren Willen, dass Vergewaltigung nichts mit Sex zu tun habe, sondern ein reines Gewaltverbrechen sei; echter Sex basiere auf Konsens und sei frei von Gewalt. Auf diese Weise entkräftete sie zugleich alle weiteren Punkte, in denen es um die Verantwortung oder Mitverantwortung der Frau ging, denn durch die neue Definition als Gewaltverbrechen wurden das Aussehen des Opfers, ihre Kleidung und ihr Verhalten irrelevant. (Kurz: Es war egal, wie »sexy« die Frau war, da es ja gar nicht um Sex ging.) Das war vor allem in Bezug auf Gerichtsverfahren wichtig, in denen Opfer noch bis in die 1980er Jahre ausführlich zu ihrem Sexualleben befragt wurden, da eine Frau, die freiwillig Sexualverkehr hatte, nicht dem Bild des »echten« – also möglichst jungfräulichen – Vergewaltigungsopfers entsprach. Das ist der Grund, warum Feministinnen heute von sexualisierter – und nicht von sexueller – Gewalt sprechen, um deutlich zu machen, dass Sex zwar die Waffe, nicht aber die Motivation bei einer Vergewaltigung ist. Dabei war das damals keineswegs unumstritten. So hatte die feministische Rechtswissenschaftlerin und Anwältin Catharine MacKinnon, die ansonsten weitgehend mit Brownmiller übereinstimmte, sie mit der berühmten Frage kritisiert: »Wenn es nur um Gewalt und nicht um Sex ging, warum hat er sie dann nicht einfach geschlagen?«112

      Als der Philosoph Michel Foucault 1977 bei den Round-Table-Gesprächen113 zu dem Problem der Vergewaltigung gefragt wurde, klangen seine Ausführungen wie eine zeitversetzte Antwort auf MacKinnons Frage: »Ob man irgend jemandem seine Faust in die Fresse oder seinen Penis ins Geschlechtsteil schlägt, bezeichnet keinen Unterschied«, schlug Foucault vor. »Die Sexualität kann auf keinen Fall Gegenstand einer Bestrafung sein. Und wenn man die Vergewaltigung bestraft, dann sollte man ausschließlich die physische Gewalt bestrafen.«114 Er ging noch einen Schritt weiter, dass es sogar problematisch sei, Vergewaltigung explizit von anderen Formen von Gewalt zu unterscheiden, »Denn damit sagt man Folgendes: Die Sexualität als solche hat im Körper einen entscheidenden Platz, das Geschlecht, und nicht eine Hand, nicht die Haare, nicht die Nase. Man muss es folglich schützen, es umgeben, auf jeden Fall mit einer Gesetzgebung ausstatten, die nicht die sein wird, welche für den Rest des Körpers gilt.«115 Obwohl Foucault mit seiner Aussage, Vergewaltigung sei »nicht mehr und nichts anderes als eine Aggression«116, sozusagen Brownmiller paraphrasierte, gab es keine Hurra-Rufe, sondern deutliche Kritik von den anwesenden Frauen und in der Folge von zahlreichen feministischen Theoretikerinnen, er würde Vergewaltigung banalisieren.117

      Das lag daran, dass Foucault und Brownmiller über komplett unterschiedliche Aspekte der komplexen Verstrickung, die Vergewaltigung ist, gesprochen hatten. Während er – aus der Sicht des (männlich imaginierten) Täters – versuchte, die Macht des Sexualitätsdiskurses (als Instrument der sozialen und politischen Kontrolle) zu verringern, wollte sie – und mit ihr die zweite Welle der Frauenbewegung – Vergewaltigungsopfer von der Mitschuld an dem an ihnen begangenen Verbrechen exkulpieren, außerdem sollte es durch die Neudefinition von Vergewaltigungen für Frauen leichter werden, (vor Gericht) darüber zu sprechen, ohne sofort sexualisiert zu werden.

      Die Verheerungen, die sexualisierte Gewalt anrichtete, sollten jedoch keineswegs relativiert werden. Und wo die Motivation des Vergewaltigers Gewalt und nichts als Gewalt war, unterschieden sich die Auswirkungen der Vergewaltigung auf das Opfer radikal von denen sonstiger Gewalt, da das Ziel nicht der Körper ist, sondern sein Selbstbestimmungsrecht über eben jenen Körper – was sich nach einer marginalen Unterscheidung anhört, bis man bedenkt, dass die (physische, psychische und legale) Selbstbestimmung – versus die Fremdbestimmung durch einen Mann – ja das Ziel der Emanzipation war. Die Autorin Susan Griffin erklärt: »[Vergewaltigung ist] ein Akt der Aggression, bei dem dem Opfer seine Entscheidungsfreiheit genommen wird. Es ist eine gewaltsame Tat, die auch, wenn das Opfer nicht zusammengeschlagen oder ermordet wird, in ihrem Kern stets eine Morddrohung beinhaltet.«118

      Da der Anti-Rape-Aktivismus mit der Hochzeit der Massenmedien einherging und die Vereinigten Staaten die Hauptexporteure für politische und kulturelle Produkte in die westliche Welt waren, wurden die Theorien und Bücher der amerikanischen Frauenbewegung international extensiv rezipiert. Die deutsche Übersetzung von Gegen unseren Willen erschien im selben Jahr wie das amerikanische Original. Kurz darauf folgte Marilyn Frenchs bekanntester Roman The Women’s Room – auf Deutsch schlicht Frauen. Darin griff die Autorin Virginia Woolfs berühmtes Gleichnis von Shakespeares Schwester auf. Doch während bei Woolf die hypothetische Schwester des Schriftstellers daran scheiterte, dass sie keine Ausbildung, keine Arbeit und keine Möglichkeit bekam, sich im öffentlichen Raum Inspirationen zu suchen, wurde sie bei French vergewaltigt, stellte fest, dass sie schwanger war und heiratete den nächstbesten Mann, um ihr Kind zu ernähren. French schloss: »Shakespeares Schwester hatte die Lektion gelernt, die alle Frauen lernen: Männer sind der ärgste Feind.«119

      Ein Großteil der Feministinnen grenzte sich vehement von diesem ebenso wie von dem am häufigsten zitierten Satz des Buches ab: »In ihren Beziehungen zu Frauen sind alle Männer Vergewaltiger und nichts anderes.«120 Dagegen wurde die These von Vergewaltigung als einem der Hauptpfeiler des Patriarchats grundsätzlich übernommen, weshalb die Erfahrung von sexueller Gewalt in zahlreichen Texten der 1970er und 80er121 Jahre eine essenzielle Rolle spielte. Die Amerikanistin Maria Lauret nennt diese Romane »feministische Fiktion der Subjektwerdung« oder expliziter: Geschichten darüber, »wie ich zur Feministin wurde«122.

       Trauma Cinema

      Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass das erste Strafverfahren, das jemals live im US-amerikanischen Fernsehen übertragen wurde – und zwar über Monate hinweg täglich auf CNN – ein Vergewaltigungsprozess war. Der berühmteste Fall der 1980er Jahre: Big Dan’s Rape Case. Wobei es sich bei dem »großen Dan« nicht um eine euphemistische Beschreibung des Täters handelte, sondern um eine Kneipe in New Bedford, Massachusetts. Dort wurde am 6. März 1983 eine Frau123 von einer Gruppe Männer auf dem Billardtisch vergewaltigt, während die anderen Kneipenbesucher zuschauten und die Täter anfeuerten. Dieses außerordentliche Fehlen von Mitgefühl erschütterte die Öffentlichkeit, die sich nahezu geschlossen hinter das Opfer stellte. Big Dan’s Rape Case gilt als Triumph des Feminismus, weil es das erste Gerichtsverfahren in einem Vergewaltigungsfall war, das sich explizit auf Argumente der Frauenbewegung bezog: So war die Jury bestürzt über die Versuche der Verteidigung, das Opfer mit Verweisen auf dessen sexuelle Vergangenheit zu diskreditieren;124 und als die Täter zu Höchststrafen verurteilt wurden, jubelte die Presse, endlich hätten auch Richter eingesehen, dass eine Frau keine Jungfrau sein müsse, um das Recht zu haben, nicht vergewaltigt zu werden.125

      Dabei sah die Realität anders aus. Die Publizistin Helen Benedict kritisiert

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