Der Reiter auf dem Regenbogen. Georg Engel
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„Das soll ich tun?“ forschte Zeisig in sich hineinmurmelnd.
Er erwachte wie aus tiefer Versunkenheit, und für einen Moment begannen seine Raubtieraugen die alte Glut zu sprühen.
„Sie,“ schloss der Direktor nachdrücklich.
„Ich? — das heisst, ich halte das Ganze — nein, nein, aber trotzdem, ich schicke ihn — ich schicke ihn her,“ knurrte Zeisig jetzt in unterdrückter Erregung —, „tun Sie dann mit ihm, was Sie für Recht halten. Aber nun — ich will es gleich besorgen — nun, gute Nacht, Herr Direktor.“
Damit kehrte er sich mit einer merkwürdig kurzen Verbeugung um, lief durch das Entree, schoss dann die weisse Holztreppe hinunter, dass die Stufen unter ihm krachten, und hörte noch wie der Direktor, der ihm bis auf den Vorplatz gefolgt war, dem Davoneilenden nachrief, dass Thaler mit dieser ganzen Veranstaltung lediglich dem Dr. Zeisig ein Zeichen seiner Achtung zu geben gedächte.
„Jawohl — jawohl — hum — hum.“
Zeisig war auf der Strasse.
Es regnete in Strömen. Allein der Oberlehrer spannte seinen Schirm nicht auf. Plötzlich jedoch gebrauchte er ihn zu etwas Seltsamem. Bei der ersten Laterne nämlich blieb er stehen und begann in unverständlicher Wut auf den eisernen Pfahl einzuhauen.
„Da — da — solch’ ein — o, das ist ja — das ist ja — —“ Was er aber damit ausdrücken wollte, das hat die Nachwelt nie erfahren.
Eine Viertelstunde später nämlich sass er bereits in dem gemütlichen Zimmerchen, das er als Junggeselle von der Tischlerswitwe Gäde gemietet hatte; vor ihm stand eine Flasche des roten Weins, den er sich von seiner Griechenlandfahrt heimgebracht, und in seiner Hand hielt er einen Band des geliebten Goethe, den Direktor Thaler aus pädagogischen Gründen so sehr verachtete. Und mit lauter Stimme und zu seinem Tröste las er sich vor:
„Hier sitz’ ich, forme Menschen —
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu geniessen und zu freuen sich.
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!“
VI.
Ein wundervoller, heller Herbstmorgen war dem Regen- und Sturmtag von gestern gefolgt.
Als sich Gust nach dem Frühkaffee aus dem Fenster beugte, da sah er den schmalen Fluss vorbeischimmern, wie wenn auf dem blaugrünen Grund ungeheure Platten von Gold und Silber schaukelten. Und darüber hob sich ein Dunst, als ob das Metall noch glühend gewesen und jetzt in dem kühlen Gewässer abzische.
Mit grossen Schritten wunderte Gust dann in dem Giebelstübchen zwischen den altertümlichen Möbeln umher und konnte seiner Mutter, die an dem zweiten Fenster sass, damit beschäftigt, einen bunten Seidenschlips für ihn zu nähen, nicht genug von seinem Aufsatz, von Catilina und dem alten Rom erzählen.
Ach, dergleichen hörte die dicke Frau Kapitänin gar zu gern. Dabei liess sich so wunderschön träumen. Es war alles so grossartig, und nun noch dazu die wunderlichen Namen, die ihr Gust so prachtvoll und so geläufig aussprach, als ginge er täglich mit solchen Leuten um.
„Du, Gust,“ erkundigte sie sich nach einer Weile, während sie behaglich den bunten Schlips in die Sonne hielt. „Catilina, was hatte der Mann wohl für eine Stellung?“
Darauf lächelte Gust gutmütig und erwiderte, dass es dieser Römer beinahe bis zum Konsul gebracht hätte.
„Was? Konsul?“ wiederholte Frau Petersen erstaunt. Sie hätte dem Manne mit dem klingenden Namen eigentlich doch eine grössere Vornehmheit zugetraut. — Konsul? — Wenn er nicht mehr war?!
„Du,“ fuhr sie nach einer Gedankenpause fort, „ist das dasselbe wie hier Konsul Gaude, der die holländischen Matrosen immer aus der Suppenanstalt beköstigt?“
Das konnte nun Gust keineswegs zugeben. Wieder wandelte er umher, erzählte und beschrieb. Und als er seiner Zuhörerin den Tod seines Helden schilderte, des einzelnen, der auf dürrer Heide auf einem Leichenwall noch immer das Schwert geschwungen, ohne Hoffnung, aber unbesiegt von seinem Elend, und wie er dann hingesunken wäre auf seinen Schild, das bleiche, furchtbare Antlitz noch immer trotzig der römischen Sonne zugekehrt, da wischte sich Frau Petersen zwei grosse, runde Tränen aus den Augen und schluckte, man solle es nicht glauben, was es für hohe Männer auf der Welt gäbe.
Aber nie schön, wie tief ergreifend ihr Gust das auch vortragen konnte: „Du, Gust,“ bewunderte sie endlich aufatmend und sah stolz auf ihren Einzigen, „das solltest du einmal aufschreiben. Ganz gross, damit es auch andere lesen können.“
Gust wurde gepackt und unterbrach seinen Triumphzug: „Ja,“ warf er mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin: „Du hast ganz recht, Mutter, daraus will ich einmal ein Drama machen.“
Heimlich und still wurde es darauf wieder in dem kleinen Zimmer.
An den Fenstern raschelte der Wind und flüsterte Gust zu, dass er nun bald ein grosser Mann sein würde, und auf dem Fussboden zitterten die Sonnenkringel wie goldene Blumen, die aus dem weissen Streusand emporblühen wollten.
Da warf Frau Miete von ihrem Sitz aus einen Blick auf den grünen Fensterspiegel, „den Spion“, wie sie ihn nannte, und meldete interessiert:
„Sieh, da kommt Toni Stark.“
„Wer?“
„Toni.“
Gust fuhr zusammen.
Und wenn Frau Miete nicht gerade noch weitere Zwiesprache mit dem Spion gepflogen hätte, sie müsste bemerkt haben, wie über das Antlitz ihres Jungen Geisterblässe fuhr, verscheucht von siedender Glut.
„Ich will fortgehen,“ stiess er endlich hervor, bemüht, seinen Schauer zu verbergen.
„Fort? Warum denn?“
„Ich — ich habe Feindschaft mit Toni.“ Und er wusste kaum, dass er dabei im tiefsten Grunde die Wahrheit sprach.
„Feindschaft?“ verwunderte sich nun seine Mutter überrascht, indem sie ihre blauen Augen hell und doch voll mütterlicher Ahnung gegen ihn aufschlug. „Du?“
Diesen Blick jedoch vermochte der Bedrängte nicht mehr zu ertragen. In stürmischer Verwirrung griff er nach Mantel und Hut, und überstürzte sich mit zusammenhangloser Entschuldigung:
„Mutter, das kann ich dir nicht erklären — selbst dir nicht. — Rede auch nicht mit Toni darüber. Sie verrät dir nichts. Inzwischen will ich zu Kräplins ’rausfahren. An den Bodden nach Wedena. Wir müssen die Stunden besprechen. Du weisst ja.“
Da begann