Der Reiter auf dem Regenbogen. Georg Engel

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Der Reiter auf dem Regenbogen - Georg Engel

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Denn das Brüllen des beleidigten Löwen zerreisst Nerven, wirkt tödlich.

      „Setzen.“

      Man hat es nicht nötig, aber vor Zeisig erhebt man sich. Auch der Direktor erweist Zeisig diese Ehre; ob aus Courtoisie, denn er ist ein Höfling, oder aus Respekt, ist nicht festzustellen.

      „Setzen.“

      Ein unterdrücktes Atmen, die Entscheidung ist nahe.

      „Ich habe Ihnen das Thema des Examenaufsatzes mitzuteilen,“ beginnt Zeisig, während er, auf dem Katheder stehend, seine vierzehn Abiturienten mit einem seiner glühenden Blicke überfliegt. „Hum —“ dieses Räuspern gilt als ein Zeichen der Missbilligung. Und bald wird auch klar, was den Unwillen des Löwen so sehr erregt.

      Heftig fährt er sich durch den kurzen braunroten Kinnbart.

      „Hum — man hat sich wieder für ein historisches Thema entschieden, das Sie aus der Lektüre des Cicero kennen und dem die Verschwörung des Catilina zugrunde liegt. Der Titel lautet: ‚Wem erteilen wir mit Recht den Namen ‚Vater des Vaterlandes‘?‘ Es steht Ihnen frei, sich eng an die römischen Vorgänge zu halten; für die anderen jedoch, die sich gern freier bewegen — hum, hum — habe ich es ausgewirkt, dass sie den Rahmen ihrer Ausarbeitung nach Herzenslust über die ganze Historie ausspannen dürfen. — So — drei Stunden haben Sie Zeit. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass keiner meiner Schüler so ehrlos ist — aber ich möchte Sie in dieser Stunde nicht beschämen. Gehn Sie freudig an die Arbeit, schreiben Sie ohne Erregung, ganz so, wie wenn Sie mir persönlich Ihre Ansichten über die römische Insurrektion Mitteilen wollten. — Anfangen!“

      Wieder ein Aufatmen.

      Mit einem lauten, scharrenden Geräusch setzt sich Zeisig, schlägt ein Buch auf und neigt seine Löwenmähne, als wenn er unbekümmert und teilnahmslos lesen wolle.

      Aber nur einen kurzen Moment.

      Dann suchen seine düsteren Augen sofort die bleichen, bekannten Gesichter seiner Schüler auf, und es ist, als wenn er jeden einzelnen mit einer gewissen Herzensangst studiere, ob er der strengen Forderung auch gewachsen wäre.

      Sorgenvoll gleiten seine Blicke.

      Da — der mittelmässige Stark, — der ernsthafte Malte Zingst, — der unberechenbare Gust Petersen.

      Ja, ja, das ist der interessanteste seiner Schüler, aber auch sein unsicherster Kantonist.

      „Hum — hum,“ brüllt Zeisig, um sich ein wenig Luft zu machen.

      Dann wird es still — ganz, ganz still.

      Die Blätter rauschen, die Federn knistern, manchmal scharrt ein Fuss auf dem Estrich.

      Allmählich röten sich die Gesichter der Schreibenden, heftiger werden die Seiten umgeschlagen, es richtet sich zuweilen auch ein Auge bang und zweifelnd auf den Lehrer.

      Dann springt Zeisig auf und schreitet mächtig auf das flehende Augenpaar zu. Als ob er strafen oder Hilfe bringen wolle.

      „Hum — hum — schreiben Sie vollkommen ruhig.“

      Von alledem sieht und hört Gust Petersen nichts. In seine Seele ist es eingezogen, wie Feiertagsfreude.

      Welch eine schöne, bunte, farbige Aufgabe. Und wie gern, wie leidenschaftlich gern weilt er nicht in den engen Gassen des alten Rom.

      Mit begeisterten, traumglühenden Blicken starrt er auf seine weissen Blätter hinab, dann hebt er das rotbuschige Haupt, kaut an seinem Federhalter, und vernimmt für einen Moment das Summen der Fliegen, die an der weissen Decke spielen.

      Gar feierlich still ist es heute in der Klasse. Als ob alle den bitteren Ernst der Stunde fühlen.

      Den bitteren Ernst?

      Was ist das? Ein heftiger Schmerz beginnt durch Gusts Herz zu wühlen. Denn ganz unvermittelt muss er an jene Familienberatung in seinem Heim denken, an das Schluchzen der Mutter, an Tante Bettis Lebensplan, an die schonenden Verbeugungen des alten Junggesellen, und vor allen Dingen an das graue Gespenst der Armut, dessen rauschende Schleppe ja die Treppen des alten Schifferhäuschens fegen soll.

      Wie seltsam, dass er bisher das Geräusch noch nie vernommen.

      Er fährt auf.

      Galt das ihm?

      Bei Gott, Zeisig starrt gerade auf ihn hin. „Hum, Petersen, wollen Sie denn nicht beginnen? Worauf warten Sie noch? — Eine halbe Stunde haben Sie bereits verloren. Phantasieren Sie, bitte, ein andermal.“

      Gust taucht schnell die Feder ein und spritzt sie heftig ab.

      Ja, gewiss, jetzt heisst es anfangen. Und etwas Grosses muss es werden. Nur nicht der gewöhnliche Brei, nein, etwas, wovon man auf dem Gymnasium noch nach Jahren reden wird.

      Etwa: „Kuckt, Jungs, das hat Gust Petersen geschrieben.“

      „Ja, der — der war aber auch ein Poet.“

      Warum wohl die dunklen Augen Zeisigs noch immer so glühend und rollend auf ihn gerichtet sind? Wie unruhig sich der Leu mit der weissen blutlosen Hand durch den kurzgelockten Bart fährt, und wie raubtierhaft jetzt der Mann wieder vom Katheder herabspringt—. Ja, beim grossen Zeus, so muss Catilina ausgesehen haben, dieser wunderbare Verschwörer, den Gust heimlich so sehr liebt; ganz wie Zeisig muss er anzusehen gewesen sein, genau so. Das heisst natürlich nur äusserlich. Denn seelisch, das ist unumstösslich, seelisch ist er ein Verwandter von Gust. Gust ist ja selbst Catilina. Gust-Catilina haust im alten Rom in furchtbarer Mittellosigkeit und Verschuldung. (Gust hat sich erst kürzlich von Herrn Winkelmann fünf Mark geliehen. Das stimmt also.) Auch eine Verschwörung, hat sie Gust nicht gleichfalls gestiftet? Die Schülerverbindung, jene heimlich auf einem Bodenzimmer tagende Versammlung, der so verbissen republikanische Charaktere, wie Karl Stark und der verarmte Junker Malte von Zingst angehören? Wahrlich, die Ähnlichkeit ist schlagend. Und jetzt, jetzt begreift Gust auch, was Zeisig mit dem Satze gemeint hat, dass die Begabteren den Rahmen ihrer Untersuchung weiter spannen dürften. Zeisig liebt selbst diesen eitlen Streber Cicero keineswegs, dem der verkommene Senat den Titel eines Vater des Vaterlandes verlieh. Zeisig weilt selbst mit seinem Herzen in dem niedrigen, verfallenen Tempel, in dem zur düsteren Mitternachtsstunde der bleiche Catilina seine Scharen versammelt, Zeisig selbst lauscht mit schauderndem Entzücken den ersten Tubenstössen, die in der kleinen etrurischen Feldstadt Faesulae das Signal zum Losbruch der herrlichen Revolte geben sollten.

      Und wenn auch tausendmal nicht; nur Beschränktheit kann in dem zitternden Festhalten eines mürbe gewordenen Junkerregiments das Heil des Staates erblicken. Nein, mag Malte von Zingst, selbst ein Junker, der dort drüben auf der zweiten Bank so ernst und sicher schreibt, mag er dem gescheitelten Zungendrescher ruhig den Lorbeer reichen, er, Gust, weiss, ahnt, fühlt, dass in dem Verschwörer Catilina die moderne Zeit steckt, dass seine Helfershelfer vorzeitige Frühlingsboten sind, die durch den Winterschnee reiten. Jawohl, und tausendmal ist es so, alles Grosse haben in die Welt nur die Amstürzler gebracht. Deshalb — einen Besen her — fortkehren wollen wir, fortkehren den Schnee von dem Weg, auf dem die Rosse der Heilsbringer traben. Fortkehren, damit sie nicht gleiten und stürzen, die Kommenden — kehren, kehren für die neue Zeit.

      Er schreibt. Und sein erster Satz lautet:

      „Catilina gebührt mit Recht der Name

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