Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert

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Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert Auguste Fuchs

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      Wieder was dazugelernt, stellte Reginald Wündrich zufrieden fest. Wenn keinerlei Schäden am Herzmuskelgewebe festgestellt werden können und das Herz nicht etwa wie normalerweise in der Diastole stehen geblieben ist, kann also, wie Professor Straßmann es ausgedrückt hat: »… von einer äußeren Einwirkung auf das Organ durch Zufügen eines hochdosierten, lokal wirksamen Giftes ausgegangen werden.« In die nächste Zeile gehörte demzufolge:

      Tod durch Fremdverschulden.

      Reginald Wündrich nahm sich vor, bei der nächsten Vorlesung ein bisschen mit seinem neu erworbenen Wissen herumzuprotzen. Die bornierten Von-und-Zus unter den Kommilitonen hatten es jedenfalls nicht besser verdient. Er gähnte, streckte die Beine unter dem Tisch aus und ließ die Knöchel in seiner Schreibhand knacken. Beinahe hätte er den letzten Eintrag vergessen:

       Besonderheiten:

       Schwangerschaft, etwa Beginn des zweiten Trimesters

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      KAPITEL 4

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      He, Gustchen! A penny for your thoughts!« So wortkarg und in sich gekehrt wie an diesem Abend hatte Henrietta ihre Nichte selten erlebt. Charlotte Paulus war blutjung gewesen, im selben Alter wie Auguste. Da war es nur verständlich, dass der Tod einer Gleichaltrigen Auguste nachhaltig beschäftigte. »Wer könnte so unheimlichen Hass auf sie gehabt haben, dass er sie umbringt?«, murmelte sie, »ich meine: Was kann man als Frau schon Schlimmes anrichten?«

      »Schönheit war schon immer ein Motiv für Neid und Eifersucht«, stellte Augustes Vater achselzuckend fest. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist bei den alten Griechen wegen einer schönen Frau sogar ein jahrelanger Krieg vom Zaun gebrochen worden.«

      »Unsinn, Julius!« Henrietta warf klirrend ihr Messer auf den Abendbrotteller. »Das mit der schönen Helena und Troja und dem ganzen Drum und Dran hat sich der alte Homer doch bloß ausgedacht! Wahrscheinlich ging’s den Griechen in ihrem hölzernen Gaul nur um das Übliche.«

      »Und das wäre?«

      »Macht und Geld. Außerdem gehört Kriegführen bei euch Kerlen doch sowieso zum guten Ton.«

      »Aber Charlotte Paulus war eine Frau und hatte, wie es aussieht, keinerlei Ambitionen in Bezug auf Macht und Geld«, warf Auguste ein, bevor sich ihr Vater und Tante Hattie einen längeren Schlagabtausch liefern konnten. »Ich versteh das Ganze einfach nicht.«

      »Na, warten wir es erst mal ab«, lenkte Henrietta ein, »vielleicht findet dein flotter Kriminalassistent ja ganz schnell die Lösung.«

      Während Auguste Tante Hatties Formulierung geflissentlich überhörte und betont ausgiebig an ihrem Schinkenbrot herumsäbelte, machte sich »ihr« Kriminalassistent auf den Weg nach Treptow: die Behrenstraße entlang mit der Elektrischen bis zum Haupteingang III der Gewerbeausstellung. Als er dort ankam, schloss diese soeben ihre Pforten, und Sigismund Brändel, der als eine Art Hausmeister für die auf dem Gelände befindliche Kolonialausstellung fungierte, empfing Wilhelmi mit einem bärbeißigen »Ick dachte schon, Sie komm’ nich mehr«.

      Die »Berliner Gewerbeausstellung von 1896« – von den Veranstaltern gern als verhinderte Weltausstellung bezeichnet – war die Sensation des Jahres! Auf einem Areal von rund neunzig Hektar tummelten sich mehr als dreieinhalbtausend Aussteller. Über die üblichen Werkschauen hinaus boten sich den Besucherinnen und Besuchern etliche Restaurants und Brauhäuser zum Verweilen an, und es gab jede Menge Attraktionen wie Rundfahrten mit venezianischen Gondeln, Bartschneidenlassen bei einem »Muzajin« – einem veritablen ägyptischen Barbier – oder in die Luft gehen mit »Zekeli’s Riesen-Fesselballon«. Sogar eine Sternwarte hatte man gebaut. Allerdings hatte deren Riesenfernrohr auch vier Wochen nach der Eröffnung noch niemand zum Funktionieren gebracht. Zum pädagogisch wertvollen Amüsement gehörten außerdem die Nachbildungen deutscher Kriegsschiffe, die auf der Spree paradierten und brave kleine Matrosenanzugträger von einer Zukunft als Marineoffizier träumen ließen. Besonderer Anziehungspunkt jedoch war die »Erste Deutsche Colonialausstellung« am Treptower Karpfenteich, mit »Original-Negerdörfern« und »Straßen und Gassen in Kairo«.

      Bis dorthin waren es vom Eingang III aus nur wenige Schritte, doch Sigismund Brändel führte Jakob Wilhelmi nicht wie erwartet zum entsprechenden Ausstellungsareal, sondern weiter abseits zu einer Reihe grob gezimmerter Baracken.

      »Die könn’ wer leider nich in ihre Negerhütten übernachten lassen. Sterben ei’m bei dem Regen ja sonst weg wie die Fliegen, versteh’n Se?«

      »Natürlich. Ich hab gehört, dass tatsächlich einer der Afrikaner vorgestern Abend gestorben ist. Völlig überraschend, hieß es.«

      »Da ham Se richtig gehört. War aber nich vor Kälte, sondern war ’n Unfall. Kann jedem passieren. Aber wenn Se mich fragen, ham die hier sowieso nischt verloren: Alle naslang fällt einer wejen Dünnpfiff aus, weil die Berliner Küche nu mal nich aus Vogelfutterpampe mit Kängurukotelett besteht!«

      Jakob Wilhelmi verkniff sich die Bemerkung, dass das gemeine Känguru in Afrika selten bis gar nicht anzutreffen war und von daher vermutlich auch nicht auf den entsprechenden Speisekarten anzutreffen sein dürfte.

      »Versteh’n Se mir nich falsch«, schwadronierte Sigismund Brändel weiter, »aber die soll’n doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Meine Meinung!«

      Gut, der Pfeffer ist korrekt in Afrika verortet, dachte Jakob. »Aber …«

      Doch Brändel ließ ihn gar nicht erst zu Worte kommen. »Dumm, faul und unordentlich – wenn Se mich fragen! Verfressen, tückisch und verlogen! Und kaum hat einer von denen ’n bissken Hüsterken – zack! – hat er ’t uff der Brust. ’n paar von denen liegen immer flach! Und denn wird zu irgendeinem Affengott oder wat weeß ick jebetet und sich über den Karbolgeruch beschwert! So, da wär’n wer.« Brändel machte keinerlei Anstalten, Jakob weiter als bis zu dem Gatter, das den Eingang der Barackensiedlung markierte, zu begleiten. »Viel Jlück, wa?«

      »Danke, Herr Brändel. Und schönen Abend noch.« Wenn Jakob angenommen hatte, den Schwätzer endlich los zu sein, dann hatte er sich getäuscht: Brändel rührte sich nicht von der Stelle. »Jawoll ja, Jlück wer’n Se brauchen, weil …«, er senkte bedeutungsvoll die Stimme, »… die Kaffern seh’n doch alle gleich aus. Und da drin sind mehr als hundert von denen. Wie Se da Ihre Verbrecher rausfinden wollen, is mir ’n Rätsel.«

      »Die Herren sind keine Verbrecher, sondern Zeugen«, versetzte Jakob, doch Brändel winkte ab: »Sind doch allesamt irgendwie nich richtig im Kopp«, erklärte er und verfiel wieder in seine übliche Sprechlautstärke. »Besonders die Hottentotten. Machen hier uff feine Pinkel, versteh’n Se? Sind sich zu vornehm für nackig und Baströckchen. ›Herero- und Hottentottenkarawane‹ in Hut und Anzug? Wo jibt’s ’n so wat?«

      »Das weiß ich leider nicht.« Wilhelmi zuckte mit den Schultern. »Vielleicht da, wo die Herrschaften herkommen. Waren Sie denn schon mal dort?«

      »Nee.« Sigismund Brändel hatte offenbar wenig Gespür für Ironie. »Aber sich für teuer Jeld aus ihrem Kral hierherbringen lassen und denn nich mal ’n bissken nackte Haut zeigen? Wenn Se mich fragen: Da sind unsere Zuschauer mit Recht sauer!«

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