Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert

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Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert Auguste Fuchs

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traten ungeduldig von einem Bein aufs andere. Doch während die Bahre mit der Toten in den Aufzug geschoben wurde, schritt Dr. Goldstein in die Mitte des Raumes und breitete beide Arme aus; eine Geste, die alle Anwesenden einschloss. »Meine Damen und Herren, es tut mir leid, aber ich muss Sie bitten zu bleiben. Bei zweifelhaften Todesumständen bin ich genötigt, die Polizei zu verständigen, und die möchte von Ihnen bestimmt Näheres über den Vorfall hier wissen. Wo gibt’s denn hier im Haus einen Telefonapparat?«

      »Von Barnstedt.« Der Kriminalkommissar stellte sich mit geradezu militärischem Aplomb vor. Der Schmiss auf seiner linken Wange wies ihn als ehemaligen Burschenschaftler aus, und sein gesamtes Gebaren ließ darauf schließen, dass er die fünfundzwanzig Jahre Frieden, die das Deutsche Reich in diesem Jahr zu feiern hatte, bedeutend lieber hoch zu Ross auf irgendeinem Schlachtfeld zugebracht hätte. Aber vielleicht tat er auch nur so.

      »Wilhelmi, Jakob.« Sein Assistent war gut einen Kopf größer als sein Vorgesetzter. Auguste schätzte ihn auf Ende zwanzig; wahrscheinlich war er gleich nach Beendigung des Militärdienstes zur Polizei gegangen. Jedenfalls musste er sich in seinen jungen Jahren bereits allerhand Verdienste erworben haben, denn so ohne Weiteres ließ man für den gehobenen Dienstweg keine Bürgerlichen zu: Der Adel blieb auch hier gern unter sich. Allerdings wurde gemunkelt, dass es nicht gerade die hellsten Köpfe der Aristokratie waren, die eine höhere Polizeilaufbahn antraten und dass dies auch nicht immer so ganz freiwillig geschah. Als wollte er das entsprechende Gerücht höchstpersönlich bestätigen, verwickelte von Barnstedt Henrietta – »Lady Droydon-Jones, geborene von Coesenitz« – umgehend in ein angeregtes Gespräch und überließ es seinem Assistenten, die Personalien der profaneren Zeuginnen und Zeugen aufzunehmen. Wilhelmi ging mit einer kleinen, in einer schweinsledernen Hülle steckenden Kladde von einem zum anderen und trug mit Kopierstift die Namen und Adressen ein.

      Der Darsteller, der für den verstorbenen »Schauneger« eingesprungen war, hieß Aleeke Mambila, und Auguste konnte sich trotz des Ernstes der Situation ein Lächeln nicht verkneifen: Wieder in Zivil, gab er seine stoische Haremswächter-Attitüde auf und sprach, wie sie zu ihrer Überraschung feststellen konnte, sehr gut Deutsch. »Woher hätte ich denn wissen können, dass Herr Weinfurth bereits den Pagen vom Central-Hotel als Ersatz rekrutiert hatte?«

      »Und Sie sind trotzdem geblieben?«

      »Natürlich. Herr Weinfurth hatte schließlich nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil.«

      In einem von den beiden Polizeibeamten unbeachteten Moment sah Auguste, wie Ndeschio Temba und Hulda Preissing miteinander flüsterten. Obwohl das ausgesprochen unwahrscheinlich war, sah es aus, als ob die beiden sich von irgendwoher kannten. Schließlich ging Temba – wie zuvor seltsam abwesend wirkend – zurück zu seinem Platz. Hulda fing Augustes fragenden Blick auf und legte beschwörend den Finger auf den Mund, und obwohl Auguste dem strengen Regiment ihrer ehemaligen Kinderfrau längst entwachsen war, war Huldas Wunsch ihr nach wie vor Befehl.

      Als Julius Fuchs mit der Befragung an die Reihe kam, verwies er den jungen Kriminalassistenten mit einer auffordernden Geste an seine Tochter. »Ich war seit heute früh unten im Laden und kann Ihnen von daher leider nicht weiterhelfen.«

      Wilhelmi kam zu Auguste hinüber. »Ach! Sie haben also die fotografischen Aufnahmen gemacht, nicht Ihr Vater?«

      »Ja, hab ich!«, versetzte Auguste schnippischer als beabsichtigt. Es war nicht das erste Mal, dass ein Vertreter des anderen Geschlechts davon ausging, dass Frauen für den Umgang mit technischen Geräten ungeeignet waren – es sei denn, es handelte sich um Godefroys dampfbetriebene Haartrockenhaube.

      »Oh, Pardon!« Wilhelmi deutete ein entschuldigendes Kopfnicken an und lächelte. »Ich hab keine Sekunde an Ihren Fähigkeiten gezweifelt.«

      Sieh mal einer an, dachte Auguste, der Kerl scheint Gedanken lesen zu können; für einen angehenden Kommissar ganz sicher ein willkommenes Talent.

      »Es geht zunächst mal lediglich darum festzustellen, wer sich im entscheidenden Moment wo hier im Raum befand«, fuhr Wilhemi fort. »Ihr Herr Vater war, wie ich soeben erfahren habe, gar nicht hier, sondern unten im Parterre. Das heißt, Sie standen dann wohl hinter einem von den … Apparaten da.« Er deutete vage auf eine der wuchtigen, auf schwere, hölzerne Stative montierten Kameras, die Auguste, um Platz zu schaffen, an die Seitenwand des Ateliers geschoben hatte.

      »Der ›Apparat da‹ ist eine Stereokamera!« Das klang kein bisschen freundlicher als zuvor, und Auguste rief sich erschrocken zur Ordnung. Der Herr Kriminalassistent war schließlich ausgesprochen höflich, und sie hatte keinerlei Anlass, derart patzig zu reagieren. »Sehen Sie, Herr Weinfurth arrangiert zunächst ganz nach seinen Wünschen ein Tableau, also: ein lebendes Bild«, begann sie, etwas milder gestimmt, zu erklären. »Dann mach ich davon mit unserer Görlitzer hier«, sie deutete auf eine blitzblanke, offenbar nagelneue Atelier-Kamera, »eine Aufnahme, die dann später in der Druckerei mittels Photochromverfahren farbig gedruckt und als Ansichtskarte verkauft wird. Danach geht es weiter mit der Stereokamera – die erkennen Sie an den zwei Objektiven –, und zum Schluss mach ich mit der Anschütz eine Reihe chronologischer Momentaufnahmen.«

      »Ach?«

      »Ja, für Herrn Weinfurths Mutoskope. Dank des Anschütz-Patents lässt sich nämlich der Schlitzverschluss für Belichtungszeiten bis zu einer tausendstel Sekunde verstellen. Großartig, oder?«

      »Zweifellos.«

      »Das heißt, damit kann man tatsächlich Bild für Bild ganze Bewegungsabläufe aufnehmen! Und die Einzelbilder werden dann später auf einen Zylinder montiert, der, wie gesagt, in ein Mutoskop eingesetzt wird. Und nach entsprechendem Geldeinwurf wird dann der Zylinder mit einer Handkurbel zum Rotieren gebracht.« Aus Wilhelmis Gesichtsausdruck war nicht zu schließen, ob er ihren Ausführungen folgen konnte, und Auguste schwang sich – einmal in Fahrt gebracht – zu näheren Erläuterungen auf. »Sehen Sie, das ist so: Durch eine lichtabschirmende Öffnung betrachtet – einfacher gesagt: durch ein Guckloch gesehen –, erzeugt das Mutoskop mittels der in schneller Abfolge aufgeblätterten Bilder die Illusion von Bewegung. Im Prinzip so ähnlich wie die laufenden Bilder, die die Brüder Skladanowsky mit ihrem Bioskop erzeugen. Nur benutzen die eine andere Technik.«

      »Ich verstehe.« Um Jakob Wilhelmis Lippen spielte ein unergründliches Lächeln. »Und wo haben Sie sich also beim Eintritt des – ja offenbar länger andauernden – Todeskampfs aufgehalten?«

      »Ähm …« Auguste wurde rot. Ihr belehrender kleiner Vortrag erwies sich nicht nur als vollkommen überflüssig; er wirkte wahrscheinlich sogar reichlich borniert. Reiß dich zusammen, wies sie sich innerlich zurecht, der Herr Kriminalassistent macht hier schließlich nichts weiter als seine Arbeit! »Also, ich hab hier gestanden«, sie deutete auf die Görlitzer, »und weil es sich um eine der Aufnahmen gehandelt hat, die später als Postkarte Verwendung finden sollen, hab ich das Blitzlicht hier benutzt. Kunstlicht eignet sich dafür deutlich besser als … ähm … Na ja, das tut ja nichts zur Sache.« Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, Wilhelmi mit einem weiteren Fachvortrag zu bombardieren. »Fräulein Paulus hat genau in dem Moment aufgeschrien, als ich das Blitzpulver gezündet habe, insofern hat wohl einen Sekundenbruchteil lang niemand etwas gesehen.«

      »Bis auf die Görlitzer.«

      »Wie bitte?«

      »Na, Ihre Kamera. Oder haben Sie nur den Blitz ausgelöst, ohne eine Aufnahme zu machen?«

      »Was?! Ich bin doch nicht meschugge!« Auguste schlug sich angesichts ihrer erneuten Patzigkeit erschrocken auf den Mund. Doch bevor sie sich für ihr undamenhaftes Verhalten entschuldigen konnte, zückte Jakob Wilhelmi seinen Kopierstift. »Wann könnte

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