Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert

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Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert Auguste Fuchs

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die er nicht versteht, dermaßen aus der Fassung bringen lässt, dachte Auguste, aber vielleicht rechnet er sich Chancen bei seiner Schlangenfrau aus und ist nur eifersüchtig auf den hübschen, jungen Afrikaner. Doch noch erstaunlicher erschien ihr die Tatsache, dass Charlotte Paulus die Übersetzung aus jener unbekannten Sprache so prompt von den Lippen gekommen war. Aber vielleicht hatte sie sich auch einfach nur irgendetwas ausgedacht. Andererseits …

      Augustes Überlegungen wurden von Witwe Preissing unterbrochen, die mit einem voll beladenen Servierwagen ins Atelier platzte. »Schinken, Bouletten und Käsestullen!«, trompetete sie mitten in die Aufnahme hinein. Alle Köpfe flogen in Richtung Fahrstuhl. »Dazu Heringssalat, Gürkchen und Rote Bete! Und Soleier mit Mostrich gibt’s auch! Unser Dorchen hat sich mal wieder selbst übertroffen, also lassen Sie sich’s schmecken!«

      Auguste fluchte leise. Das letzte Bild würde definitiv nicht zu gebrauchen sein. Andererseits war allen Beteiligten eine Pause zu gönnen, und ehe sie sich’s versah, waren sämtliche Sitzgelegenheiten des Ateliers mit herzhaft zulangenden Akteuren und Bühnenhelfern besetzt. Tante Hattie ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich den Tee auszuschenken.

      Auguste grinste. »Wenn das dein Butler wüsste …«

      »Cedric?« Henrietta zog eine Grimasse und imitierte den nasalen Tonfall des Genannten, »But, Milady! I must insist on leaving this to me.«

      Auguste konnte gut nachvollziehen, dass ihre Tante es genoss, jedes Jahr ein paar Wochen ohne Kammerzofe und Butler in Berlin zu verbringen. Sie hatte einen ausgeprägten Hang zur Bohème, dem sie in England – unter den Argusaugen ihrer angeheirateten Familie – nur selten frönen konnte. Im Atelier ihres Schwagers Julius hingegen war sie ganz in ihrem Element, nahm zwischen Weinfurths Angestellten Platz und langte bei Hulda Preissings Stullen kräftig zu. Die Afrikaner waren es ganz offensichtlich nicht gewöhnt, ihre Mahlzeiten gemeinsam mit ihren Arbeitgebern einzunehmen. Ndeschio Temba rührte denn auch keine der dargebotenen Köstlichkeiten an; er war nicht einmal dazu zu bewegen, eine Tasse Tee oder ein Glas Limonade zu trinken.

      Eine zweite Kanne Tee wurde gebrüht, und Hulda Preissing musste mehrmals den Limonadenkrug auffüllen lassen, während sich die kalten Platten leerten.

      »Och Liebelein«, tirilierte Weinfurth und machte, als sie mit einem weiteren Tablett voll Leckereien nach oben kam, eine beinahe höfische Verbeugung. »Isch bin zwar pickepacke satt, aber dat ein oder andere lecker Frikadellschen passt immer noch erein!«

      Nachdem Auguste alle Beteiligten wieder in ihre Positionen gescheucht hatte, machten sich die vollen Mägen deutlich bemerkbar: Alles ging ein wenig langsamer vonstatten, und Juppi Weinfurth fiel – kaum hatte er sich auf dem Diwan niedergelassen – in Tiefschlaf. Auf diese Weise entging ihm der Aufruhr, den das Auftauchen eines weiteren Mitarbeiters verursachte. Zunächst erschien ein empörter Luis, der kategorisch erklärte, der Transport wilder Tiere gehöre eindeutig nicht zu den Aufgaben eines Liftboys. Kurz darauf kam ein Mann mit einem durchlöcherten Pappkarton unter dem Arm die Treppe heraufgehastet. »Mensch, Jungchen, stell dir nich so an!«, keuchte er. »Die tut keiner Seele wat zuleide!«

      Der Karton in seinen Händen bewegte sich ohne sein Zutun, was zur Folge hatte, dass keiner es wagte, das Ding in Empfang zu nehmen. Als niemand sich rührte, warf Charlotte Paulus einen kurzen Seitenblick auf den schlafenden Weinfurth, seufzte ergeben und nahm die Lieferung an seiner Stelle in Empfang. »Danke, Emil. Ich denke, du kannst sie in ein, zwei Stunden wieder abholen.«

      Auguste hatte den Flechtkorb, aus dem am Abend zuvor Samirahs Schlange emporgekrochen war, unter den Requisiten entdeckt und mit einiger Erleichterung festgestellt, dass er leer war. Jetzt schwante ihr Schreckliches. »Bitte, dürften wir vielleicht erfahren, was unseren Liftboy so aus der Fassung gebracht hat?«

      »Nichts Schlimmes. Nur meine Bühnenpartnerin.« Charlotte Paulus nahm den Deckel der Pappschachtel behutsam ab, »Und keine Angst«, sie lächelte in die Runde, »die Gute frisst nur Mäuse und Kaninchen.«

      Die Königspython schob den Kopf aus ihrem Gefängnis empor und inspizierte nervös züngelnd ihre neue Umgebung.

      Lina Kröschke baute sich mit entschlossen vorgerecktem Kinn vor Auguste auf. »Entweder fünf Mark mehr oder ick bin weg«, fauchte sie, »mitsamt die Klamotten und die Schminke!«

      »Na jaaa …«, Auguste zögerte, »eigentlich zahlt ja der Auftraggeber die Mitarbeiter …«

      »’n Fünfer mehr, und zwar zack, zack!«

      »Fräulein Kröschke, Sie haben vollkommen recht«, mischte sich Henrietta ein, »aber das Beherbergen wilder Tiere steht nicht in unserem Vertrag. Also wenn der Herr Sultan sein Mittagsschläfchen beendet hat, darf er gern für uns alle noch mal ein paar Mark drauflegen, oder?«

      Wie aufs Stichwort gab Weinfurth eine Reihe schlaftrunkener Schmatzlaute von sich, öffnete die Augen und rappelte sich auf. »Geht’s weiter?«

      »Ja, sofort«, versetzte Auguste. »Allerdings nur mit Gefahrenzulage für alle«, fügte sie nach einem Rippenstoß ihrer Tante hinzu.

      Weinfurth ging widerwillig auf die Forderungen ein. Nachdem seine Mitwirkung als Sultan nicht weiter vonnöten war, ließ er sich von Lina Kröschke abschminken und verlangte anschließend – wieder in Zivilkleidung – nach einem bequemen Sessel, um bei den weiteren Aufnahmen Regie zu führen. Als Erstes galt es, eine dramatische Szenenfolge mit dem Titel »Das Geschenk der Rivalin« zu arrangieren.

      Während die Runtschen-Schwestern – mit einer Laute und einem Tamburin in den Händen – auf zwei Samtkissen Platz nahmen, wurde Charlotte Paulus umgezogen. Als sie zurückkam, trug sie ein Flamencotuch aus besticktem Musselin um die Hüften und war bis zur Taille lediglich von ihren langen, rötlich braunen Haaren bedeckt. Ndeschio Temba trat – mit rotem Fez und gelbem Burnus farbenprächtig ausstaffiert – mit dem Schlangenkorb auf die drei Frauen zu. Er kniete nieder und wartete mit gesenktem Kopf, bis Weinfurth das Bild zu seiner Zufriedenheit arrangiert hatte. Auguste füllte das Blitzpulver ein und gab Temba das verabredete Zeichen. Der öffnete den Deckel, und die Python erhob sich langsam aus dem Korb. Die beiden Runtschen-Schwestern starrten wie hypnotisiert auf die Schlange – was ausnahmsweise zum Inhalt des Tableaus passte –, und Auguste betätigte Blitz und Auslöser. Als das Magnesium aufflammte, schrie Charlotte Paulus auf, und alle fuhren erschrocken zusammen.

      »Liebe Leute, so wird das nichts!« Auguste rang in gespielter Verzweiflung die Hände. »Ihr müsst schon stillhalten, wenn ich …«

      Bevor sie weitersprechen konnte, brach die Hölle los.

      Hanna und Jenny Runtschen sprangen auf, ließen ihre Instrumente fallen und rannten schreiend ins Nebenzimmer, Weinfurth lief hinterher und brüllte irgendetwas Unverständliches, und die Bühnenarbeiter, die sich infolge Charlotte Paulus’ leichter Bekleidung als Zaungäste eingefunden hatten, machten Anstalten, das Haremstableau zu stürmen. Doch dann hielten sie erschrocken inne: Charlotte Paulus war mitten in der Bewegung erstarrt. Aus ihrem zarten, ohnehin blassen Gesicht war jede Farbe gewichen, und sie starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Leere. Sie griff an ihren Hals und bewegte ihre Lippen, als versuchte sie, etwas zu sagen. Dann sank sie wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hat, zu Boden.

      »Nini kimetokea?« Ndeschio Temba sprang hinzu und richtete Charlottes Oberkörper auf, um ihr das Atmen zu erleichtern. »Mpendwa wangu, nini kilikutokea? Tafadhali, lazima upumue! Pumua! Pumua!«

      Charlottes Augenlider flackerten, während sie verzweifelt nach Luft rang.

      »Ich ruf einen Arzt!« Während Henrietta in

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