Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert

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Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert Auguste Fuchs

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      »Aber Weinfurths Leute bringen doch jede Menge Haremszeug mit! Und du bist schließlich nicht zum Möbelrücken hier!« Auguste protestierte nur halbherzig, denn ihr war klar, dass nichts und niemand auf der Welt ihre Tante von etwas abhalten konnte, das sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. Wie erwartet wurde ihr Einwand ignoriert. Die beiden Frauen schleppten den schweren Majolika-Topf mit vereinten Kräften zu einem halb hohen Sockel, der normalerweise bei Hochzeitsfotos als Blumenständer diente. Er hatte die Form einer ionischen Säule, sah täuschend echt aus und bestand aus federleichtem Pappmaché. Henrietta trat ein paar Schritte zurück und schüttelte den Kopf. »Das sieht so wenig orientalisch aus wie du und ich!«

      Auguste zuckte mit den Schultern. »Juppi Weinfurths ägyptische Sklavinnen sind doch auch nicht echt! Außerdem hat er gesagt, er bringt ein Tigerfell mit. Das können wir doch drüberhängen.«

      »Das schwächliche Ding kracht uns doch in Nullkommanichts darunter zusammen!« Tante Hattie hatte für die allseits beliebten Darstellungen von Sultanspalästen und halb nackten Damen zwar absolut nichts übrig, aber das preußische Pflichtbewusstsein ihrer Ahnen konnte sie beim besten Willen nicht verleugnen, und das ließ alles, was auch nur ein Quäntchen unterhalb der absoluten Perfektion fungierte, schlicht nicht zu. »Jetzt komm schon! Der Pott kann ohne Weiteres auf’m Fußboden stehen, und den albernen Akropolisstummel müssen wir mit was anderem abdecken. Das Tigerfell wird nämlich für Julius’ unsägliches Kanapee gebraucht. Rote Rosen auf grünem Grund!« Sie schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Der gute Hamad würde den Polsterer glatt einen Kopf kürzer machen!«

      »Hamad …?«

      »His Majesty Sir Hamad Bin Thuwaini ibn Said al-Busaid, Ritter des Roten Adlerordens und Sultan von Sansibar. Hab ihn in der Sommerfrische kennengelernt. Netter Kerl.«

      »Aha«, versetzte Auguste trocken. »Na, dann gucken wir mal, was sich mit so ’nem Tigerfell aus Papas Lieblingssofa machen lässt.«

      Da Henrietta Droydon-Jones ihren Witwenstand lieber auf Reisen als bei High Tea und Dinnerparties in England zu verbringen pflegte, riefen ihre über mehrere Kontinente verstreuten Bekanntschaften weder bei Auguste noch bei ihrem Vater Erstaunen oder gar Ehrfurcht hervor.

      »Wer sich wie dein Sultan mit preußischen Orden schmückt, sollte ein solides deutsches Kanapee nicht mit Verachtung strafen!«, rief Julius Fuchs von nebenan. Die Tür zu seinem Privatkontor stand offen, und er hatte Henriettas vernichtende Kritik durchaus gehört.

      »Julius! Ich bitte dich!« Henrietta ließ sich zur Freude ihres Schwagers wunderbar leicht provozieren. »Dieses Ungetüm sieht einfach grässlich aus, und zwar egal, ob es in Berlin, Sansibar oder am Nanga Parbat steht!«

      »Teuerste, bitte unterschätz in deinem Eifer nicht die praktische Seite! Das Ungetüm erweist sich bei Familienfotos als äußerst nützlich! Schließlich passen neben Vater und Mutter noch mindestens drei bis vier Kinder drauf.«

      »Papa, so wie ich diesen Weinfurth kenne, können wir nur inständig hoffen, dass in seinen schwülstigen Tableaus erst gar keine Kinder vorkommen!«, versetzte Auguste, und die beiden Frauen rauschten mit wehenden Röcken die Wendeltreppe hinunter, um eine Etage tiefer alles an Teppichen, Decken und Kissen zusammenzuraffen, was auch nur ansatzweise dazu geeignet war, das preußisch-bürgerliche Interieur des Ateliers in das eines üppig ausstaffierten ägyptischen Harems umzuwandeln.

      Julius Fuchs beschloss, das Terrain bis auf Weiteres den Damen zu überlassen. Er hatte Weinfurths Großauftrag zwar erst nach längerem Zögern seiner Tochter überlassen, aber jetzt war er froh, sich für den Rest des Tages ins Parterre zurückziehen zu können: Als Absolvent der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule zu Breslau empfand er Weinfurths pseudo-orientalische Bilder als ästhetische Zumutung. »Grässlich, das Ganze«, brummte er, als er den Fahrstuhl betrat, »aber wir können uns unsere Kundschaft nun mal leider nicht backen.«

      »So isses«, der Liftboy nickte, »und der Rubel muss ja nu rollen, nich?«

      »Du sagst es, Luis! Und dem ollen Weinfurth sitzt der Rubel scheinbar ganz besonders locker.«

      Tatsächlich zahlte der Impresario ein üppiges Tageshonorar, und die Aufnahmen würden deutlich mehr als einen Tag in Anspruch nehmen. Weinfurth belieferte nebenbei auch noch etliche Postkartenhersteller und Verlage, die Stereofotografien angeblich authentischer »Bilder aus dem Orient« unters Volk brachten. Mittlerweile besaß so gut wie jeder Haushalt einen sogenannten »Betrachter«, der zwei nebeneinanderliegende Bilder dreidimensional und somit – wie es in den Reklameanzeigen hieß – »einmalig lebensecht« erscheinen ließ.

      »Is’ nix escht dran, aber jehen weg wie warme Semmeln, die Dinger!«, hatte Weinfurth bei der Auftragsvergabe geprahlt, und Julius Fuchs hatte das zu veranschlagende Honorar daraufhin stillschweigend um ein hübsches Sümmchen nach oben korrigiert.

      Als Juppi Weinfurth im Atelier erschien, hatten die beiden Frauen die griechische Pappmaché-Säule mit einer seidenen Tagesdecke umhüllt, und der Hintergrundprospekt – »Wanderweg mit Bach und Birke« – war mittels mehrerer ausrangierter roter Samtportieren zur Haremskulisse mutiert.

      Der Schausteller klatschte begeistert in die Hände. »Fabelhaft, meine Damen! Einfach überwältijend!«

      Während Lina Kröschke, die Theaterfriseuse aus dem Wintergarten, gemeinsam mit ihrem ebenfalls dort ausgeliehenen Garderobenhelfer in Julius Fuchs’ Privatkontor verschwand, um Schminke und Kostüme herzurichten, schleppten zwei Bühnenarbeiter einen riesigen, sechsflügeligen Paravent und ein ganzes Arsenal an Kleinmöbeln und Requisiten heran.

      Sie verwandelten das Rosenblütenkanapee mithilfe des von Weinfurth so großspurig angekündigten Tigerfells in einen exotischen Diwan und rahmten diesen mit einem Sammelsurium von Speeren und Schilden ein.

      »Massai-Waffen in ’nem ägyptischen Harem?« Tante Hattie zog eine undamenhafte Grimasse. »Das ist ja wie … Stachelbeertorte mit Senf.«

      Doch bevor sie sich weiter über den wüsten Mischmasch aus einheimischen und fremdländischen Accessoires mokieren konnte, klingelte es. Kurz darauf erschienen zwei dunkelhaarige junge Frauen – offenbar Schwestern – im Atelier. Bei näherem Hinsehen erkannte Auguste in ihnen die beiden »Haremssklavinnen« vom Vorabend. Sie hatten sich dem Anlass entsprechend nach Kräften herausgeputzt, die abgewetzten Stiefelspitzen und fadenscheinigen Wolljacken verrieten jedoch ihre mehr als bescheidenen Lebensumstände. Die beiden waren kreidebleich, hatten die Hände ineinander verschränkt und kicherten nervös. Offenbar hatten sie all ihren Mut zusammengenommen und zum ersten Mal in ihrem Leben einen Fahrstuhl benutzt.

      Weinfurth warf sich mit der Grandezza eines Zirkusdirektors in die Brust und stellte die beiden vor: »Die Fräuleins Hanna und Jenny Runtschen. Im Zivilberuf Reinemachfrauen drüben im Winterjarten!« Er tätschelte der jüngeren der beiden vertraulich die Wange und legte Hanna, der älteren, den Arm um die Taille. »Bisschen blass um die Nase, ihr zwei! Aber mit ›Leichners Negerbraun‹ kriegt unsere Lina euch schon auf ägyptische Tempelhure jetrimmt!«

      Hanna Runtschen versteinerte unter Weinfurths Berührung; ihrer Miene war nur allzu deutlich anzusehen, dass ihr die plumpe Vertraulichkeit des Schaustellers mächtig gegen den Strich ging.

      »Hanna? Jenny?« Lina Kröschke steckte den Kopf zur Tür herein und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Was ist? Ich warte!«

      Hanna Runtschen wand sich aus Weinfurths Umklammerung und huschte, ihre jüngere Schwester an der Hand hinter sich herziehend, in den Nebenraum.

      »Also

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