Panik-Pastor. Martin Dreyer
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»Gibt es hier jemanden, der heute alles verkaufen will, was er hat, um Christus ganz zu gehören? Wenn das jemand möchte, so soll er doch bitte als Zeichen vor Gott aufstehen!«, höre ich mich sagen. Ich bin nicht gut im Schätzen von Zahlen, aber ich denke, mindestens hundert junge Leute stehen sofort auf. Das haut mich in dem Augenblick einfach um. Dass junge Menschen in diesem Teil des Gottesdienstes reagieren, ist sehr ungewöhnlich, besonders in der Pubertät. Ich hätte mich über fünf Reaktionen übermäßig gefreut. Bei zehn Leuten wäre ich innerlich fast geplatzt. Aber dass es so viele, sind, erlebe ich kaum noch.
Völlig begeistert lade ich die Stehenden zu einem Gebet ein und alle beten laut mit. Danach kommt noch einmal die Band nach vorne und spielt ein paar Lieder. Schließlich ist der Gottesdienst vorbei und einige junge Menschen verlassen die Kirche. Viele bleiben aber noch, reden miteinander oder kommen mit einem aus dem Seelsorgeteam ins Gespräch.
Ich bin jetzt total erschöpft und möchte am liebsten schnell in mein Apartment gehen. Auch wenn es nur eine Ansprache ist, die über dreißig Minuten geht, bin ich danach innerlich oft sehr kaputt und ausgelaugt. Aber da sehe ich schon in einem Augenwinkel, dass mindestens ein halbes Dutzend Jugendliche noch vorne auf mich wartet, um mit mir zu sprechen. Das Zuhören und gleichzeitige Mitdenken in solchen Seelsorgegesprächen kosten mich unheimlich viel Kraft, besonders nachdem ich eine Predigt gehalten habe. Ich habe auch den Eindruck, dass der Kampf mit meinem Lampenfieber dazu erheblich beiträgt. Es ist sehr anstrengend, dagegen anzugehen, und kostet einiges an Energie. Aber ich kann jetzt auch nicht verschwinden.
Also setze ich mich mit dem ersten jungen Mann am Rand auf die vorderste Kirchenbank, auf der er mir sein Leid erzählen will. Nun kommt eine Geschichte, die ich in unterschiedlichen Varianten immer wieder hören muss. Er berichtet mir, schon viele Jahre eine »Sucht nach Pornografie« entwickelt zu haben und einfach nicht davon loszukommen. »Egal, was ich mir vornehme, es passiert immer wieder, dass ich stundenlang Pornos im Internet anschaue. Es ist zum Verzweifeln. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, erzählt er mir mit Tränen in den Augen. »Letzte Woche habe ich mir ein Tapetenmesser gekauft und wollte mir meinen Penis abschneiden. Aber der erste kleine Schnitt hat schon so wehgetan, dass ich es nicht ganz geschafft habe.«
Mir gefriert das Blut in den Adern. »Hey, mach das nicht!«, rufe ich dem Jugendlichen ins Gewissen. »Weißt du, es gibt kaum einen Mann in der Kirche, der diese starken Gefühle der Sexualität nicht kennt. Von ganz jung bis ganz alt habe ich schon Dutzende Geschichten gehört von Männern, die sich zu viel Pornografie im Internet anschauen. Aber das mit dem Tapetenmesser ist definitiv der falsche Weg, dieses Problem in den Griff zu kriegen! Ich würde dir gern einen Tipp geben, tue ab sofort Folgendes: Danke Gott jeden Tag für deine Sexualität. Kämpfe nicht länger dagegen an, das macht dich nur krank. Nimm sie dankbar an und freue dich darüber. Sexuelle Gefühle sind ein Geschenk Gottes. Sie sind etwas Wundervolles. Du kannst sie genießen und dich daran freuen. Versuche nur positiv damit umzugehen. Es ist sicher eine Kraft, bei der du lernen musst, sie in die richtige Richtung zu lenken. Du kannst sie nicht abstellen, abschneiden oder einen Pfropfen draufmachen, sodass sie nicht mehr rauskommt.
Aber du kannst diese Energie in die richtigen Bahnen lenken. Das ist eine Aufgabe, die Gott jedem jungen Menschen stellt. Und das Lernen im Umgang mit Sex soll dir Spaß machen und dich nicht in eine Verdammnis führen. Die Bibel sagt, dass die dunkle Seite, die auch um uns herum wirkt, dich dazu verführt, gerade das Verbotene zu tun. Sogar Paulus schreibt, dass er genau das tut, was er nicht tun will. Er schreibt, das Gesetz verleitet ihn dazu. Aber dann feiert er in dem biblischen Text, dass Gott ihn von diesem Gesetz befreit hat. Ich würde an deiner Stelle diese Negativität aus deiner Sexualität rausnehmen. Und zwar ganz. Sei dankbar für das, was Gott dir geschenkt hat. Danke Gott für deine Sexualität, jeden Tag. Für die irren Gefühle, die dabei entstehen, für den Rausch, für die Entspannung. Deine dunkle Seite will dich kleinhalten und dir ein schlechtes Gewissen machen. Aber Jesus ist nicht so. Er will uns Kraft geben, uns ermutigen, uns befreien!«
Anschließend beten wir noch lange zusammen und am Ende segne ich ihn. Ich hoffe sehr, dass ich dem jungen Mann seine Pläne mit dem Tapetenmesser ausreden konnte. Das ist wirklich schlimm. Diese enge Sexualmoral in einigen Kirchen hat so viel Unheil angerichtet. Sie macht Menschen kaputt, sorgt für eine kranke Sexualität. Und letztendlich bringt sie die Christen weg vom Glauben an Gott.
Nachdem ich noch einige Gespräche geführt habe, fährt mich der Pastor in ein schönes Hotel. Wir schwärmen beide während der Fahrt von dem tollen Event. Er ist auch sehr zufrieden mit dem Ablauf und freut sich wie verrückt, dass so viele junge Menschen gekommen sind. Ich bin total platt und kraftlos. Nachdem wir im Hotel ankommen, suche ich schnell mein Bett auf und lege mich hin. Vor dem Einschlafen muss ich noch lange über die moralischen Werte und ihre negativen Auswirkungen auf die Christen nachdenken. Was ich immer wieder verrückt finde: Der Gründer des Christentums, Christus selbst, war so überhaupt nicht moralisch. Jesus hat nie sexuelle Sünden verurteilt, nicht ein einziges Mal. Sogar als eine stadtbekannte Prostituierte bei ihm war, hat er sie für ihre sexuellen Verfehlungen nicht kritisiert. Das ist doch erstaunlich. Warum tun das nur die Christen immer wieder, warum ist das Thema in der Kirche so groß?
Ganz im Gegenteil wurde durch seinen Apostel Paulus die Freiheit von dem Gesetz ausgerufen. Jesus selbst wird in der Bibel so zitiert: »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist …, ich aber sage euch …« (Matthäus 5,21-22). Das war wie ein ständiger Spruch auf seinen Lippen. Was die Alten sagten, war eine Gottesbeziehung, die sich durch Belohnung und Bestrafung, durch Segen und Fluch, durch das Befolgen von Regeln ausgedrückt hat. Taten die Nachfolger Gottes das, was er verlangte, wurden sie von ihm beschenkt. Taten sie es nicht, wurden sie von ihm bestraft. Und zwar richtig hart, da wurden zum Teil ganze Familien ausgerottet.
Doch mit Jesus hat sich das radikal verändert. Alles wurde anders durch ihn. Auch wenn viele Familien und Völker das bis heute noch nicht verstanden haben. Christus hat den sogenannten »Fluch des Gesetzes« auf sich genommen, so beschreibt es die Bibel. Alles Negative, alle negativen Folgen unserer Taten auf unsere Gottesbeziehung, hat er radikal zum Positiven verwandelt. Gott hat durch Jesus klargemacht, dass er sich Freunde wünscht und keine Soldaten. Jesus nennt seine Nachfolger Freunde und nicht Diener. Gott möchte keinen Befehlsgehorsam, sondern eine liebevolle Beziehung zu uns.
Wenn mir ein moralisches Christentum begegnet, bin ich innerlich immer sehr zerrissen. Ich kann bei vielen moralischen Forderungen dieser Geschwister nicht mehr mitgehen. Auch wenn Christus in genau dieser Bibelstelle, welche in meiner Predigt genannt wurde, davon sprach, alles zu verkaufen. Es geht mir heute nicht mehr in meine Vorstellung, dass er damit auch einen hohen moralischen Lebensstil einfordern wollte. Also frei nach dem Motto: Alles zu verkaufen bedeutet einen harten Weg der Nachfolge Christi zu wählen und alles was mich ausmacht, meinen Willen und meine Begabungen, mein Geld, meinen Besitz, alles was mir guttut, komplett abzugeben. Das wäre ja die naheliegende Deutung der Moralisten. Du musst alles verkaufen, dich radikal und ganz aufgeben, deine Wünsche, dein Leben, deine Freuden, deine Sehnsüchte, deine Sexualität, alles muss Gott geweiht sein. Erst dann erhältst du den Schatz, die Belohnung, vorher nicht. Im Umkehrschluss bedeutet das ja: Behältst du nur ein klein wenig für dich, gibst du dich ihm nicht zu hundert Prozent hin, dann wirst du auch nicht den ganzen Segen, den ganzen Schatz bekommen können. Ich selbst habe das jahrelang so vertreten und geglaubt. Doch was für ein krankes Gottesbild steckt dahinter? Als würde es Gott doch nur um unsere Taten gehen und nicht um unser Vertrauen, unseren Glauben, unser Herz.
Ich vermute, dass es Christus in dieser Geschichte um unseren tatsächlichen Reichtum ging, um unser Geld. Geld hat so eine Macht in der Gesellschaft und das war schon immer so. Es gibt noch einige Bibelstellen