Panik-Pastor. Martin Dreyer
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Ich glaube, dass es auch eine krankhafte Form der Sehnsucht nach Bestätigung durch andere gibt, und ich befürchte, dass ich nicht frei davon bin. Es ist faktisch so, dass ein Misserfolg immer sehr stark an meinem Selbstwertgefühl nagt. Kaum ist der Dienst beendet, dränge ich förmlich danach, positives Feedback zu bekommen. Nicht unbedingt in Form von Händeklatschen oder Jubelrufen. Aber doch so, dass der Veranstalter mir eine nette Rückmeldung geben muss, sonst fühlt es sich nicht gut an. Er muss mir sagen, wie gut es war, was alles passiert ist, wie großartig Gott gewirkt hat, sonst hänge ich emotional in der Luft.
Diese groteske Anspannung nach einer Veranstaltung ist für mich manchmal kaum auszuhalten. Als ich noch in Köln gelebt habe, sind meine Frau und ich regelmäßig in einen Gottesdienst nach Remscheid gefahren. Dort habe ich auch mehrfach in einer Gemeinde predigen dürfen. Die Rückfahrt war für mich immer wie ein großer Selbstwerttest. Trotz zahlreicher Andeutungen, dass ich gerne hören würde, wie ich war, meine Frau wollte partout nicht bei meinem Predigerbeweihräucherungsspielchen mitmachen. »Na, wie fandest du den Gottesdienst heute?«, kam die vorsichtige Frage meinerseits. Und wenn die Antwort zu allgemein ausfiel, musste ich nachhaken. »Und? Wie fandest du die Predigt?« Dieses Spiel haben wir unendlich oft gespielt. Keine Reaktion zu bekommen hieß für mich, ich hatte grandios versagt.
Meine eigene Einschätzung von meinem Dienst liegt immer im Negativen. Nie bin ich zufrieden. Es könnte stets mehr sein. Die mir selbst gelegte Latte liegt immer höher als meine Möglichkeit, sie zu überspringen. Ganz fromm könnte ich auch sagen, dass meine Erwartungen an Gott, meine Hoffnungen, ja, mein Glaube sehr groß sind. Und diese zu hohen Erwartungen werden dann oft von der Realität bitter eingeholt. So laufe ich auch stets mit einer Enttäuschung von Gott herum. Er handelt nicht in dem Maße, wie ich es mir von ihm erbeten haben. Fast immer.
Die Angst war diesmal wieder sehr schlimm. Vor allem ausgelöst durch das plötzliche Aufstehen der Gruppe von Jugendlichen in der Mitte der Predigt.
In der nachfolgenden Zeit hängt mir dieser Gottesdienst noch lange nach. Es muss mir gelingen, das zu leben, was ich auch selbst predige, wovon ich überzeugt bin. Gott ist Liebe. In diesen drei Worten ist das ganze Evangelium zusammengefasst. Alles muss sich dem unterordnen. Jede Forderung, jedes Gesetz, jede Moral. Denn diese Liebe Gottes ist für uns bedingungslos. Und wenn sie bedingungslos ist, dann muss das auch bedeuten: Gott liebt mich, selbst wenn ich versage. Seine Liebe ist an keine Leistung geknüpft und auch nicht an den Erfolg oder Misserfolg einer Predigt. Die Zuneigung Gottes zu mir ist so groß, dass sie jedes Versagen aufsaugen und eliminieren kann. Sie hat die Kraft, mich frei zu machen. Frei von mir selbst, frei von meinem Ego und auch frei von der Angst. Ich muss dahin kommen, dass ich diese Liebe wirklich an mich ranlasse. Sie muss mich ausfüllen und von innen heraus verändern. So steht es doch in der Bibel, oder? Diese biblischen Worte wirken von außen und innen, fast so wie Medikamente. Sie können helfen, aber in diesem Fall sind sie nie ganz tief bis in mein Herz vorgedrungen. Wenn Gott mich liebt, brauche ich eigentlich keine Affirmation von Menschen mehr, so einfach ist das. Und doch ist es so sauschwer umzusetzen und zu glauben.
Im Übrigen braucht jeder Mensch Liebe von anderen Menschen. Das lehrt uns die Psychologie schon viele Jahrhunderte. Wenn ein Mensch keine Zuneigung bekommt, dann wird er schwer krank und stirbt. Der deutsche König und römische Kaiser Friedrich II. machte im 13. Jahrhundert ein barbarisches Experiment. Er nahm Müttern ihre neugeborenen Kinder weg und ließ sie von gedrilltem Personal aufziehen, ohne dass die Kinder auch nur eine Form der Zuneigung durch Worte oder Berührung erfahren konnten. Die Ammen durften die Kinder nicht streicheln, nicht liebkosen, nicht mit ihnen sprechen. Sein Ziel war es herauszufinden, ob diese so behandelten Kindern in eine Art Ursprache zurückfallen, seine Vermutung war, es wäre Hebräisch. Doch das Ergebnis ist bis heute schockierend. Alle Kinder starben. Sie konnten ohne Zuneigung, ohne Liebe durch Worte oder Berührungen einfach nicht existieren. Babys ohne menschliche Liebe sterben.
Ich glaube ganz fest, dass Gottesbilder entscheidend sind für das Lebensglück eines Menschen. Ich habe dazu sogar ein eigenes Buch geschrieben, als mir das bewusst geworden ist. Immer wieder stelle ich bei Christen fest, dass ihre Probleme unmittelbar damit zusammenhängen, dass sie ein ganz schlechtes Bild von Gott haben. Diese Vorstellung versteckt sich hinter frommen Masken, verkleidet mit schönen biblischen Floskeln. Aber es ist trotzdem ein krank machendes Gottesbild.
Ende des 18. Jahrhunderts gab es einen weltweiten Aufbruch in der Christenheit, der im Rückblick den Namen »Heiligungsbewegung« bekam. Diese Bewegung machte sich im sogenannten Pietismus breit, im Rahmen von protestantischen Kirchen und Freikirchen. Das Gottesbild, welches hier propagiert wurde, war eindeutig. Gott ist ein heiliges, überirdisches Wesen, dem man nur begegnen kann, wenn der Christ ebenfalls heilig lebt. Darum Heiligungsbewegung. Mit heilig war ein moralisch einwandfreies Leben gemeint. Wer Gott begegnen wollte, musste in seinen Gedanken, Worten und Taten gemäß eines strikten Moralkodexes leben. Diesen Kodex nahmen die Christen aus Aussagen der Bibel, welche aber meist aus dem historischen und inhaltlichen Zusammenhang gerissen wurden.
So wurde die Bibel zu einer Art Normenregister umgemünzt, zu einem moralischen Gesetzbuch, aber dieses auch nur in eine gewisse Richtung interpretiert. Lachen war Sünde. Alkohol trinken war Sünde. Musik war weitestgehend auch Sünde. In einigen Gottesdiensten im Pietismus durfte keine Musik ertönen. Denn, so glaubte man, Töne und Rhythmus waren weltlich und nicht geistlich, sie stammten aus einer säkularen Quelle und nicht aus einer himmlischen. Ich habe gehört, dass noch vor Jahren Schlagzeuge aus manchen pietistischen Gottesdiensten verbannt wurden, weil man glaubte, Trommeln kämen aus dem Bereich des Voodoo-Zaubers. Mit ihren Rhythmen würde man dunkle Geister anlocken. Gott mithilfe von Schlaginstrumenten zu lobpreisen war für diese Christen schlicht nicht denkbar.
Auch wenn sich die meisten Gläubigen von diesem Bild befreit haben, steckt eine Vorstellung von einem strafenden, allzeit kontrollierenden Gott ganz tief in der DNA des Glaubens. Und die Kirche im Allgemeinen braucht stetig eine neue Revolution der Befreiung von diesen moralischen Normen, die wir uns immer wieder fälschlicherweise setzen. Es ist ein Wagnis, Normen zu hinterfragen. Eine Norm ist ja wie ein Wegweiser, wie eine Mauer, wie eine Begrenzung. Sie sagt uns, was wir tun dürfen und was nicht, und damit gibt sie eine Richtung vor und auch Sicherheit im Denken und Handeln. Hinterfragt man diese Norm, verunsichert das den Menschen. Es muss deshalb sofort eine neue Norm gefunden werden, wenn eine alte stirbt, sonst werden wir nicht glücklich.
Abends denke ich noch viel über diesen Einsatz nach. Bei all dem, was ich im Glauben verstanden habe, ist doch so wenig in meinem Herzen gelandet. Ob ich wirklich der Richtige in diesem Dienst als Prediger bin? Braucht es nicht Menschen, die sich nicht ständig selbst hinterfragen, um diese Aufgabe gut zu erledigen? Ist mein Zweifel nicht auch ein Zeichen, dass ich aus dem Dienst aussteigen sollte? Ist es für den Job in der Verkündigung nicht elementar wichtig, dass man einen auf die Bibel gegründeten, theologisch nicht hinterfragbaren Kanon hat? Bei mir ist ständig etwas im Wandel. Ich weiß nicht, ob ich morgen das noch glauben kann, was heute meinen Glauben definiert. Diese ständige Ungewissheit macht mich krank. Vielleicht führt mein Weg eher aus dem Dienst heraus als in den Dienst hinein. Vielleicht werde ich in absehbarer Zeit aufhören zu predigen und Texte über den Glauben und das Christentum zu schreiben. Die Angst ist unerträglich und vermiest mir den Dienst ganz und gar. Solange ich diese Fessel um meinen Hals habe, macht mir das Predigen keine Freude. Vermutlich brauche ich auch eine Auszeit. Ob ich dann jemals wieder zurückkommen werde, ich weiß es nicht.
WAS ICH VON DIESER REISE MITGENOMMEN HABE
Ich will mir merken, dass äußere Gegebenheiten nicht über mein Selbstwertgefühl