Panik-Pastor. Martin Dreyer

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Panik-Pastor - Martin Dreyer

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Wir kennen uns nicht, aber wir haben eine gemeinsame Veranstaltung vor, die wir nicht allein stemmen können. Es ist eine Art Zweckgemeinschaft, in der man sich mit Respekt und Freundlichkeit begegnen sollte.

      Ich kann wirklich nicht sagen, woran es liegt, aber ich bin schon Stunden vor Beginn wieder extrem aufgeregt und angespannt. Ich kann meine Gefühle nicht verstecken. Mich plagt wieder die Angst vor Menschen, die Angst, auf einer Bühne zu stehen, und wenn es nach mir ginge, würde ich jetzt am liebsten auf den Hacken umdrehen, kehrtmachen und mich ins Bett legen. Wenn das Adrenalin kommt, werde ich auch immer müde. Der Botenstoff verursacht den Wunsch in mir, mich hinzulegen, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu schlafen. Aber das geht nun mal heute nicht.

      Für diesen Abend habe ich mir versuchsweise aus einem Bioladen so eine Art Naturmedikation mitgebracht, die bei Angstzuständen besonders gut helfen soll. In meiner Hosentasche befinden sich vier kleinere Kapseln, die ich vor dem Gottesdienst einnehme. In den Kapseln sollen Baldrian, Melisse und zahlreiche andere Naturprodukte vorhanden sein, die gegen Angstzustände wirken.

      Schließlich beginnt die Uhr zu ticken, die Jugendlichen strömen in die Kirche und es ist, bereits fünfzehn Minuten vor Beginn, sehr voll. Ich gehe noch einmal auf die Toilette und mein Adrenalinspiegel scheint extrem hoch zu sein. Im Spiegel sehe ich plötzlich wieder diese tiefroten hektischen Flecken an meinem Hals, die jetzt sogar bis auf die Wangen hochgehen. Das schockiert mich sehr. Liegt das an den Biotabletten oder woher kommt der überproportionale Ausschlag diesmal? Eigentlich sollte das Mittel doch genau gegenteilig wirken. Die Flecken steigern meine Angst nur noch weiter. Ich sehe am Hals so rot aus wie ein wild gewordener Truthahn. Aber ich muss jetzt in den Kirchenraum, der Gottesdienst geht gleich los. Wie grausam.

      Die Ansage ertönt durch den Lautsprecher: »… und jetzt kommt Martin Dreyer und hält eine Predigt!« Mein Pulsschlag steigt immer weiter, schweren Schrittes komme ich hinter dem Altar auf die Bühne, in der rechten Hand meine Bibel, in der linken meine schriftlichen Notizen. Vor lauter Aufregung vergesse ich dummerweise, die Teilnehmer zu begrüßen, und beginne sofort mit der Bibellesung. Ein Anfängerfehler.

      Es ist diesmal ein Text aus einem Brief des Paulus, den wir ganz am Ende der Bibel finden. Er heißt Kolosserbrief und enthält zentrale Aussagen über Jesus Christus. Für viele Jahre war er mein Lieblingstext aus der Bibel, weil er fast schon euphorisch über Jesus berichtet. Paulus war ein Jesusfan und ich bin es auch.

      Ich beginne zu lesen. »In ihm haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Gewalten oder Mächte: Alles ist durch ihn und zu ihm hin geschaffen; und er ist vor allem, und alles besteht durch ihn. Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang habe« (Kolosser 1,15-18). Dann schließe ich meine Bibel, atme einmal tief durch und wende mich den Zuhörern zu.

      »Jesus ist das Zentrum im Universum!«, rufe ich in die Menge. »Letztendlich dreht sich alles doch nur um ihn!« Jetzt fange ich an, den biblischen Text aus dem Kolosserbrief Vers für Vers auszulegen. Ich erzähle davon, dass mit Jesus alles angefangen hat, die Weltgeschichte und auch das Leben eines jeden Einzelnen, der gerade hier im Raum sitzt. »Wenn es stimmt, dass Jesus der ›Erstgeborene aller Schöpfung‹ ist, war er ja auch von Anfang der Welt an dabei. Und wenn man diesen Gedanken weiterdenkt, muss es auch bedeuten, dass Christus bei der Geburt von jedem Einzelnen dabei war. Daraus leite ich ab, dass jeder Mensch so gewollt ist, wie er ist, und dass wir uns deswegen selbst lieben können. Legt man diese Stelle weiter aus, ist jeder Mensch auch für ihn geschaffen worden. Das heißt, jeder Mensch auf dieser Erde hat einen Auftrag, eine Berufung, wir sind für Gott geschaffen worden, wir sollen für ihn leben.«

      Mitten in meiner Predigt entsteht plötzlich eine große Unruhe im Saal. Ich verstehe nicht, warum, und es verunsichert mich. Plötzlich steht mitten in meinem Satz fast die komplette erste Reihe auf, wendet sich Richtung Ausgang und geht. Die Jugendlichen verlassen mitten in meiner Predigt den Saal, ohne ein Wort zu sagen! Es ist wie ein stiller Protest. Hinten rechts sehe ich ebenfalls ein paar junge Menschen, die gerade aufstehen, ihre Jacken anziehen, und gehen.

      Das Blut schießt in meinen Kopf, ich werde noch roter als rot, die Angst ist voll da. Total perplex schießen mir tausend Fragen durch den Kopf. Was habe ich nur falsch gemacht? Warum gehen die Jugendlichen, noch während der Gottesdienst läuft? Habe ich etwas Peinliches gesagt? Ist es mein Äußeres, fettige Haare, falsche Kleidung? Oder ist meine Predigt einfach viel zu langweilig? In meinen Gedanken rotiert es, aber ich finde keine Antwort auf meine Fragen. Dabei versuche ich natürlich weiter Sätze zu formulieren und meinen Vortrag so gut es geht fortzuführen. Die Angstattacke hört aber nicht auf, sie wird sogar immer heftiger. Mit knallrotem Kopf stehe ich vorn und versuche krampfhaft mein Programm durchzuziehen. Auf meiner Stirn steht der Angstschweiß, und ich bin mir sicher, jeder kann es sehen. Jeder. Satz um Satz ringe ich mit meiner Fasson. Langsam beginnt auch meine Stimme zu zittern, die Worte bleiben mir buchstäblich im Halse stecken. Irgendwie komme ich zum Ende, unterlasse es aber, einen Aufruf zum Gebet zu machen, obwohl das vorher abgemacht war, und verlasse, schweißgebadet und innerlich vollkommen zerstört, die Bühne. Noch ein Abschlusslied, dann ist der Gottesdienst endlich vorbei.

      Nach einer relativ kurzen Verabschiedung von den Veranstaltern vor der Kirche mache ich mich umgehend auf den Rückweg. Schließlich sitze ich in der Bahn und versuche das Geschehene irgendwie zu analysieren. Mich lässt die Frage nicht mehr los: Was habe nur ich falsch gemacht? Warum sind die jungen Menschen plötzlich aufgestanden? Was habe ich nur gesagt, dass so viele Jugendliche den Saal verlassen haben? Krampfhaft überprüfe ich Satz für Satz mein gesamtes Manuskript, kann aber keine kompromittierende Stelle finden. Es gibt nichts, was so eine Reaktion hätte erklären oder rechtfertigen können. Ich komme zu dem Schluss, dass es nicht an der Auswahl meiner Worte gelegen haben kann. Auch vom Inhalt her war eigentlich alles in Ordnung. Es kam nichts zur Sprache, was jemanden derart vor den Kopf hätte stoßen können, dass er den Gottesdienst aus Protest verlassen muss. Es ist mir ein Rätsel.

      Die bohrenden Fragen, die ich von vielen anderen Diensten her kenne, lassen mich auf der gesamten Zugfahrt nicht los. Wenn es nicht gut gelaufen ist, überströmt mich der Selbstzweifel. Nach einer Predigt erlebe ich immer einen Kampf mit mir selbst, der begleitet wird von kritischen Fragen an mich. Tue ich diesen Dienst für die Menschen oder tue ich ihn für Gott? Oder tue ich ihn doch nur für mich und mein eigenes Ego? Es ist eine Frage nach meiner Motivation. Im Grunde ist es doch so, dass ich mich meist viel zu wichtig nehme. Es geht zu sehr um mich und zu wenig um Gott, um seine Sache und auch um die Zuhörer. Ich will diesen Dienst für Gott tun, aber mein Ego steht mir immer wieder im Weg. Es bläht und plustert sich auf wie ein Gockel, der sich wichtiger nehmen will, als er eigentlich ist. Wenn ich mich selbst nicht so ernst nehmen würde, hätte ich vermutlich auch keine Angst. Aber die Angst hat mich diesmal fast umgebracht. Es war der reine Horror.

      Ich glaube, dass kaum ein Prediger frei von diesem Kampf um Anerkennung ist. Man kann sie ja vorne gut beobachten, die Männer und Frauen Gottes. Mir ist noch keiner untergekommen, bei dem ich das Gefühl hatte, er wäre komplett selbstlos. Niemand steht da vorne auf der Bühne und ist frei von den Reaktionen, die aus der Menge kommen. Spätestens wenn der Prediger oder die Predigerin kritisiert wird, kann man sehen, wie weit es um die Selbstlosigkeit des Agierenden steht. Wer sich selbst immer wieder krampfhaft verteidigt, steht nicht gut da. Und ich bin einer davon.

      Natürlich gibt es Ausnahmen in der Kirchengeschichte. Franz von Assisi, vielleicht sogar der neue Papst, wer weiß. Aber die Regel ist: Jeder Mensch, der sich auf einer Präsentationsfläche exponiert, darstellt, etwas von sich

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