Panik-Pastor. Martin Dreyer

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Panik-Pastor - Martin Dreyer

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Herz nicht an Geld hängen sollen, nicht an Besitz und Reichtum. Es ist die kleine Perle, die wir so gerne haben wollen, die wir unbedingt brauchen, sie ist letztendlich viel mehr wert. So würde ich es heute auslegen und verstehen.

      Im Rückblick tut es mir sehr leid, wenn durch meinen Dienst Jugendliche unter einen moralischen Druck gekommen sind. Ich bin kein konservativer Christ. Ich möchte junge Menschen ermutigen, sich von dem Druck zu befreien und die Freiheit zu entdecken, die der Glaube an einen Gott schenken will. Wir sind zur Freiheit berufen, so steht es in der Heiligen Schrift.

      Auf dem Rückweg denke ich noch weiter über den Gottesdienst nach. Mir wird deutlich, dass ich so eine Predigt nicht noch einmal halten würde, auch wenn es sich in der Situation richtig angefühlt hat. Ob es jetzt für die Gemeinde in Chemnitz falsch gewesen ist, ich weiß es nicht. Vielleicht hat es einigen wirklich geholfen. Die Reaktion der Jugendlichen war ja überwältigend groß. Nur möchte ich nicht mehr Menschen zu einem Glauben führen, der letztendlich nur ein gutes Gefühl gibt, wenn man alles richtig macht. Sich nur aufgrund guter Taten, guter christlicher Werke gut zu fühlen führt auf Dauer nur zu einem enormen moralischen Druck.

      WAS ICH VON DIESER REISE MITGENOMMEN HABE

      Eine Gemeinde braucht nur einige wenige Menschen, die eine Vision haben, dann kann daraus etwas Großes entstehen. Moral im engeren Sinne hat die Kraft, Menschen innerlich kaputt zu machen. Ich möchte niemand sein, der Jugendliche geistlich und moralisch unter Druck setzt. Mein eigenes Leben war in dem Sinne auch nie von hohen moralischen Werten geprägt. Ich wollte als höchstes Gut immer nur die Liebe propagieren. Der Liebe muss sich alles unterordnen, auch die Moral. Und diese Botschaft der Liebe, die über den christlichen Glauben weit hinaus funktioniert, soll auch meine Predigt werden, für die ich bekannt bin. Bekannt in der Kirche, aber auch darüber hinaus. Und ich stelle fest, dass ich auf Jugendveranstaltungen nicht immer einwandfrei funktioniere. Meine Ängste stehen mir immer wieder im Weg, sie behindern mich, sie lähmen mich. So wie es auch auf der folgenden Reise in Essen noch viel zerstörerischer passiert ist.

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      2

      ESSEN

      November 2009

      Warum gehen die Kids? Großer Jugendgottesdienst in der Essener City

      Heute geht es mit dem Auto von Köln aus in den Pott. Essen liegt mitten in der Metropolregion Deutschlands, dem Rhein-Ruhr-Gebiet, und wird oft als heimliche Hauptstadt dieser Region gefeiert. Es ist die viertgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens und einige große Dax-Konzerne haben dort ihre Zentralen eingerichtet. Insider bezeichnen Essen auch als das Entscheidungszentrum der deutschen Wirtschaft. Was hier beschlossen wird, beeinflusst das ganze Land.

      Doch der christlichen Kirche in Essen geht es nicht gut. Die Katholiken haben in den letzten fünfzig Jahren die Hälfte aller ihrer Mitglieder verloren. Und um die evangelische Kirche ist es auch nicht viel besser bestellt. Dort treten seit einer Dekade über tausend Menschen pro Jahr aus. So erzählen es mir die aktuellsten Statistiken.

      Wenn man nun darauf schließen möchte, dass die Freikirchen dafür einen großartigen Boom verzeichnen können, liegt man falsch. Die Mitgliederzahlen dieser von der Kirchensteuer unabhängigen Organisationen stagnieren im Ganzen gesehen ebenfalls. Bedeutet: Die Kirchenaustritte der zwei großen Konfessionen führen nicht zu einem zu erwartenden Wachstum der religiösen Konkurrenz, nämlich der kleineren Freikirchen.

      Diesen Vorgang, einen Mitgliederaustausch zwischen den Kirchen einer Stadt, nennt man übrigens auch spöttisch »Churchhopping«. Christen wechseln von einer Gemeinde in die andere, wodurch einzelne Kirchen für eine Zeit stark wachsen, andere schrumpfen. Jahre später zieht der Strom der »Churchhopper« dann weiter, nämlich zur nächsten neuen, hipperen Kirche. Auf diese Art findet kein echtes Wachstum der gesamten christlichen Welt statt, sondern eher ein Art Transferwachstum. Dieses Phänomen kann man übrigens auf der ganzen Welt beobachten.

      Es ist als freier Prediger selten, dass man im Dienst Menschen kennenlernt, die dann auch zu engen Freunden werden. Aber hier in Essen ist das der Fall. Martin Scott und ich hatten uns schon vor vielen Jahren zum ersten Mal getroffen und waren sofort »ein Herz und eine Seele«. So eine Art Seelenverwandtschaft verbindet uns, eine innere Verbundenheit, die man gar nicht in Worte fassen kann. Mit ihm muss ich nur einmal im Jahr ein Telefonat führen, aber es ist sofort eine einzigartige Nähe und Sympathie zueinander da. Seine ganze Art zu reden, die kritische Direktheit, gepaart mit echter Wertschätzung, das mag ich an ihm.

      Dazu ist Scott auch ein echter Visionär. Mit seinem Verein »Wunderwerke« entwickelt er kreativ neue Ideen für die Jugendarbeit und setzt diese auch fast immer erfolgreich um. Angestellt über einen freien Träger macht er eine hervorragende Jugend- und junge Erwachsenenarbeit, die seinesgleichen in Deutschland sucht.

      Angefragt werde ich nun, auf einem von ihm organisierten überregionalen Jugendgottesdienst die Predigt zu halten. Der Gottesdienst ist über die Grenzen Essens hinaus bekannt, und die Besucher fahren zum Teil lange Strecken, nur um diesen einen Event besuchen zu können. Scott arbeitet schon viele Jahre in der Jugendarbeit in dieser Region Deutschlands und kennt seine Leute daher sehr gut.

      Ansonsten erwartet mich in Essen eine in jeder Hinsicht ganz normale christliche Jugendveranstaltung. So eine, wie ich sie landauf und landab schon Hunderte Male erlebt habe. Der Ablauf folgt fast immer der gleichen schon geschilderten Blaupause. Es gibt eine Zeit für Ansagen, ein Anspiel, einen längeren Musikteil und natürlich eine Predigt. Hier und da wird gebetet, eine Erklärung abgegeben, das war es.

      Eine Besonderheit in Essen ist aber, dass dieser »Jugo«, die geläufige Abkürzung für Jugendgottesdienst, auch in einer alten Kirche veranstaltet wird. In Westdeutschland erlebe ich das immer seltener. Oft mieten sich die Gemeinden hier für Jugendveranstaltungen andere Räume im Ort, weil viele junge Menschen nicht mehr gerne in eine alte Kirche gehen wollen. Zum Beispiel die Stadthalle, eine größere Kneipe oder sogar eine Disco.

      Nachdem wir uns herzlich begrüßt haben, werde ich in den Mitarbeiterraum der Kirche geführt. Hier sitzen an die fünfzehn junge Erwachsene, die den Gottesdienst über viele Wochen minutiös geplant und vorbereitet haben. Ich mag diese Atomsphäre von Geschäftigkeit und Vorfreude sehr.

      Als eingeladener »Starprediger« spüre ich wieder so eine künstliche Distanz zu den Menschen vor Ort. Es gibt nach meiner Erfahrung unterschiedliche Kategorien, wie einem Prediger von außerhalb begegnet wird. Die einen Veranstalter verhalten sich extrem locker, sie versuchen, so auf mich zu wirken, als wären sie sehr entspannt. Vielleicht denken sie, dass man mir zeigen muss, wie frei man ist, weil ich das so erwarte. Da werden Sprüche geklopft, Witze gemacht, man schlägt mir mehrfach auf die Schulter, nur um locker auf mich zu wirken. Aber es fühlt sich auf meiner Seite eher künstlich an, nicht echt, unentspannt, verkrampft.

      Das andere Extrem ist aber wesentlich anstrengender. Das sind die Menschen, die denken, sie müssten mit solch einem christlichen Semipromi wie mir besonders kalt umgehen. Vermutlich wollen sie nicht dabei mitmachen, wenn dem »Star des Abends« gehuldigt wird, deswegen tun sie genau das Gegenteil. Ich werde unfreundlich begrüßt, missachtet, in der Ecke stehen gelassen, gemieden, angeschwiegen, wie Luft behandelt, so als hätte ich das verdient. Dabei zeugt es nur von der großen Unsicherheit dem Prediger gegenüber, weiter nichts. Das Gleiche erleben übrigens bekannte

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