Captain Future 09: Jenseits der Sterne. Edmond Hamilton
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2. Kapitel: Ein kosmisches Geheimnis
In ihrem einzigartigen Zuhause unter der Mondoberfläche hielten die vier bedeutendsten Wissenschaftsabenteurer ihrer Zeit eine Konferenz ab. Curt Newton hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt, und durch das Glassit-Oberlicht fiel gedämpftes Sonnenlicht auf das von vielen Raumreisen gebräunte Gesicht. Seine Stimme war ruhig, fast beiläufig.
»Jetzt wisst ihr also Bescheid«, beendete er seine Rede leise. »Die Atmosphäre des Merkurs muss erneuert werden, denn sonst hören diese Zwangsumsiedlungen niemals auf, bis zum bitteren Ende. Ich habe mein Wort gegeben, dass wir eine Lösung für dieses Problem finden werden.«
»Aber du hast uns immer noch nicht gesagt, wie du das eigentlich anstellen willst«, stellte Otho fest.
Der Androide, rastlos wie immer, war während Curts Rede unaufhörlich auf und ab gelaufen. Das Zimmer, in dem sie tagten, war groß; der größte Raum in dieser unterirdischen, in den Fels geschlagenen Anlage unterhalb des Kraters Tycho. Wohin man auch sah, erblickte man Teleskope, Generatoren, Transformatoren und sonstige technische Ausrüstung von verwirrend komplexer Bauart. Es handelte sich um das Hauptlabor der Futuremen.
Die beiden anderen Mitglieder von Captain Futures berühmtem Gefährtentrio hatten ihm aufmerksam gelauscht. Sie waren ein noch eigenartigerer Anblick als Otho. Einer von ihnen war Grag, ein Roboter, und der andere war Simon Wright, das lebende Gehirn.
Grags gewaltige Gestalt zog stets alle Blicke auf sich. Er war ein metallener Riese, über zwei Meter groß, und seine gewaltigen Arme und Beine verfügten über ungeheure Kräfte. Der gewölbte Kopf mit den glühenden fotoelektrischen Augen und dem lippenlosen Stimmresonator barg ein schwammartiges Metallgehirn, das sich in Verstand und Geist durchaus mit dem eines Menschen messen konnte.
Der dritte Futureman war eine ganz andere Erscheinung. Streng genommen besaß er gar keinen eigenen Körper. Früher einmal war er Dr. Simon Wright gewesen, einer der besten Wissenschaftler der Erde. Als er alt und krank und sein Tod unausweichlich wurde, war sein Hirn operativ aus seinem sterbenden Körper entfernt und in den rechteckigen Kasten aus durchsichtigem Metall implantiert worden, den er jetzt bewohnte. Innerhalb dieses Kastens zirkulierten verschiedene Flüssigkeiten, die ihn am Leben hielten, und auf der Vorderseite befanden sich Stielaugen, Mikrofon-Ohren und ein Stimmresonator zum Sprechen, außerdem mehrere Transportstrahl-Düsen, mit deren Hilfe er sich ausbalancieren und bewegen konnte.
»Otho hat recht«, sagte das Gehirn mit seiner monotonen, blechernen Kratzstimme. Seine Stielaugen richteten sich auf Curts Gesicht. »Du hast doch sicher irgendeinen Plan im Hinterkopf, Junge.«
Captain Future zögerte. »Ich habe einen Plan. Ihr haltet ihn aber vielleicht für ein bisschen abenteuerlich …«
»Lass hören«, dröhnte Grag. Die Stimme des riesigen Roboters ließ überall im Labor kleinere Instrumente erzittern.
Curts graue Augen waren von großem Ernst erfüllt. Im Grunde seines Herzens war er ein Idealist. Unter seiner Vorliebe für riskante Abenteuer und seinem Humor verbarg sich die tiefe Überzeugung, dass sein Leben einer Bestimmung geweiht war – dass er die Kräfte, die ihm dank der einzigartigen Umstände seiner Geburt und seiner ungewöhnlichen Erziehung zur Verfügung standen, zum Wohl der Bevölkerung des Sol-Systems einsetzen musste.
»Es geht ja nicht nur um den Merkur. Ja, heute ist es der Merkur, der um sein Überleben kämpft, weil seine Atmosphäre zusammenzubrechen droht. Aber irgendwann werden die Bewohner anderer Planeten den gleichen Schwierigkeiten gegenüberstehen. Und diesem Problem ist durch die Notlösungen, die schon dem Merkur nicht helfen konnten, nicht beizukommen. Der Versuch, durch chemische Umwandlung Sauerstoff aus bestimmten Mineralien zu gewinnen, ist ein Fehlschlag.
Was wir brauchen …« Mit leuchtenden Augen sah er in die Runde. »Was wir brauchen, ist eine Methode, um unbegrenzte Mengen Sauerstoff und Wasser aus dem Nichts zu gewinnen. Und ich glaube, ich habe eine Idee, wie wir das bewerkstelligen können.«
Simon Wright lauschte Curts Worten mit einem eigenartigen Stolz. Für das Gehirn und auch die beiden anderen Futuremen war Curt nicht nur Anführer, sondern auch Sohn. Die drei nichtmenschlichen Geschöpfe hatten ihn aufgezogen, hatten miterlebt, wie aus dem hilflosen Baby von einst der außerordentlich bemerkenswerte Mann wurde, der heute vor ihnen stand.
Vor vielen Jahren war Roger Newton, ein junger Wissenschaftler von der Erde, zum Mond gereist, gemeinsam mit seiner jungen Braut und seinem Kollegen Simon Wright. Gemeinsam hatten sie diese unterirdische Anlage erbaut, die zugleich als geheimes Labor und als Heimstatt diente. Und hier hatten sie ihr großes Experiment in Angriff genommen: Die Erschaffung künstlicher Intelligenz. Hier war Grag erschaffen worden, der intelligente Roboter, und Otho, der synthetische Mensch. Hier war Curt Newton geboren worden.
Und genau in diesem Labor waren bald darauf Curtis Newtons junge Eltern von Feinden brutal ermordet worden. Gemeinsam hatten das Gehirn, der Roboter und der Androide das Waisenkind aufgezogen, hier in ihrer Festung auf dem kargen, luftlosen Trabanten. Hatten ihm eine Bildung von unvergleichlicher Tiefe und Komplexität zukommen lassen. Diese Bildung und sein ererbter Verstand hatten aus dem jungen Curt Newton den unerschrockenen, brillanten Wissenschaftsabenteurer und Kreuzritter gemacht, den man im ganzen Sonnensystem als Captain Future kannte.
»Du willst unbegrenzte Mengen Sauerstoff und Wasser aus dem Nichts gewinnen?«, wiederholte Otho ungläubig. »Wie im Namen der Sonne willst du das anstellen?«
»Materie«, erinnerte ihn Curt, »ist im Wesentlichen Elektrizität. Elektronen sind Teilchen, die zugleich Bestandteil immaterieller Elektrizität sind. Warum also sollte man nicht aus Elektrizität Materie gewinnen können?«
»Kann ja sein, dass das theoretisch ginge«, brummte Grag, der nicht überzeugt klang. »Aber getan hat das noch nie jemand.«
»Noch kein Wissenschaftler, das ist richtig«, korrigierte ihn Curt ruhig. »Aber geschehen ist es bereits, und es geschieht jetzt, während wir uns unterhalten, und zwar durch das Wirken der Natur.«
Er deutete durch das Oberlicht in den Himmel empor. Das Fenster rahmte einen Kreis voller brennender Sterne und leerem Raum ein, in dem groß und blau die Erde schwamm und die hell gleißende Sonne.
»Inmitten unserer Galaxie mit all ihren Sternen, Tausende Lichtjahre weit fort, wird unablässig Materie aus elektrischer Energie gewonnen, und zwar in gewaltigen Mengen.«
»Sprichst du von der Wiege aller Materie?«, schnarrte das Gehirn verblüfft. »Dem Ort, wo Materie geboren wird?«
Curt nickte. »Genau daran habe ich gedacht, Simon. Wenn wir die Geheimnisse dieser Wiege der Materie ergründen könnten …«
»Was für eine Wiege? Wovon redest du denn da, Chef?«, grollte der riesige Grag ratlos.
Curt antwortete mit einer Frage: »Kennst du die Theorie, die Millikan damals im 20. Jahrhundert aufgestellt hat und die später bewiesen wurde – die Theorie vom zyklischen Wechsel zwischen Strahlung und Materie?«
»Na klar, das weiß sogar ein dämlicher Roboter wie Grag«, mischte sich Otho ungeduldig ein. »Die Materie der Sonnen unserer Galaxie schmilzt beständig dahin und verwandelt sich in Strahlung, Hitze und anderweitige elektromagnetische Energieformen. Eine Zeitlang glaubte man, dieser Prozess würde sich fortsetzen, bis sämtliche Materie verschwunden ist. Dann erriet Millikan die Wahrheit. Dass nämlich irgendwo in der Galaxis ein Punkt existiert, an dem Strahlung auf irgendeinem Wege wieder in Materie retransformiert wird und die sogenannte kosmische Strahlung sozusagen der ›Geburtsschrei‹