Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Abschied von Askalon - Eva Rechlin

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den Papyrus und begriff, daß eine Sterbende ihn vollgekritzelt hatte, deren Kraft sich von Zeile zu Zeile sichtlich erschöpft hatte. Und die schwachen, zittrigen Zeilen verschwammen vor Deboras Augen, weil ihr unwillkürlich die Tränen kamen und sich in ihr zum ersten Mal überhaupt ein Gefühl für die ferne Verwandte in Alexandria regte. O gnädiger Gott, in was für ein Leben läßt Du mich blicken! In meinen Gedanken lebten die reichen Schwestern in Überfluß und Glück, in endlosen Freuden, märchenhaft glanzvoll, herrlich und zufrieden! Aber der Brief war noch nicht zu Ende, Debora wollte auch vom letzten Absatz das Nötigste begreifen. Es war die Rede von den Kindern, »Koras Kindern«, die Samuel nach Alexandria bringen solle… stand das wirklich dort? Nach meinem Tod – Koras Kinder – nach Alexandria – Agatha nicht allein lassen.

      Debora war plötzlich, als brenne der Papyrus in ihren Händen. Sie horchte ängstlich ins finstere Haus und nach oben zum offenen Dachgeschoß. Alles war still… Sie wollte den Brief auf der Stelle loswerden, er machte ihr Angst. Wie hatte sie sich in kindlicher Neugier hinreißen lassen, ihn überhaupt zu öffnen? Fahrig rollte sie den kostbaren Papyrus zusammen, und das Siegel fiel ihr wieder ein. Noch war es ganz. Sie mußte den Papyrus noch einmal auf- und anders wieder zurollen, bis das Siegel an seine ursprüngliche Stelle paßte. Aber wie es befestigen? Es war nicht aus Harz oder Lack, die Flamme des Öllämpchens also keine Hilfe. Debora versuchte es mit Speichel, doch der Ton war längst zu trocken. In der Not fiel ihr nichts Besseres ein, als es mit einer Fingerspitze Mehl aus Miriams Vorratskrügen zu versuchen. Wenigstens bis morgen oder übermorgen mußte es halten! Sie rieb den Brei aus Speichel und Mehl unter das halbe Tonsiegel und preßte es mit den Handballen ein Weilchen zusammen. Dann ließ sie vorsichtig los. Dem Himmel sei Dank, es hielt! Unsicher schob Debora die Papyrusrolle zurück in die Botentasche, die sie neben der Versorgungstasche von Thomas verstaute. Im flackernden Lichtschein hatte sie auf dem Grund der Tasche funkelnde Geldstücke gesehen. Viel mußte der reichen Tante Angela daran gelegen haben, ihren Boten auf dem schnellsten Wege zu Bruder Samuel zu schicken. Und Samuel, dachte Debora, ist unser Vormund. Er wird eine Entscheidung fällen müssen.

      »Gütiger Gott, entscheide Du und laß auch mich in dieser Nacht fest schlafen.« Sie löschte die Ölflamme, und plötzlich fürchtete sie sich.

      Debora verbrachte die Nacht überwiegend schlaflos, nur für Minuten sackte sie in wilde Träume ab, aus denen sie um so ratloser wieder aufwachte. Nun gut, sie hatte sich von einer ihr jetzt unheimlichen Neugier verleiten lassen, einen fremden Brief zu lesen. Sie hatte erfahren müssen, daß es in dem Brief unter anderem auch um sie und ihren Bruder Tobija ging, um Koras Kinder. Durch ihre Mutter war sie mit der Absenderin des Briefes verwandt, doch nie hatte Debora den frühzeitigen Verlust der Mutter so schmerzlich empfunden wie in dieser Nacht! Mit ihr hätte sie jetzt offen sprechen, ihre Neugier, den Verrat an der Vertrauensseligkeit anderer, beichten können, aber ihre Mutter war seit zwei Jahren tot. Und Tobija, der sich gerade durchgerungen hatte, zu den Fischern in die Lehre zu gehen und der so impulsiv reagieren konnte, ihm durfte sie sich nicht anvertrauen.

      Unruhig wälzte sie sich hin und her, und ein Entschluß wuchs in ihr und stand bis zum Morgen fest: Sie würde dabei sein wollen, wenn Samuel diesen Brief aus Alexandria erhielt und ihn öffnete. Sie mußte wissen, ob er bemerkte, daß der Papyrus geöffnet worden war! Allein deshalb wollte sie darauf bestehen, den jungen Boten aus Ägypten zu begleiten, wenn er Samuel entgegenziehen wollte. Debora sah die Sterne bereits verblassen, als sie noch einmal und endlich tiefer einschlief. Sie würde den Schlaf brauchen, um ihre Absicht durchzusetzen.

      Auf der Suche

      Pünktlich wie jeden Morgen vor Sonnenaufgang krähten Miriams Hähne. Schlagartig wurde es auf den zwei Flachdächern munter. Tobija fiel auf, daß seine Schwester, sonst als erste auf den Beinen, fest weiterschlief, ausgerechnet an einem für ihn wichtigen Tag. Er rüttelte sie an der Schulter:

      »He, Debora, aufwachen! Soll das ein Spaß sein, Schwesterchen?« Nur mühsam kam sie zu sich, blinzelte ihn sekundenlang verständnislos an, um im nächsten Augenblick zu fragen:

      »Ist er schon weg? Ich muß mit ihm!«

      Tobija lachte arglos:

      »Ich bin noch nicht fort, natürlich gehst du mit mir zu den Fischern, wenigstens beim ersten Mal!«

      »Wieso mit dir? Der Bote aus Ägypten – mit ihm muß ich gehen, Samuel entgegen. Er ist doch noch da?«

      »Wie kommst du auf sowas? Er ist ein Bote, also erfahren mit Straßen und Wegen. Außerdem kennt er Samuel…« Sie hatte sich schnell aus ihrer Schlafdecke gewickelt, den Gürtel um die Tunika gelegt und lief bereits die schmale Treppe hinab in den Hof. Tobija blickte ihr verblüfft nach. Wie konnte Debora, eben noch in tiefstem Schlaf, zu einem derartigen Entschluß kommen? Thomas begleiten! Etwas mußte vorgefallen sein, und er, ihr engster Vertrauter, hatte es nicht bemerkt. Obwohl sie wußte, was dieser Tag für ihren Bruder bedeutete, schien ihr etwas anderes wichtiger zu sein – plötzlich war er alarmiert und rannte hinter ihr her nach unten. Auf der letzten Treppenstufe hielt Sebastian ihn auf:

      »Was ist los? Erst rast Debora ohne Gruß und Kuß an uns vorbei… Solltet ihr nicht längst im Hafen bei den Fischern sein? Sie werden vom Fang zurückkehren und…«

      »Und Debora hat es verschlafen! Ja, ich auch. Sie will mit dem Boten nach Joppe gehen! Wißt ihr davon? Ausgerechnet heute!«

      Vom Hof her hörte sie Debora mit Thomas reden, den sie wohl eben erst geweckt hatte, denn seine Stimme klang verschlafen, und er gähnte mehrmals laut. Kopfschüttelnd fragte Vater Sebastian:

      »Warum will Debora mit dem Boten gehen? Hat sie dir das gesagt, Tobija?«

      »Kein Wort.«

      »Laß mich den Gast zum Frühstück hereinbitten, vielleicht ist ja alles nur ein Hirngespinst.«

      Nein, es war kein Irrtum. Ihre Begründung, warum sie den Boten begleiten wollte, klang halbwegs einleuchtend:

      »Ich weiß, in welchen Gehöften und Zelten, bei welchen Freunden er einkehrt, das weiß Thomas nicht. Also wird er mich brauchen können.« Natürlich hielten sie ihr dagegen: »Unmöglich, daß ein junges Mädchen allein mit einem fremden Mann fortgeht!« Selbst Thomas sagte ihr das. Schweigend hörte Tobija eine Weile zu. Es wirkte absolut launenhaft und unvernünftig, wie sich Debora an diesem Morgen aufführte, das paßte nicht zu ihr. Allein, daß sie die besondere Bedeutung dieses Tages für den Bruder völlig zu vergessen schien, obwohl sie deswegen allesamt gestern abend gefeiert hatten – nein, das paßte nicht zu ihr. Ihm entging nicht, daß auch Miriam das normalerweise vernünftige Mädchen mit eigenartigem Gesichtsausdruck beobachtete – nachdenklich, ahnungsvoll. Zwei, dreimal glitten ihre Blicke zu der Sitzbank, unter der die beiden Taschen des Boten über Nacht verwahrt worden waren. Schließlich bückte sich Miriam, zog die Taschen hervor und legte sie auf die Steinbank. Augenblicklich verstummte Deboras Redeschwall. Das hätte verräterisch wirken müssen, hätte nicht sofort Miriam das Wort ergriffen. Sachlich stellte sie fest:

      »So oder so müssen wir die Versorgungstasche mit neuem Proviant füllen. Bringt Brot her, Kinder, und von dem frischen guten Käse. Und Äpfel!« Debora fand die Sprache wieder:

      »Meinen Vorrat trage ich selber im Beutel. Ich brauche nicht so viel wie ein Mann.«

      »Damit dürften wir meinen ersten Lehrtag bei den Fischern wohl abschreiben?« meldete sich nun Tobija zu Wort. »Denn natürlich kann ich, als älterer Bruder, meine Schwester nicht allein mit einem Fremden ziehen lassen. Das ist wohl klar, oder? Ich gehe mit.« Fragend blickte er sich um. Miriam und Sebastian sahen sich ratlos an, als liefe etwas schief, das sie im Grunde zu verantworten hatten, und Sebastian fragte Tobija schließlich:

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