Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Abschied von Askalon - Eva Rechlin

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dem hitzigen Jungen mit der Hand beschwichtigend über den lockigen Schopf und wandte sich lächelnd Thomas zu: »Ein guter Platz für ein Nachtlager.«

      Debora ließ die beiden Männer nicht aus den Augen. Auf einmal fühlte sie sich unbehaglich. Was sollte sie tun, wenn Samuel bemerkte, daß an dem Briefsiegel hantiert worden war? Samuel zu belügen, das würde sie nicht fertigbringen.

      Sie durfte sich kein Wort, keinen Blick entgehen lassen. Im Augenblick war ihr das wichtiger als der sicher folgenschwere Briefinhalt.

      Thomas, der seine Botentasche die ganze Zeit bei sich getragen hatte, reichte sie Samuel halb offen und sagte:

      »Außer einem Brief auch Geld, einfach eine Handvoll in die Tasche geworfen, nicht gezählt. Ich habe davon nur das Nötige für die Schiffspassage bis Gaza genommen. Von dort bin ich gestern gleich weitergelaufen und kam abends in Askalon an.«

      »Ein Brief von den Schwestern Eugenios also?«

      »Nicht von beiden Schwestern, nur von Angela. Obendrein in größter Hast und Heimlichkeit. Sie war verschleiert, aber ich erkannte sie.«

      Ruckartig blieb Samuel stehen und fragte, plötzlich heiser: »Nur von Angela? Heimlich? Bist du sicher, daß Agatha nichts davon weiß?«

      »Ganz sicher.«

      »Gib mir den Brief!« Sie hatten den Lagerstein noch nicht ganz erreicht. Samuels Hände zitterten, als er die Papyrusrolle aus der Hand von Thomas nahm. Er verschwendete nicht ein Sekunde daran, das Siegel zu prüfen. In höchster Ungeduld riß er es einfach ab, ließ es achtlos auf den sandig-steinigen Wadigrund fallen und rollte den Papyrus mit gestreckten Armen vor seinen Augen auf. Debora, erlöst und dankbar, stand halb hinter Samuel und starrte auf die griechischen Buchstaben, die in so ungewohnter Sprache redeten. Plötzlich begann die Schrift vor ihr auf und niederzutanzen, aber nicht ihre kurze Schwäche war daran schuld, sondern das Zittern von Samuels Händen, während er mit sichtlich wachsender Erschütterung den Brief las. Mit Schrecken sah Debora, wie sich der große, kluge, allzeit gefaßte, stets Trost wissende Mann vor ihren Augen in ein Häufchen Elend verwandelte und auf dem Stein, zu dem sie ihn geführt hatte, in sich zusammensank. Und zum ersten Mal sah sie Samuel weinen. Die Tränen quollen über seine staubigen, braunen Wangen, versickerten in Falten und Barthaaren, und er tat nichts, um sie zu verbergen, als wüßte er nicht einmal, daß er weinte. Debora legte sanft ihre Hand auf sein Knie, aber sie wußte nicht, wie sie ihn trösten könnte. Wenn er doch selber keinen Trost wußte, er, Samuel!

      Daß auch sie weinte, merkte sie erst, als er den Papyrus sinken ließ und die Hand nach ihr ausstreckte, um ihr die Tränen vom Gesicht zu streicheln.

      »Ist es so schlimm?« stammelte sie.

      »Sie ist tot«, flüsterte er schluchzend, »ich weiß es. Tot!« Er schloß die Augen, und Debora fürchtete, er könnte hintenüber vom Stein stürzen. Kaum hörbar bat er:

      »Laß mich allein, Kind. Nur ein Weilchen.«

      »Ja, Samuel.«

      Sie stand auf, um das Nötigste für ein Nachtmahl vorzubereiten. Und während der geübten Handgriffe kam ihr Verstand wieder in Gang, und sie dachte: Wie kann eine Tote einen Brief schreiben, ihn sogar noch auf den Weg bringen? Wie sehr muß Samuel jener ihr so fremden Frau verbunden sein, daß er ihren Tod über solche Entfernung hinweg erraten, ja spüren kann? Kann Liebe so machtvoll sein? Also mußte auch er Angela lieben. War es das, was Samuel so erschütterte? Das Geständnis ihrer Liebe zu ihm. Samuel weinte noch immer. Er saß jetzt vornübergebeugt auf dem Stein, das Gesicht in beide Hände vergraben. Der Anblick seines Schmerzes tat ihr weh.

      Tränenblind tastete sie nach Steinen für die Feuerstelle. Dabei merkte sie nicht, daß Thomas mit einem Bündel trockener Äste und angeschwemmter Holzstücke neben sie trat. Sie schrak auf, als sie ihn leise fragen hörte:

      »Ist es eine so böse Nachricht?«

      Gleichfalls mit Brennholz beladen, kam von der anderen Seite Tobija. Auch er wagte kein lautes Wort:

      »Was ist passiert?«

      Debora wischte sich mit dem Saum ihrer wadenlangen Tunika Augen und Wangen trocken und flüsterte:

      »Ihr seht ja, wie weh es ihm tut. Er sagte: Sie sei tot! Aber kann eine Tote einen Brief schicken? Es muß noch etwas anderes sein…«

      »Soll ich zu ihm?« fragte Thomas.

      »Er wollte allein sein. Er wird sich selber rühren. Legst du das Feuer, Thomas?«

      »Erst wenn es dunkel wird. Es ist noch zu früh.«

      »Wer ist tot?« fragte Tobija.

      »Unsere Tante Angela, der Brief ist von ihr. Aber sie hat ihn dir doch gegeben, Thomas?«

      »Ja, allerdings unter merkwürdigen Umständen, völlig anders als sonst.«

      »Du warst schon öfter bei ihnen?«

      »Ja, seit ich Kurier bin, nutze ich in Alexandria jede Gelegenheit, mich an der Katechetenschule zum Diakon ausbilden zu lassen. Mit Botengängen wie diesem verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Und von Brüdern wie Samuel lernte ich mindestens so viel, wenn nicht mehr…«

      »Ich hole noch Holz«, sagte Tobija, der lieber etwas Handfestes tat, als die ungewisse Beklommenheit abwartend auszuhalten. »Soll ich auch einen Feuerstein suchen?«

      »Nein, den trage ich immer bei mir.«, Thomas nestelte an einem der Ledersäckchen am Gürtel seiner kniekurzen Tunika. Als Tobija sie nicht mehr hören konnte, sagte Debora scheinbar nachdenklich:

      »Da Tante Angela dir den Papyrus heimlich gab, sollte ihre Schwester Agatha nichts davon wissen. Also muß sie mit Samuel Geheimnisse haben, wenigstens ein Geheimnis. Und ihm tut es weh…«

      Sie blickte erwartungsvoll auf Thomas, der im Sand kniete und umständlich mit seinem Feuerstein hantierte.

      »Ist Samuel ihr besonderer Vertrauter?«

      Thomas lächelte, als er antwortete:

      »Ach, liebe Debora, was du wissen möchtest, ist die immer gleiche herrliche Geschichte zwischen zwei Menschen. Eure Tante Angela hatte vermutlich nicht so absolutes Vertrauen wie eure Mutter.«

      »Vertrauen worauf?«

      Thomas deutete mit dem Kopf vielsagend zu Samuel, dann nach oben in den Himmel.

      »Woher willst du das wissen, Thomas?«

      Er zuckte die Achseln, überlegte eine Weile und blickte das Mädchen offen an:

      »Mein Dienst verläuft nicht so einsam, wie du vielleicht denkst. Man trifft andere Boten, nicht nur Auftraggeber und Empfänger. Da wird alles mögliche gesprochen und erzählt. Außerdem… still jetzt, Samuel steht auf. Du wirst ihn nicht mit Fragen durchbohren?«

      »Bin ich ein Plappermäulchen, großer Redemeister? Kannst du nun Feuer schlagen oder nicht?«

      Sie flüchteten sich in scheinbare Geschäftigkeit, als Samuel endlich seinen Wanderstab aufhob, die verrutschten Tücher über seine Tunika ordnete und zu ihnen herüberkam. Einem Mann wie Samuel, der sein Leben damit zubrachte,

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