Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Abschied von Askalon - Eva Rechlin

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Wirklichkeit fühlte sich Tobija ausgesprochen erleichtert über die nochmalige Galgenfrist, doch mochte er seinen Pflegevater nicht enttäuschen. Ausweichend antwortete er:

      »Wir gehen am Hafen vorbei und geben Bescheid.«

      »Welchen Bescheid?«

      »Daß etwas Unerwartetes dazwischengekommen sei. Familienangelegenheiten werden wir sagen. So genau geht es keinen etwas an. Wer weiß, was in dem eiligen Brief aus Alexandria steht? Vielleicht wird Samuel sogar froh sein?«

      »Also dreimal Wegzehrung«, schnitt Miriam weiterem Palaver das Wort ab, »und jetzt laßt uns das Frühstücken nicht vergessen. Möchtest du das Morgengebet sprechen, Thomas?«

      Der überrumpelte Gast schüttelte etwas hilflos den Kopf. Mit halb erhobenen Händen reihte er sich in die Tischrunde ein und lauschte mit gesenktem Gesicht, als Vater Sebastian mit den Psalmworten begann:

      »Wie schön ist es, dem Herrn zu danken, deinen Namen, du Höchster, zu singen, am Morgen deine Huld zu verkünden und in den Nächten deine Treue…«

      Thomas schien auch nach zwei Stunden noch unschlüssig, ob er sich über die beiden Weggefährten freuen oder ärgern sollte. Wenigstens waren sie in Fußmärschen geübt und hielten mit ihm Schritt. Bis Joppe waren es fast zwei Tagesmärsche, da jetzt, im brütenden Hochsommer, eine ausgiebige Mittagsrast dringend notwendig wurde. Askalon samt seinem Hafen lag bald hinter ihnen.

      »Die Fischer«, meinte Thomas, »schienen nicht gerade auf dich gewartet zu haben, Tobija. Oder täusche ich mich?«

      »Es stört mich nicht, wenn diese Analphabeten über mich spotten. Einen Lehrling, der sieben Jahre lang Lesen, Schreiben, Sprachen, die Rechenkunst und manches andere studierte – auf so einen haben sie sowieso nicht gewartet.«

      »Nicht zu vergessen die heiligen Schriften«, warf Debora ein, »und ich durfte alles mit ihm lernen. Unsere Eltern wollten es so, besonders unsere Mutter. Sie war nämlich sehr gebildet, hatte in Alexandria sogar die berühmte christliche Katechetenschule besucht. Ja, die reichen Tanten ließen sie erstklassig erziehen, ihre einzige jüngere Verwandte. Leider ist sie nur zweiunddreißig Jahre alt geworden, ein Jahr älter als unser Vater.«

      »Simon ist also ertrunken?« fragte Thomas.

      »Das ist auch so etwas«, fiel Tobija lebhaft ein, »das die Fischer an mir nicht mögen. Daß mein Vater ebenso wie mein Großvater ertrunken ist. Als klebte Unglück an uns, verstehst du?«

      »Das bildest du dir ein«, protestierte Debora, »die meisten Fischerfamilien in Askalon haben Tote im Meer zu beklagen!«

      Thomas spürte, daß die Geschwister deswegen uneins waren, und er versuchte schleunigst abzulenken:

      »Wieso hat eigentlich die reiche und hochgebildete Erbin Kora aus Alexandria einen Fischer aus Askalon geheiratet? Sie muß wohl noch ziemlich jung gewesen sein!«

      »Neunzehn, kein bißchen zu jung. Und was für eine Frage: Natürlich heirateten sie, weil sie sich liebten!«

      »Natürlich. Sie liebten sich. Seht ihr eurer Mutter ähnlich?«

      »Debora«, sagte Tobija, »das sagen alle, die unsere Mutter kannten.«

      »Also war sie nicht nur reich und gebildet, sondern obendrein sehr… mh, also, sagen wir, sehenswert?«

      »Sie war schön!« belehrte ihn Tobija, dessen Schwester den Kopf plötzlich gesenkt hielt. »Sie war so schön, daß sie unserem Vater auf der Stelle auffiel, als er einmal bis nach Alexandria gelangte! Das Nildelta zählt nicht gerade zu den Fanggründen judäischer Fischer. Die Ägypter würden sich das auch verbitten. Dort muß es ja bunt zugehen. Warst du schon öfter im Delta, Thomas?«

      »Oft genug. Aber, wenn nicht als Fischer, wie kam euer Vater nach Alexandria?«

      »Ganz einfach: Mit Samuel. Einen Wanderprediger wie Samuel begleiten zu dürfen, gilt als Ehre! Besonders jüngere Brüder und Schwestern aus den Gemeinden möchten mit ihm gehen. Einmal im Leben wollte das auch unser Vater. Er begegnete Samuel, als dieser mit den Fischern von Askalon nach Rapha fuhr. Er hat es uns oft erzählt, wie er durch Samuel auch die reichen Schwestern Eugenios kennenlernte.«

      »Als wäre Samuel immer alt gewesen«, meinte Thomas lachend, »heute ist er drei- oder vierundfünfzig, wie er mir erzählt hat.«

      Debora war unvermittelt stehengeblieben. Sie sah sich zweifelnd um, schüttelte den Kopf und schlug vor, vom Strand nach Osten abzubiegen und auf der Römerstraße weiterzugehen, die Samuel, wenn er allein unterwegs war, des besseren Schutzes wegen bevorzugte. Außerdem ließe er sich gern von Wagen mitnehmen.

      Thomas war einverstanden, zumal sie sich der etwas landeinwärts gelegenen Ortschaft Ashdod näherten und die Sonne längst steil über ihnen brannte. Höchste Zeit, einen Brunnen und Schatten zu suchen und zu rasten.

      Auf der Straße hielten sie jedes Wagengespann und jeden Reiter an und fragten, ob ihnen Samuel begegnet wäre? Einer wußte, daß jener sich vor ungefähr zwei Tagen von Joppe südwärts auf den Rückweg nach Askalon gemacht hatte.

      »Samuel hatte es nicht eilig, er wollte im Wadi Jamnia Nomaden oder Hirten besuchen, müßte sich jetzt also ebenfalls Ashdod nähern, wenn auch aus entgegengesetzter Richtung.« Als die drei das gehört hatten, beschlossen sie, bei Ashdod unmittelbar an der Straße zu rasten, damit ihnen der Gesuchte ja nicht entginge. Im spärlichen Schatten eines Wacholdergebüschs ließen sie sich im Straßenstaub nieder, tranken ausgiebig, aßen ein wenig und warteten, daß die Sonne den Zenit überschritt. Besorgt beobachteten beide, daß Debora, kaum daß sie sich im warmen Sand ausgestreckt hatte, einschlief. Leise fragte Thomas:

      »Macht sie etwa schlapp? Hält sie nicht viel aus?«

      Tobija schüttelte nachdrücklich den Kopf:

      »Im Gegenteil, sie kann zäh sein wie ein Esel und stundenlang lebendig wie ein Delphin.«

      In Wirklichkeit kam es ihm auch merkwürdig vor, und er dachte daran, wie unausgeschlafen und fahrig sie am Morgen gewesen war – und wie aufgeregt sie darum gekämpft hatte, Thomas zu begleiten. Eine Ahnung dämmerte ihm, die er sofort wieder verscheuchte. Wie konnte er Debora verdächtigen? Und hätte sie ein Geheimnis vor ihm verbergen können?

      »Laß mich zuerst wachen«, schlug er Thomas vor, »ich kann jetzt nicht einmal dösen, ich bin viel zu gespannt auf Samuel. Er ist unser Vormund, sogar amtlich. Unsere Eltern hatten ihn bald nach Deboras Geburt dazu bestimmt, vorsichtshalber.«

      »Auch ich bin zu munter«, gestand Thomas. Sie unterhielten sich leise: »Wie alt ist deine Schwester?«

      »Zwei Jahre jünger als ich.«

      »Und du bist vierzehn?«

      »Nur noch wenige Wochen, auch Debora ist schon eher dreizehn. Wir waren noch nie getrennt. Das stört mich nämlich an der Fischerei: Daß ich meine kleine Schwester so lange allein lassen muß.«

      »Aber ihr habt die liebevollsten Pflegeeltern, außerdem ist Debora keine kleine Schwester, sondern bald heiratsfähig.« Tobija lachte.

      »Debora eine Frau? Was hast du bloß für Augen?«

      Thomas blieb ernst:

      »Klare.

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