Der gestohlene Mord. Arno Alexander

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Der gestohlene Mord - Arno Alexander

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Wort konnte binnen Minuten Existenzen in Ecuador oder Kapstadt vernichten. Aber er selbst lebte wie der Lastesel eines armen Müllers.

      Es kennzeichnete ihn, daß er mit hochgekrempelten Ärmeln am Schreibtisch zu sitzen pflegte. Er verrichtete seine Papierarbeit so, wie ein anderer Bäume fällen würde. Er schnaufte, schuftete und strengte sich entsetzlich an. Seine vierschrötige, muskulöse Gestalt wirkte wie eine Dampfturbine bei der höchsten Drehzahl. Wie eine Maschine funktionierte er nach seinem Terminkalender, und jede Minute, die ihm von seiner Planung verloren ging, brachte ihn an den Rand der Raserei.

      Kurz vor elf Uhr an diesem Morgen sprang er auf und drückte dreimal kurz auf einen roten Knopf an seinem Diktiergerät. Das dreifache Klingelzeichen war in seinem Vorzimmer zu hören.

      Das Zeichen wirkte wie der Alarmpfiff bei der Feuerwehr. Die erste Sekretärin warf Listen und Stifte von sich, schrie in ein Mikrophon, der Wagen des Chefs habe vorzufahren. Dann riß sie Lavignes Mantel aus dem Schrank und stürzte auf den Korridor, wo Lavigne im nächsten Augenblick bereits in voller Fahrt vorbeisauste.

      Die zweite Sekretärin rannte hinterdrein mit einer Mappe, in der sich die zur jeweiligen Sitzung nötigen Papiere befanden.

      Wenn es ihnen nicht gelang, Philippe Lavigne bis zum Fahrstuhl mit Mantel, Hut und Tasche zu versehen, dann mußten sie eben mit nach unten fahren. Zum Stehenbleiben hatte er keine Zeit.

      „Was ist das für eine Schweinerei!“

      Lavigne lief rot an und fluchte, während er nach dem linken Ärmel suchte, weil er diesmal doch stehenbleiben mußte. Jemand anders wagte es, ausgerechnet jetzt den Fahrstuhl zu benutzen. Als dann der erleuchtete Korb endlich eintraf und die Glastür sich öffnete, stellte sich heraus, daß Eric dieser Unglücksrabe war.

      „Ah! Der Herr Sohn geruht zu kommen! Hätte ich mir denken können.“

      Eric wirkte aufgeregt. Er hielt seinen Vater am Mantel fest.

      „Pa — Maitre Sourette ist tot.“

      „Warum nicht? Deshalb hältst du mich auf?“

      „Sourette ist ermordet worden.“

      Jetzt zögerte Philippe doch. Seine dunkelgrauen Augen erstarrten und ruhten für einige Sekunden auf dem unruhigen Gesicht des Sohnes.

      „Komm mit!“ entschied Lavigne und zog seinen Sohn in den Fahrstuhl zurück. Die Kabine setzte sich summend in Bewegung.

      „Woher hast du das?“

      Eric zog es vor, die Antwort zu umgehen.

      „Sourette ist vor etwa zwei Stunden in seinem Büro erschlagen worden.“

      „Erschlagen? Was du sagst. Wer vergreift sich an diesem Fuchs.“

      „Simpler Raubmord, anscheinend. Sein Geldschrank stand offen.“

      „Sein Geldschrank stand offen“, sagte Lavigne nachdenklich.

      Sie verließen den Fahrstuhl und eilten auf die Straße. Der Fahrer hielt die Wagentür auf. Lavigne fuhr einen alten, englischen Wagen. Fahrerraum und Fond waren wie in einem französischen Taxi durch eine verschiebbare Glasscheibe getrennt. Der Fahrer schloß sie ohne besondere Aufforderung, sobald er seine Adresse hatte.

      Lavigne starrte konzentriert vor sich hin. „Der Geldschrank stand offen“, wiederholte er. „Erst vor zwei Stunden —“ Er stieß schnell hervor, ohne seinen Sohn anzusehen: „War noch etwas drin in dem Geldschrank?“

      „Ich habe keine Ahnung. Was soll es gewesen sein?“

      „Ein Schriftstück? Ein Protokoll?“

      „War es eine Herstellungsformel? Ich könnte mir nicht denken, was dich sonst so interessiert.“

      „Nein. Es ist das Gründungsprotokoll eines Vereins zur Beseitigung deines Vaters.“

      „Pa!“ Eric starrte seinen Vater verblüfft an. „Jetzt erzählst du Räuberpistolen!“

      Philippe Lavigne lachte bitter. Seine sonore Stimme klang etwas heiser. Eric fiel es plötzlich auf, daß sein Vater in den letzten Monaten alt geworden war. Die energischen Falten zu beiden Seiten seines Mundes sahen auf einmal melancholisch aus. Die Haut war schlaffer geworden, daran lag es.

      „Dir wird bekannt sein, daß gewisse Herren sich emsig bemühen, mich als Vorsitzenden des Verbandes abzuschießen.“

      „Ja, aber —“

      „Ja? Tu doch nicht so, als ob du es wüßtest. Bei deinem Interesse für das Geschäft weißt du doch nicht einmal, womit wir überhaupt handeln. Aber es hilft nichts, du mußt es wissen. Es ist da eine Gruppe von Chemikern. Sie behaupten, der Verband dürfe nicht von den alten Kaufleuten, er müsse vielmehr von den Chemikern geführt werden. Natürlich ein kompletter Blödsinn.“

      „Natürlich“, sagte Eric ohne eine Spur von Überzeugung.

      „Es geht diesem Monsieur Ponti ganz einfach darum, sich an meine Stelle zu setzen. Verstehst du, was das bedeuten würde?“

      „Wer ist Ponti?“ fragte Eric harmlos.

      Philippe Lavigne stöhnte und sank ein wenig zusammen. Hatte es irgendeinen Sinn, diesem Sohn die Dinge auseinanderzusetzen? Für Philippe waren das Schicksalsfragen — und vielleicht waren sie es wirklich. Macht- und Einflußströme aus den großen Industriestaaten der Welt gipfelten in Ponti und Lavigne, die hier aufeinandertrafen. Von diesem Entweder-Oder hing etwas ab für die Wirtschaft des Landes. Vielleicht sah Lavigne die Dinge unter dem Vergrößerungsglas seiner leidenschaftlichen Anteilnahme — ihm kam es beinahe vor, als würden in diesem stillen Machtkampf die Geschicke einer Welt entschieden.

      Und sein Sohn betrachtete die gleiche Sache ungefähr so, als würden ihm zum Nachtisch zwei Äpfel zur Auswahl vorgelegt.

      Lavignes Gesicht wurde grämlich. „Doktor Ponti ist Chefchemiker bei Broussard“, sagte er müde, „und sitzt im Vorstand des Verbandes. Er hat wankelmütige Vorstandsmitglieder gewonnen, bei nächster Gelegenheit gegen mich zu stimmen. Um sie bei der Stange zu halten, hat er sie darüber ein gemeinsames Protokoll unterschreiben lassen.“

      „Aha!“ machte Eric mit gespieltem Interesse. Philippe durchschaute die Heuchelei genau. Er spürte eine Aufwallung in sich. Instinktiv legte er die Hand auf das Herz. Er war über sechzig, und sein Arzt schlug die Hände über dem Kopf zusammen, so oft er ihn sah. Lavigne konnte sich kaum beherrschen, seinem Sohn nicht ins Gesicht zu schlagen.

      „Das Protokoll lag im Geldschrank bei Sourette“, sagte er.

      „Ach!“ Jetzt wurde Eric wirklich munter und richtete sich verwundert auf. „Woher weißt du das eigentlich alles?“

      „Das geht dich nichts an. Wenn der Raubmörder dieses Protokoll mitgenommen hat, das für ihn ganz wertlos ist — ich wäre bereit, dafür eine gute Summe auszugeben, und ...“

      Philippe Lavigne schloß die Augen. In dem Schweigen fiel Eric jetzt das Surren des Motors auf die Nerven. Er schob sich vor und starrte seinem Vater ins Gesicht, in dieses schwere, faltige Gesicht mit den Lidern über den großen Augäpfeln. Schließlich konnte er seine Ungeduld

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