Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo страница 11
19. In dem gesunden Naturzustand vor der Sünde gab es die Seelenteile des Zornmuts und der Begehrlichkeit nicht, die sich im Menschen so sündhaft regen, daß man sie mit dem Zügel der Weisheit zurückhalten muß.
Daher haben auch unter den Philosophen die, die der Wahrheit am nächsten kommen[140] , den Zornmut und die Begehrlichkeit offen als fehlerhafte Teile der Seele erklärt, mit der Begründung, daß sie ungestüm und unordentlich auch nach Dingen sich regen, die die Weisheit zu vollbringen verbietet, weshalb sie des Verstandes und der Vernunft als Führers bedürften. Dieser dritte Teil der Seele throne sozusagen in einer Burg und leite von da aus die zwei anderen, so daß sich im Menschen durch die Herrschaft des einen und das dienende Verhalten der anderen die Gerechtigkeit in jedem Teil des Geistes aufrecht erhalten lasse. Diese Teile nun, die nach dem Geständnis der erwähnten Philosophen auch im weisen und sich selbst beherrschenden Menschen fehlerhaft sind, so daß der Geist sie durch Zucht und Niederhaltung zügeln und von Dingen, nach denen sie sich unrecht regen, abbringen muß und ihnen nur da freien Lauf gewähren darf, wo es sich um Dinge handelt, die das Gesetz der Weisheit verstattet[141] , diese Teile also waren im Paradiese vor der Sünde nicht fehlerhaft. Sie regten sich nicht nach irgend etwas im Widerspruch mit dem rechten Willen, so daß sie es nötig gemacht hätten, sie mit dem Zügel der Vernunft zurückzuhalten. Denn daß sie jetzt solche Strebungen haben und von denen, die ein Leben der Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit und Frömmigkeit führen, bald leichter, bald schwerer, immer aber doch eben nur durch Bändigung und Kampf in ihren Grenzen gehalten werden, ist selbstverständlich kein gesunder, von Natur aus gegebener Zustand, sondern ein von Schuld herrührender Schwächezustand. Wenn aber scheue Scham die Ausflüsse des Zornes und anderer Leidenschaften in Wort und Tat aller Art nicht in der Weise verbirgt, wie die Betätigung der Lust durch die Zeugungsglieder, so hat dies nur darin seinen Grund, daß bei den übrigen Leidenschaften nicht diese selbst die Glieder des Leibes in Bewegung setzen, sondern der Wille, falls er ihnen zustimmt, der nun dann im Gebrauch der Leibesglieder durchaus Herr ist. Ein zorniges Wort oder auch ein Schlag im Zorn kommt nur dadurch zustande, daß sich die Zunge oder die Hand auf Geheiß sozusagen des Willens in Bewegung setzt; und diese Glieder werden, auch wenn kein Zorn vorhanden ist, in Bewegung gesetzt eben durch den Willen. Dagegen die Zeugungsglieder des Leibes hat die Lust sozusagen in Eigenrecht genommen in einem Maße, daß sie nicht in Bewegung gesetzt werden können, wenn die Lust sich versagt und wenn sie nicht von selbst oder auf Anreiz hin sich erhebt. Das ist es, was Scham erweckt, was sich errötend den Augen von Zuschauern entzieht; und eher noch läßt sich der Mensch eine Schar von Augenzeugen gefallen, wenn er ungerechterweise einem andern zürnt, als auch nur einen einzigen Zuschauer, wenn er sich, wie es ganz in der Ordnung ist, mit seiner Gattin vereint.
20. Die Ausgeschämtheit der Kyniker ist eine Verirrung.
Das haben jene hündischen[142] Philosophen, die Kyniker, nicht erkannt, die gegen das den Menschen angeborene Schamgefühl eine wahrhaft hündische Ansicht geltend machten, eine schmutzige, meine ich, und ausgeschämte: weil das, was an der Gattin geschieht, in der Ordnung sei, so solle man es ohne Scheu öffentlich tun und auf Gassen und Straßen allüberall den Beischlaf ausüben. Indes das natürliche Schamgefühl hat obgesiegt über diese irrige Anschauung. Wenn auch angeblich Diogenes das einmal aus Eitelkeit getan hat in der Meinung, seine Schule werde so berühmter werden, wenn ihre Ausgeschämtheit besonders lebhaft im Andenken der Menschen hafte, so sind doch später die Kyniker davon abgestanden, und es überwog die Scham, die Menschen vor Menschen erröten macht, über die Verirrung, die Menschen mit Hunden auf eine Stufe zu stellen sich erdreistete. Ich möchte daher auch eher glauben, Diogenes und andere, von denen man solches erzählt, werden nur die entsprechenden Bewegungen den Leuten zu sehen gegeben haben, die ja nicht wußten, was unter der Decke vorging, als sie hätten unter den Augen von Menschen die geschlechtliche Lust auszuüben vermocht. Die Lust selbst nahm Anstand, sich zu erheben, wo die Philosophen keinen Anstand nahmen, den Schein zu erwecken, als wollten sie sich zum Beischlaf niederlegen. Auch jetzt gibt es ja noch kynische Philosophen; man kennt sie ganz wohl an ihrem griechischen Mantel und an dem Knotenstock, den sie tragen; aber keiner von ihnen wagt, solches zu tun, und würde es einer wagen, so würde er zwar kaum gesteinigt, aber jedenfalls gehörig verspien werden. Die menschliche Natur hegt also ohne Zweifel Scham und Scheu gegenüber dieser Lust und hegt sie mit Recht. Denn in ihrer unbotmäßigen Auflehnung, die die Zeugungsglieder des Leibes allein ihren eigenen Regungen dienstbar gemacht und der Gewalt des Willens entzogen hat, tritt deutlich das Merkmal der Vergeltung für die erste Unbotmäßigkeit des Menschen zutage; in dem Teil ganz besonders mußte es hervortreten, der zur Fortpflanzung der menschlichen Natur bestimmt ist, die durch jene erste und große Sünde zum Schlechteren verändert worden ist. Und der Verflechtung in diese Sünde wird man nur entrissen, wenn durch Gottes Gnade in den Einzelnen das gesühnt wird, was zum allgemeinen Verderben, da alle in dem Einen waren, begangen und durch Gottes Gerechtigkeit bestraft ward.
21. Der Segen der Mehrung durch Fruchtbarkeit, den Menschen vor der Sünde erteilt, wurde durch die Übertretung nicht aufgehoben; es trat jedoch neu hinzu das Fieber der Lust.
Keinenfalls also dürfen wir annehmen, die Gatten im Paradiese hätten auf dem Wege solcher Lust, die sie mit Scham übergoß und zur Bedeckung der Zeugungsglieder veranlaßte, die Verheißung wahr gemacht, die Gott in seinem Segen aussprach[143] : „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde“. Ist doch erst nach der Sünde diese Lust erstanden und erst nach der Sünde hat die Natur, die ja nicht schamlos ist, nunmehr verlustig gegangen der Herrschgewalt über den Leib in all seinen Teilen, sie empfunden, bemerkt, sich darüber beschämt gefühlt und sie zu verbergen gesucht. Jener Ehesegen dagegen, daß die Gatten durch ihre Verbindung wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen sollten., ist zwar auch nach der Sünde ihnen verblieben, aber er ist vor der Sünde gegeben worden, damit man erkenne, daß die Erzeugung von Kindern mit der Strafe für die Sünde nichts zu schaffen habe, sondern zur Herrlichkeit der Ehe gehöre. Aber die Menschen von heute, die natürlich von dem ehemaligen Paradiesesglück keine Ahnung haben, können sich die Erzeugung von Kindern nur auf dem ihnen aus Erfahrung bekannten Wege, auf dem Wege der geschlechtlichen Lust vorstellen, deren man sich selbst im ehrbarsten Ehebeilager schämt. Und die Heilige Schrift, worin es doch heißt, daß man nach der Sünde sich der Nacktheit schämte und die Scham bedeckte, nehmen die einen[144] überhaupt nicht an, sondern lachen darüber ungläubig, während die anderen[145] sie zwar annehmen und in Ehren halten, jedoch den Ausspruch: „Wachset und mehret euch“ nicht von der Fruchtbarkeit dem Leibe nach verstanden wissen wollen, mit Berufung darauf, daß es auch über die Seele einen ähnlichen Ausspruch gibt, nämlich[146] : „Du wirst mich zunehmen lassen in meiner Seele der Tugend nach“. Demnach verstehen sie bei den in der Genesis folgenden Worten: „Und erfüllet die Erde und herrschet über sie“ unter Erde den Leib, den