Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo Die Schriften der Kirchenväter

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ohne geschlechtliche Lust entstehen können, die erst nach der Sünde auftrat und erkannt ward und sich scheu in die Verborgenheit zurückzog, und es sollte auch im Paradies keine Leibesfrucht geben, sondern erst außerhalb, wie es auch eingetreten ist. Denn erst nachdem sie daraus vertrieben waren, taten sie sich zur Erzeugung von Kindern zusammen und erzeugten solche wirklich.

      

       22. Die eheliche Verbindung ist von Gott eingesetzt und gesegnet.

      

      Wir dagegen zweifeln durchaus nicht, daß wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen gemäß dem Segen Gottes eine Gabe der Ehe sei und daß Gott die Ehe vor der Sünde des Menschen von Anfang an eingesetzt habe, indem er Mann und Weib schuf, ein geschlechtlicher Unterschied, der eben im Fleische klar sich zeigt. Und gerade diesem Werke Gottes ist der Segen beigefügt, um den es sich handelt. „Als Mann und Weib schuf er sie“, heißt es in der Schrift, und im unmittelbaren Anschluß daran fährt sie fort: „Und Gott segnete sie und sprach: Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und herrschet über sie“ und so weiter. Man kann dies ja alles recht wohl auch in einem geistigen Sinne auffassen, jedoch der Ausdruck „Mann und Weib“ widerstrebt der Beziehung auf etwas Entsprechendes in ein und demselben Menschen, etwa in dem Sinn, daß sich in ein und demselben Menschen zweierlei findet, etwas, was herrscht, und etwas, was beherrscht wird; vielmehr sind, wie daraus, daß von Leibern verschiedenen Geschlechtes die Rede ist, ganz augenscheinlich hervorgeht, Mann und Weib so erschaffen worden, daß sie durch Zeugung von Nachkommenschaft wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen sollten, und es hätte keinen Sinn, sich gegen diese wörtliche Auffassung zu sperren[147] . Das verbietet schon die Antwort des Herrn auf die Frage[148] , ob es erlaubt sei, sein Weib um jeder Ursache willen zu entlassen, weil Moses wegen der Herzenshärte der Israeliten gestattet hatte, den Scheidebrief zu geben. Der Herr erwiderte: „Habt ihr nicht gelesen, daß der, der sie erschaffen hat im Anfang, als Mann und Weib sie geschaffen und gesprochen hat: Um deswillen wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden zwei in einem Fleische sein? Es sind also nicht mehr ihrer zwei, sondern sie sind ein Fleisch. Was also Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“. Hier spricht doch der Herr nicht vom Geist, der gebietet, und dem Fleisch, das gehorcht, oder von der vernünftigen Seele, die die Leitung hat, und der unvernünftigen Begehrlichkeit, die zu leiten ist, oder von der betrachtenden Tugend, die den Vorrang hat, und der handelnden, die tiefer steht, oder von der geistigen Einsicht und der körperlichen Empfindung, sondern offenbar von dem ehelichen Bande, wodurch die beiden Geschlechter gegenseitig aneinander geknüpft sind. Es ist also gewiß, Mann und Weib waren ursprünglich schon so eingerichtet, wie wir heutzutage zwei Menschen verschiedenen Geschlechtes beschaffen sehen und wissen, eins aber werden sie genannt entweder wegen der innigen Verbindung oder wegen des Ursprungs des Weibes, das aus der Seite des Mannes erschaffen ist. Denn auch der Apostel[149] mahnt unter Berufung auf dieses erste Vorbild, das, von Gott aufgerichtet, am Anfang steht, alle einzelnen Ehepaare, daß die Männer ihre Frauen lieben sollen.

       23. Über die Frage, ob es auch im Paradiese zur Zeugung hätte kommen müssen, wenn niemand gesündigt hätte, und ob dort die Keuschheit den Kampf wider das Feuer der Begierde aufzunehmen gehabt hätte.

      

      Wollte man aber annehmen, die ersten Menschen hätten sich nicht zusammengetan und gezeugt, wenn sie nicht gesündigt hätten, so hieße das behaupten, daß zur Erfüllung der Zahl der Heiligen die Sünde des Menschen notwendig gewesen sei. Denn wären sie ohne das Dazwischentreten der Sünde allein geblieben, wie doch jene Annahme verlangt, die die Möglichkeit der Zeugung von der vorgängigen Sünde abhängig sein läßt, so war die Sünde in der Tat notwendig, sollte es nicht bloß zwei, sondern viele gerechte Menschen geben. Das ist ungereimt, und so hat man vielmehr anzunehmen, daß, auch wenn niemand gesündigt hätte, die Zahl der Heiligen, die nötig ist zur Vollzahl der Bürger des Gottesstaates, so groß geworden wäre, wie sie sich nun aus der Menge der Sünder durch Gottes Gnade ansammelt, solang Kinder dieser Welt zeugen und gezeugt werden.

      Demnach hätte jene Ehe, würdig des Paradiesesglückes, wäre die Sünde nicht eingetreten, gleichwohl teure Nachkommenschaft gezeugt, jedoch ohne dabei beschämende Lust zu empfinden. Wie das möglich gewesen, ist hier nicht der Ort, an einem Beispiel zu zeigen. Aber deshalb braucht es nicht unglaublich zu erscheinen, daß dem Willen, dem so viele Glieder auch jetzt noch dienstbar sind, jenes eine Glied ebenfalls ohne geschlechtliche Lust hätte dienstbar sein können. Oder sollten wir zwar Hände und Füße nach Belieben des Willens in Bewegung setzen zu den diesen Gliedern obliegenden Werken, und das ohne alle Weigerung, mit einer Leichtigkeit, wie sie uns aus Erfahrung und Beobachtung bekannt ist, vorab bei aller Art von körperlicher Arbeit, wo der natürlichen Schwäche und Ungelenkigkeit behende Übungsfertigkeit nachhilft, dagegen uns wider die Annahme sträuben, daß die Zeugungsglieder gerade so gut wie die übrigen Glieder den Menschen auf einen Wink des Willens hin in Gehorsam hätten dienstbar sein können zum Werk der Kindererzeugung, wenn die Lust nicht eingetreten wäre als Vergeltung für die Sünde des Ungehorsams? Sagt doch Cicero in seinem Werk über den Staat, da wo er sich über den Unterschied der Regierungen äußert und ein Gleichnis hierfür dem Gebiete der Menschennatur entnimmt, man regiere die Glieder des Leibes wie Kinder wegen der Leichtigkeit, womit sie gehorchen, dagegen die fehlerhaften Teile des Geistes würden durch ein rauheres Regiment wie Sklaven gebändigt. Und gewiß hat der Geist nach der natürlichen Ordnung den Vorrang vor dem Leibe, obwohl er leichter den Leib als sich selbst beherrscht. Die Lust jedoch, von der wir hier sprechen, ist eben deshalb um so beschämender, weil ihr gegenüber der Geist weder sich selbst so wirksam beherrscht, daß sie sich überhaupt nicht einstellte, noch auch den Leib so vollkommen, daß statt der Lust der Wille die Schamglieder erregte; wäre dem so, dann wären sie ja nicht Gegenstand der Scham. So aber schämt sich der Geist, daß sich ihm der Leib widersetzt, der ihm doch ob seines tiefer stehenden Wesens unterworfen ist. Wenn bei anderen Leidenschaften der Geist in Widerspruch tritt mit sich, schämt er sich deshalb weniger, weil er da höchstens sich selbst unterliegt; denn wenn eine solche Niederlage auch wider die Ordnung und sündhaft ist, weil sie dem Geiste beigebracht wird von den Teilen, die sich der Vernunft unterwerfen sollten, so wird sie ihm doch von seinen eigenen Teilen und demnach, wie gesagt, von sich selbst bereitet. Bleibt nämlich der Geist ordnungsgemäß Sieger, in der Weise, daß sich die unvernünftigen Regungen dem Geist und der Vernunft unterordnen, so ist das preiswert und tugendhaft, wofern freilich Geist und Vernunft Gott untergeordnet sind. Aber wenn der Geist in seinen fehlerhaften Teilen gegen sich selbst ungehorsam ist, so schämt er sich doch eben nicht so sehr, als wenn seinem Willen und Befehl der Leib sich nicht fügt, der von ihm verschieden ist und unter ihm steht und dessen Natur aus ihm ihr Leben hat.

      Behauptet indes der Wille die Herrschaft über jene anderen Glieder, deren Beihilfe die gegen den Willen durch die Lust gereizten Glieder in Anspruch nehmen müssen, um ihr Verlangen stillen zu können, so wird die Schamhaftigkeit bewahrt, ohne daß darüber freilich der Reiz der Sünde sich verlöre, der eben nur nicht verstattet wird. Ohne Zweifel, im Paradies, wäre nicht über die Schuld des Ungehorsams die Strafe des Ungehorsams verhängt worden, hätte das Beilager diese Widersetzlichkeit, diesen Widerspruch, diesen Kampf zwischen dem Willen und der Lust, um nur überhaupt den Willen durchzusetzen und die Lust auf sich selbst zu beschränken, nicht gekannt, vielmehr wären dort alle Glieder ohne Ausnahme dem Willen dienstbar gewesen. Es würde das Zeugungsgefilde[150] von dem hierzu erschaffenen Glied so angesäet worden sein, wie jetzt der Acker von der Hand des Säenden; und wenn jetzt die Scham sich mir widersetzt, da ich tiefer in diesen Gegenstand eindringen wollte, und mich nötigt, bei züchtigen Ohren durch ein vorausgeschicktes „mit Achtung zu sagen“ um Nachsicht zu bitten, so wäre dazu alsdann kein Grund vorhanden, vielmehr könnte sich die Rede frei und ohne alle Furcht vor Anstößigkeit über alles verbreiten, worauf das Nachdenken über diese Glieder führen würde, ja es gäbe überhaupt keine Wörter, die man anstößig hieße, sondern man könnte über diese Dinge sagen, was man

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