Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo страница 15
15. Buch
1. Die Doppelreihe der von Anfang an nach verschiedenen Endpunkten hin sich bewegenden Menschheitszeugung.
Viel ist gesagt und geschrieben worden über das Paradiesesglück oder über das Paradies und das Leben der ersten Menschen in ihm, über deren Sünde und die Strafe dafür. Und im Anschluß an die Heilige Schrift, teils in wörtlichem, teils in sinngemäßem, haben auch wir hierüber uns ausgesprochen in den vorangehenden Büchern. Sowie man aber in diesen Fragen mehr ins Einzelne geht, erwachsen zahlreiche und vielgestaltige Erörterungen; sie auszuführen, wären mehr Bände erforderlich, als der Anlage dieses Werkes entspricht, und mehr Zeit, als uns zur Verfügung steht. Wir brauchen auch nicht bei all dem zu verweilen, was müßige und spitzfindige Köpfe etwa für nötig halten, schneller bei der Hand mit Fragen als mit dem Verständnis für die aufgeworfenen Schwierigkeiten. Immerhin glaube ich, in den bisherigen Darlegungen die großen und äußerst schwierigen Fragen über den Anfang der Welt, der Seele und des Menschengeschlechtes genügend erörtert zu haben. Dabei haben wir die Menschheit in zwei Arten geteilt, deren eine die umfaßt, die nach dem Menschen leben, während die andere die in sich schließt, die nach Gott leben; wir nennen die beiden Arten in einem übertragenen Sinn die zwei Staaten, d. i. die zwei Genossenschaftsgefüge der Menschen, von denen das eine jenes ist, das mit Gott ewig zu herrschen, das andere jenes, das sich mit dem Teufel ewiger Strafe zu unterwerfen vorherbestimmt ist. Doch das ist deren Endausgang, wovon später zu handeln ist. Jetzt dagegen dürfte, nachdem über die Anfänge der beiden Staaten in der Engelwelt, deren Zahl wir nicht kennen, und bei den zwei ersten Menschen das Nötige beigebracht worden ist, deren Entwicklung in Angriff zu nehmen sein, von da ab, wo die ersten Menschen zu zeugen begannen, bis zu dem Zeitpunkt, da die Menschen aufhören werden zu zeugen. Denn diese gesamte Zeit oder die Weltzeit, in der die Geschlechter kommen und gehen, gehört der Entwicklung der beiden Staaten an, von denen wir handeln.
Zuerst also wurde von jenen beiden Stammeltern des Menschengeschlechtes Kain geboren, der zum Staat der Menschen gehört, nachher Abel, der zum Gottesstaat gehört. Wie wir nämlich am einzelnen Menschen, um mit dem Apostel zu reden[164] , die Erfahrung machen, daß „nicht das, was geistig ist, das erste ist, sondern was seelisch, dann erst das Geistige“ [weshalb jeder, aus verdammter Wurzel entspringend, zuerst von Adam her notwendig böse und irdisch gesinnt ist; nachmals erst, falls er vorangeschritten ist durch die Wiedergeburt in Christus hinein, wird er gut und geistig sein], so ist auch beim ganzen Menschengeschlecht, sobald sich nur die zwei Staaten durch Geburt und Tod zu entfalten begannen, zuerst der Bürger dieser Welt geboren worden, und nachher erst der Fremdling in dieser Welt und Angehörige des Gottesstaates, durch Gnade vorherbestimmt, durch Gnade ausgewählt, durch Gnade Fremdling hier unten, durch Gnade Bürger dort oben. Denn soweit er für sich in Betracht kommt, stammt er aus derselben Masse, die in ihrem Ursprung als Ganzes verdammt ist; Gott jedoch hat wie ein Töpfer[165] aus der gleichen Masse ein Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre gemacht. Zuerst aber ward gemacht ein Gefäß zur Unehre, und nachher erst ein zweites zur Ehre, weil auch am Einzelmenschen, wie gesagt, das Verworfene das erste ist, wovon wir notwendig ausgehen, worin wir aber nicht notwendig verharren müssen, und nachher erst das Gute kommt, zu dem wir durch Fortschreiten gelangen und bei dem wir dann auch beharren sollen. Es wird also zwar nicht aus jedem bösen Menschen ein guter werden, aber jeder gute Mensch war vorher böse; je bälder indes einer sich bessert, um so schneller kann man ihn nach dem bezeichnen, wonach er greift, und deckt er sonach die frühere Benennung durch die spätere zu. Es steht nun geschrieben von Kain, daß er einen Staat gründete[166] ; Abel dagegen als Fremdling gründete keinen. Denn der Staat der Heiligen ist jenseitig, obwohl er hienieden Bürger erzeugt, in denen er in der Fremde pilgert, bis die Zeit seines Reiches herbeikommt, da er alle in den eigenen Leibern Auferstehenden sammelt, wenn ihnen das verheißene Reich wird gegeben werden, wo sie mit ihrem Fürsten, dem König der Ewigkeit[167] , ohne Zeitenende herrschen werden.
2. Kinder nach dem Fleische und Kinder der Verheißung.
Ein Schatten nun dieser heiligen Stadt und ein prophetisches Vorbild diente auf Erden mehr zu ihrer Andeutung als zu ihrer Darstellung, in jener Zeit, da auf sie nur erst hingewiesen werden sollte, und dieses Vorbild hieß selbst auch „die heilige Stadt“, jedoch nur in seiner Eigenschaft als andeutendes Vorbild, nicht als wäre es die wirkliche heilige Stadt gewesen, wie sie sein wird. Von diesem dienenden, unfreien Vorbild und von der freien Stadt, die dadurch angedeutet wird, spricht der Apostel zu den Galatern also[168] : „Saget mir, die ihr gewillt seid unter dem Gesetze zu sein, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Es steht doch geschrieben, daß Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, und einen von der Freien. Aber der von der Magd ist nach dem Fleische geboren worden, dagegen der von der Freien durch die Verheißung; das bewegt sich im Sinnbild. Das sind nämlich die zwei Testamente, das eine vom Berge Sina, zur Knechtschaft gebärend, und das ist Agar; denn Sina ist ein Berg in Arabien, das in gleicher Reihe steht mit dem Jerusalem von heute; es ist nämlich dienstbar mitsamt seinen Kindern. Dagegen das Jerusalem oben ist frei, und das ist unsere Mutter. Denn es steht geschrieben: Freue dich, Unfruchtbare, die du nicht gebierst, frohlocke und juble, die du keine Wehen hast; denn zahlreich sind die Kinder der Vereinsamten, mehr denn jener, die den Mann hat. Wir aber, Brüder, sind wie Isaak Verheißungskinder. Aber wie damals der, der nach dem Fleische geboren war, den verfolgte, der es nach dem Geiste war, so auch jetzt. Was sagt jedoch die Schrift? Wirf hinaus die Magd und ihren Sohn; denn nicht wird der Sohn der Magd Erbe sein mit dem Sohne der Freien. Wir aber, Brüder, sind nicht Kinder der Magd, sondern der Freien, eine Freiheit, zu der uns Christus befreit hat“. Diese Auffassungsweise, aus apostolischer Maßgebung herfließend, eröffnet uns den Weg zum richtigen Verständnis der Schriften beider Testamente, des alten und des neuen. Ein Teil des Erdenstaates[169] ist also Vorbild des himmlischen Staates geworden, indem er nicht auf sich selber, sondern auf den andern hinwies, deshalb dienend, unfrei. Denn er ward eingesetzt nicht um seiner selbst willen, sondern um einen andern anzudeuten, und da ihm seinerseits auch eine Andeutung vorausging, so ist der vorbildende Staat wiederum vorgebildet worden. Agar nämlich, die Magd der Sara, und ihr Sohn war eine Art Vorbild dieses Vorbildes; und weil die Schatten verschwinden sollten beim Hervorbrechen des Lichtes, deshalb sagte die freie Sara, die den freien Staat bedeutete, den wieder auf andere Weise vorzudeuten auch sie als Schatten diente[170] : „Wirf hinaus die Magd und ihren Sohn; denn nicht wird der Sohn der Magd Erbe sein mit meinem Sohne Isaak“, was der Apostel so ausdrückt: „mit dem Sohn der Freien“. Wir finden also im Erdenstaat zwei Formen, eine, in der er sein Vorhandensein dartut, und eine, gemäß der er durch sein Vorhandensein zum Vorbild für den himmlischen Staat dient. Dem Erdenstaat werden die Bürger geboren von der durch die Sünde verderbten Natur, dem himmlischen Staat dagegen von der die Natur von der Sünde erlösenden Gnade; weshalb die einen Gefäße des Zornes, die andern Gefäße der Erbarmung genannt werden[171] . Angedeutet ist das auch in den beiden Söhnen Abrahams, und zwar darin, daß der eine, Ismael, von der Magd, die Agar hieß, nach dem Fleische geboren ist, der andere aber, Isaak, von der freien Sara nach der Verheißung. Der eine wie der andere stammte aus Abrahams Samen; aber den einen erzeugte, hinweisend auf das Natürliche, geschlechtlicher Umgang, den andern dagegen schenkte, die Gnade vorbedeutend, die Verheißung; dort wird menschlicher Brauch vor Augen geführt, hier die göttliche Wohltat betont.