Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo Die Schriften der Kirchenväter

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eine Stadt setzt ihrem Begriff nach eine größere Menge von Menschen voraus, die zusammengehalten wird durch irgendein Genossenschaftsband; vielmehr erst als Kains Familie heranwuchs, so zahlreich, daß sie nunmehr die Größe eines Volkes hatte, da allerdings mochte es geschehen, daß er eine Stadt gründete und ihr den Namen seines Erstgeborenen beilegte. Die Menschen vor der Sündflut lebten ja so lang, daß der kurzlebigste unter denen, deren Alter angegeben wird, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre erreichte[206] . Manche haben selbst neunhundert Jahre überschritten, auf tausend freilich brachte es keiner. Warum sollte sich also nicht während der Lebenszeit eines Menschen das Menschengeschlecht in einer Weise haben vermehren können, daß Leute nicht nur für eine, sondern für zahlreiche Städtegründungen vorhanden waren? Ist doch aus dem einen Abraham in nicht viel mehr als vierhundert Jahren das Hebräervolk so mächtig herangewachsen, daß beim Auszug aus Ägypten nur allein dessen streitbare Jugend sechsmalhunderttausend Menschen betrug[207] , gar nicht zu erwähnen das Volk der Idumäer, das nicht zum Volk Israel gehörte, aber von Israels Bruder Esau, einem Enkel Abrahams, abstammte, und andere Völker, die hervorgegangen sind aus Abrahams Samen unmittelbar, aber nicht durch seine Gemahlin Sara[208] .

      

       9. Die lange Lebensdauer der Menschen vor der Sündflut und deren gewaltigere leibliche Erscheinung.

      

      Wer also die Verhältnisse umsichtig in Anschlag bringt, wird nicht bezweifeln, daß Kain sogar eine große Stadt hat gründen können, da sich ja das Leben der Sterblichen über einen so langen Zeitraum erstreckte. Freilich einer aus den Reihen der Ungläubigen könnte unsere Voraussetzung anstreiten, die große Zahl der Lebensjahre, die den damaligen Menschen in unseren Glaubensschriften zugeteilt wird, und könnte dieser Voraussetzung die Glaubwürdigkeit absprechen. So glauben sie wohl auch nicht, daß die Körpergröße damals viel beträchtlicher gewesen sei als jetzt. Und doch sagt darüber ihr eigener hochberühmter Dichter Vergilius[209] , wo er von einem ungeheuren Steine spricht, einem Feldgrenzstein, den ein Held jener Zeit im Kampfe herausriß, damit enteilend ihn im Kreise schwang und schleuderte:

      „Schwerlich hätten ihn zwölf der erlesensten Männer gehoben,

      Deren, wie heutzutage die Erde die Leiber hervorbringt“;

      womit er andeutet, daß die Erde damals gewaltigere Leiber hervorzubringen pflegte. Um wieviel mehr demnach als in diesen jüngeren Weltzeiten erst vor der berühmten, weithin bekannten Sündflut! Indes, was die gewaltige Körpergröße der frühzeitlichen Menschen betrifft, so werden die, die daran nicht glauben wollen, oft überführt durch alte Gräber, die durch den Zahn der Zeit oder durch Wassergewalt oder durch Zufälle mancherlei Art freigelegt worden sind und in denen zum Vorschein kamen oder aus denen herausfielen Totengebeine von unglaublicher Größe. Ich habe selbst — und nicht ich allein, sondern mehrere mit mir — an der Küste von Utica einen menschlichen Backenzahn gesehen, so ungeheuer groß, daß er nach unserer Schätzung wohl hundert heutige hätte ausmachen mögen, wenn man ihn in kleine Stücke wie unsere Zähne zerschlagen hätte. Der mag indes einem Riesen angehört haben. Diese überragten an Körpergröße die übrigen noch weit, obwohl schon die Durchschnittsgröße der damaligen Menschen viel bedeutender war als die unsrige; wie es ja auch in den folgenden Zeiten bis herab zu den unsrigen fast immer, wenn auch nur vereinzelt, Leute gab, die an Körpergröße das Durchschnittsmaß weit überschritten. Plinius Secundus, der große Gelehrte, versichert[210] , daß die Natur mit dem allmählichen Voranschreiten des Weltverlaufes immer kleinere Leiber hervorbringe; er hebt ferner hervor, daß auch Homer oft darüber klage in seinem Gedichte, und er macht sich nicht etwa darüber lustig als über eine Ausgeburt der dichterischen Phantasie, sondern führt es als ein geschichtliches Zeugnis an, wo er über die Wunder in der Natur schreibt. Indes, wie gesagt, die Größe der Leiber der Vorzeit wird ja durch häufige Funde von Gebeinen, da diese sehr haltbar sind, auch viel jüngeren Zeiten vor Augen geführt. Dagegen kann die damalige lange Lebensdauer des Menschen nicht durch derartige Zeugnisse der Beobachtung zugänglich gemacht werden. Aber man darf deshalb der heiligen Geschichte nicht die Glaubwürdigkeit absprechen, was ihren Berichten gegenüber um so vermessener wäre, als wir ja ihre Vorhersagungen so sicher in Erfüllung gehen sehen. Übrigens spricht doch auch der genannte Plinius[211] von einem zeitgenössischen Volke, wo die Leute zweihundert Jahre alt werden. Wenn man also eine lange Lebensdauer, über die wir keine unmittelbare Erfahrung haben, gelten läßt in uns unbekannten Gegenden, warum nicht auch in fernliegenden Zeiten? Gibt es irgendwo etwas, was es bei uns nicht gibt, so kann es geradesogut irgendwann etwas gegeben haben, was es jetzt nicht mehr gibt.

      

       10. Die Unstimmigkeit zwischen der hebräischen und unserer Überlieferung in den Angaben über die Dauer der Lebensjahre (Vgl. zur Sache neuestens: Seb. Euringer, Die Chronologie der biblischen Urgeschichte, 3. Aufl. 1913, besonders S. 11 f.).

      

      Wenn nun auch hinsichtlich der Zahl der Lebensjahre einige Verschiedenheit obwaltet zwischen dem hebräischen[212] und unserem Text[213] — wie das so gekommen ist, weiß ich nicht —, so ist sie doch nicht so groß, daß sie die lange Lebensdauer der Menschen von damals berührte. So hat gleich der erste Mensch Adam[214] bis zur Geburt jenes Sohnes, der den Namen Seth erhielt, nach unserer Überlieferung 230 Jahre gelebt, nach der hebräischen 130; und nach dessen Geburt hat er nach unserem Text 700 Jahre gelebt, nach dem hebräischen 800; die Gesamtsumme stimmt also beiderseits überein. Und so werden auch durch die folgenden Zeugungsberichte hindurch[215] dem jeweiligen Vater bis zur Zeugung des Sohnes, der erwähnt wird, in der hebräischen Textüberlieferung 100 Lebensjahre weniger zugeteilt; dagegen nach der Zeugung des betreffenden Sohnes gibt dem Vater unsere Textüberlieferung 100 Jahre weniger als die hebräische; und so stimmt die Gesamtzahl hüben und drüben überein. In der sechsten Zeugungsfolge jedoch weicht die beiderseitige Überlieferung nirgends voneinander ab. In der siebenten aber, welcher jener Enoch angehört, von dem es heißt, daß er nicht gestorben, sondern, weil er Gott gefiel, hinweggenommen worden sei, zeigt sich wieder die gleiche Unstimmigkeit wie in den ersten fünf bezüglich der 100 Jahre vor der Zeugung des Sohnes, der dort erwähnt wird, und in der Summe die gleiche Übereinstimmung. Enoch lebte nach der beiderseitigen Überlieferung bis zu seiner Hinwegnahme 365 Jahre. Die achte Geschlechtsfolge weist einige Verschiedenheit auf, doch eine geringere und anders geartete als bisher. Mathusalam nämlich, der Sohn des Enoch, lebte nach dem hebräischen Text bis zur Zeugung dessen, der in der Urväterliste folgt, nicht 100 Jahre weniger, sondern 20 Jahre mehr; diese 20 Jahre findet man in unserem Text wieder nach der Zeugung hinzugezählt, und beiderseits entspricht sich die Summe der Gesamtlebensjahre. Nur in der neunten Geschlechtsfolge, d. i. bei den Lebensjahren des Lamech, des Sohnes Mathusalams und des Vaters Noes, weicht die Gesamtsumme voneinander ab, jedoch nicht sehr weit. Die hebräischen Bücher teilen ihm 24 Lebensjahre mehr zu als die unseren. Er ist bei der Zeugung des Sohnes, der Noe benannt ward, 6 Jahre jünger in der hebräischen Überlieferung als in der unsrigen. Dagegen erhält er nach dieser Zeugung von der hebräischen 30 Jahre mehr zugeteilt als von der unsrigen. Davon die 6 abgezogen, bleiben die erwähnten 24 Jahre übrig.

      

       11. Bei Berechnung des Lebensalters Mathusalams ergibt sich, daß er 14 Jahre die Sündflut überlebt hätte.

      

      Infolge dieser Abweichung unserer Überlieferung von der hebräischen erhebt sich jene vielerörterte Frage der Berechnung des Lebensalters Mathusalams. Es rechnet sich heraus, daß er nach der Sündflut noch 14 Jahre gelebt hätte, während doch die Schrift von allen damals auf Erden lebenden Menschen nur die acht in der Arche, unter denen

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