Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo Die Schriften der Kirchenväter

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habe, wenn er sündigt. Es wäre dabei in dem Sätzchen: „Denn zu dir ihre Hinkehr“ zu ergänzen „sei“, nicht „wird sein“, im Sinne einer Aufforderung, nicht einer Vorhersage; und eine solche Hinkehr wäre dann die heilkräftige Arznei der Buße und die Bitte um Verzeihung, die so wohl am Platze gewesen wäre. Denn darin besteht die Herrschaft über die Sünde, daß man sie nicht über sich stelle durch Rechtfertigung, sondern sie unterkriege durch Buße; sonst stellt man sich ja umgekehrt in ihren Dienst und läßt sie herrschen, wenn man ihr sozusagen Rechtsbeistand leistet. Indes wird man unter Sünde hier wohl das Fleischesbegehren als solches zu verstehen haben, jenes, von dem der Apostel sagt[192] : „Das Fleisch begehrt wider den Geist“, wobei er unter den Früchten des Fleisches auch den Neid erwähnt, von dem ja eben Kain zum Verderben des Bruders angestachelt und entzündet wurde. Man tut daher gut, in jenem Sätzchen zu ergänzen: „wird sein“, also: „Denn zu dir wird ihre Hinkehr sein, und du wirst sie beherrschen“. Wenn nämlich der fleischliche Teil des Menschen in Aufruhr kommt, der Teil, den der Apostel Sünde nennt in der Stelle[193] : „Nicht ich wirke das, sondern die in mir wohnende Sünde“ [diesen Teil des Gemütes bezeichnen auch die Philosophen als fehlerhaft[194] und als einen Teil, dem es nicht zukommt, den Geist nach sich zu ziehen, sondern dem vielmehr der Geist zu gebieten und den er durch die Vernunft von unerlaubten Handlungen zurückzuhalten hat], — wenn also dieser Teil einen Anreiz verspürt zur Begehung einer unrechten Handlung und man steht nun davon ab und gehorcht der Mahnung des Apostels[195] : „Machet eure Glieder nicht zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit durch die Sünde“, so kehrt sich dieser Teil, gebändigt und besiegt, zum Geiste hin, so daß nun die Vernunft über ihn herrscht. Das hat Gott dem befohlen, der von dem verzehrenden Feuer des Neides wider seinen Bruder entbrannte und ihn, dem er hätte nachahmen sollen, zu beseitigen begehrte. „Steh' ab“, rief er ihm zu; halte die Hand zurück vom Frevel; nicht herrschen soll die Sünde in deinem sterblichen Leibe, zu gehorchen seinen Gelüsten, noch sollst du deine Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit machen durch die Sünde[196] . „Denn zu dir ihre Hinkehr“, solang sie nicht durch Nachlassen der Zügel gefördert, vielmehr durch Abstehen davon gezügelt wird, „und du wirst sie beherrschen“; sie wird sich, wenn man ihr nach außen zu wirken nicht verstattet, unter der Gewalt des herrschenden und auf das Gute gerichteten Geistes daran gewöhnen, auch innerlich sich nicht zu regen. Etwas Ähnliches ist in demselben heiligen Buch auch vom Weibe gesagt, als nach der Sünde auf Gottes Untersuchung und Urteil hin der Ausspruch der Verdammnis erging über die Schlange an Stelle des Teufels und über die ersten Menschen persönlich. Nachdem nämlich Gott zum Weibe gesagt[197] : „Vermehren und vervielfältigen will ich deine Betrübnisse und dein Seufzen“, und „in Betrübnissen sollst du Kinder gebären“, fuhr er fort: „Und zu deinem Manne deine Hinkehr, und er wird herrschen über dich“. Was dort zu Kain gesagt wurde über die Sünde oder das sündhafte Fleischesbegehren, das ist hier über das sündigende Weib ausgesprochen, woraus zu ersehen ist, daß der Mann in der Herrschaft über die Ehegenossin ähnlich sein müsse dem das Fleisch beherrschenden Geist. Deshalb sagt der Apostel[198] : „Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst; denn nie hat jemand sein eigenes Fleisch gehaßt“. Heilen muß man Fleisch und Weib wie unser Eigen, nicht verdammen wie Fremdes. Indes Kain nahm Gottes Aufforderung hin wie einer, der es mit der Gegenpartei hält. Das Laster des Neides gewann die Oberhand, er stellte seinem Bruder nach und erschlug ihn. Von der Art war der Gründer des Weltstaates. Wie er aber auch die Juden sinnbildete, von denen Christus, der gute Hirt, ermordet ward, den der Schafhirt Abel vorbildete — im Sinnbild ist etwas Prophetisches enthalten —, davon will ich hier nicht sprechen; ich erinnere mich, einiges hierüber in dem Werk wider den Manichäer Faustus[199] gesagt zu haben.

      

       8. Wie es Kain möglich war, schon in den Anfängen des Menschengeschlechtes eine Stadt zu gründen.

      

      Hier dagegen obliegt mir wohl zunächst, den Geschichtsbericht in Schutz zu nehmen, damit nicht die Schrift unglaubwürdig erscheine. Nach ihr hätte nämlich ein Einzelmensch eine Stadt erbaut zu einer Zeit, da es auf Erden dem Anschein nach nur vier oder vielmehr, nach dem Brudermord, nur drei Männer gab, nämlich den ersten Menschen, den Vater aller, dann Kain selbst und dessen Sohn Enoch, nach welchem die Stadt benannt worden ist. Aber wer sich daran stößt, sollte doch bedenken, daß für den Verfasser dieser heiligen Geschichte kein zwingender Grund vorlag, alle Menschen zu benennen, die es damals etwa gegeben hat; es genügte, die anzuführen, deren Nennung der Plan des Werkes mit sich brachte. Die Absicht des Verfassers, der wieder durch den Heiligen Geist dabei geleitet war, ging dahin, durch die sich ablösenden Folgen bestimmter, aus einem Menschen fortgepflanzter Geschlechter zu Abraham zu gelangen und weiterhin in dessen Nachkommen zum Volke Gottes, einem von den übrigen Völkerschaften gesonderten Volke, dazu bestimmt, als Träger aller Vorbilder und Weissagungen zu dienen, die im Geiste vorhergeschaut wurden in Bezug auf den Staat von ewiger Herrschaftsdauer und auf Christus, dessen König und zugleich Gründer; wobei indes auch von der andern Menschengenossenschaft, die wir den Weltstaat nennen, soweit die Rede sein sollte, als nötig wäre, um den Gottesstaat auch durch Vergleich mit seinem Gegner in um so helleres Licht zu setzen. Da nun die göttliche Schrift die Angaben über die Lebensdauer jener Menschen bei jedem, von dem sie spricht, mit den Worten schließt[200] : „Und er zeugte Söhne und Töchter, und es waren der Tage“, die der und der lebte, „insgesamt“ so und soviele „Jahre, da starb er“, so nennt sie ja da auch nicht die Söhne und Töchter mit Namen, und doch dürfen wir annehmen, daß in diesen vielen Jahren, die die Menschen damals im ersten Weltzeitalter lebten, eine sehr große Zahl von Menschen geboren werden konnte, durch deren Vereinigung auch die Möglichkeit zur Gründung zahlreicher Städte gegeben war. Aber es war Gott, auf dessen Eingebung diese Aufzeichnungen gemacht wurden, daran gelegen, nur diese beiden Genossenschaften in ihren nebeneinander laufenden Geschlechtsfolgen von Anfang an zu verfolgen und auseinander zu halten in der Weise, daß die Zeugungen der Menschen, d. i. der nach dem Menschen lebenden Menschen[201] , und die der Gotteskinder, d. i. der nach Gott lebenden Menschen[202] , je für sich angeführt würden bis zur Sündflut. So wird in der Urgeschichte die Scheidung und das Ineinanderwachsen der beiden Genossenschaften berichtet: die Scheidung damit, daß die beiden Geschlechtsfolgen gesondert vorgeführt werden, die des Brudermörders Kain, und die des andern namens Seth; auch er war bekanntlich ein Sohn Adams, ihm geboren als Ersatz für den[203] , den der Bruder erschlagen hatte; das Ineinanderwachsen dagegen insofern, als es heißt, daß auch die Guten sich auf abschüssiger Bahn bewegten und so schließlich alle reif geworden waren für die Vernichtung durch die Sündflut, ausgenommen einen einzigen Gerechten, Noe genannt, und dessen Gemahlin, dessen drei Söhne und ebensoviele Schwiegertöchter, im ganzen acht Menschen, die würdig waren, dem allgemeinen Untergang der Sterblichen zu entgehen.

      Wenn es also heißt[204] : „Und Kain erkannte sein Weib, und sie empfing und gebar den Enoch; und er erbaute eine Stadt mit dem Namen seines Sohnes Enoch“, so folgt daraus nicht, daß man Enoch als seinen ersten Sohn betrachten müßte. Dazu gibt die Wendung: „er erkannte sein Weib“ kein Recht, als hätte sie den Sinn, er habe sich damals zuerst mit seinem Weibe im Beischlaf vereinigt; denn dieselbe Wendung wird vom Stammvater Adam selbst auch nicht nur da gebraucht, wo von Kains Empfängnis die Rede ist, der sein Erstgeborener gewesen zu sein scheint, vielmehr sagt auch nachmals dieselbe Heilige Schrift[205] : „Es erkannte Adam Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar einen Sohn und nannte ihn Seth“. Es handelt sich also hier offenbar um einen Sprachgebrauch der Heiligen Schrift, dessen sie sich, wenn auch nicht immer, bedient, wo sie von Menschenempfängnissen überhaupt spricht, und nicht nur da, wo von der ersten Vereinigung der Geschlechter die Rede ist. Auch daraus, daß nach Enoch jene Stadt benannt wurde, läßt sich kein zwingender Beweis für die Erstgeboreneneigenschaft Enochs ableiten. Es wäre ja recht wohl denkbar, daß ihn der Vater, da er mehrere Söhne hatte, mehr als die andern liebte. Auch Judas war nicht Erstgeborener, und doch ward sein Name auf Judäa und die Juden übertragen. Mag übrigens immerhin dem Gründer der Stadt dieser Sohn als der erste geboren worden sein, so ist deshalb doch nicht anzunehmen, daß schon bei seiner

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